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Strafrechtler über Woelki-Ermittlungen„Man kann den Menschen nicht in den Kopf sehen“

Lesezeit 6 Minuten

Kardinal Rainer Maria Woelki

Ermittlungen gegen den Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki: Der Berliner Strafrechtler Dirk Lammer erklärt die Rechtslage bei eidesstattlichen Versicherungen – und sagt, wie wahrscheinlich es ist, dass sich Woelki wirklich strafbar gemacht hat.

Bei Kardinal Woelki ermittelt die Staatsanwaltschaft Köln in zwei Fällen wegen möglicher falscher Versicherungen an Eides statt. Was ist das überhaupt? Normalerweise stellt man sich vor, dass jemand seine Aussage vor den Schranken des Gerichts beeidigen muss.

Da gibt es Unterschiede. Meineid, das ist eine falsche Aussage, die man vor Gericht oder anderen zur Abnahme von Eiden befugten Stelle macht. Eine falsche Versicherung an Eides statt wiegt weniger schwer als ein Meineid, das ist ein anderer Straftatbestand. So eine Erklärung an Eides statt gibt es zum Beispiel, wenn jemand seine Vermögensverhältnisse offen legen muss. Man kann so eine Erklärung aber auch in einem beliebigen Gerichtsverfahren oder auch aus anderen Anlässen von sich aus abgeben, also mitteilen: Ich versichere an Eides statt in der Kenntnis der Strafbarkeit einer falschen derartigen Versicherung, dass folgendes zutrifft. Damit möchte man der Erklärung ein höheres Gewicht verleihen.

Das hat in einem Fall ja auch geklappt, das Kölner Landgericht hat Woelki geglaubt und seinem Antrag gegen ein Boulevardblatt im Fall des früheren Sternsinger-Chefs Winfried Pilz stattgegeben.

Ja, das ist eine Möglichkeit, Aussagen glaubhaft zu machen. Aber weil das so ein Gewicht hat, wird es auch bestraft, wenn es falsch ist.

Falsche Versicherung ist etwas anderes als Meineid

Warum wird es dann milder bestraft als Meineid?

Die falsche eidesstattliche Versicherung wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe geahndet, der Meineid vor Gericht mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr. Die Aussage vor Gericht ist eben besonders wichtig, die eidesstattliche Versicherung wird darunter angesiedelt.

Was wird die Staatsanwaltschaft Köln jetzt machen, um zu prüfen, ob Woelkis Versicherungen wirklich falsch waren?

Wenn die Staatsanwaltschaft so einen Anfangsverdacht bejaht, dann ist sie auch verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären. Sie muss also alle erforderlichen Schritte unternehmen, um herauszufinden, was passiert ist, also ob diese eidesstattlichen Versicherungen inhaltlich falsch waren. Also etwa Zeugen vernehmen und sich Unterlagen verschaffen, bis hin zu einer möglichen Durchsuchung.

Das Komische ist, dass ja in einem der beiden Fälle, dem eines 2017 trotz eines früheren Kontakts zu einem damals 16-jährigen Prosituierten beförderten Pfarrers, auch noch das Verfahren Woelki gegen das Boulevardblatt läuft. Sollte die Staatsanwaltschaft nicht besser auf das Ergebnis warten?

Das läuft parallel. Natürlich ist es nicht ohne Bedeutung, was in dem Zivilverfahren herauskommt. Aber theoretisch können das Zivilgericht und die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt sogar unterschiedlich beurteilen. Und deshalb kann die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen des Verdachts einer falschen eidesstattlichen Versicherung einleiten, obwohl das zu Grunde liegende Verfahren noch nicht beendet ist. Es ist nicht unüblich, dass die Staatsanwaltschaft in so einem Fall wartet, aber sie kann jetzt schon ermitteln.

Wann sind Angaben mehr als nur Gerüchte?

In diesem Fall hat Woelki an Eides statt erklärt, er habe von dem Kontakt zu dem Prostituierten gewusst. Daneben, schrieb er so schön, hätten sich weitere Gerüchte um den Mann gerankt. Eine Zeugin sagte dagegen, sie habe vor mehr als zehn Jahren selbst mit dem damaligen Weihbischof Woelki telefoniert und ihn über anzügliche Verhaltensweisen des Pfarrers gegenüber Jugendlichen, Saunabesuche mit Messdienern und so weiter unterrichtet. Sie kannte den Mann persönlich gut. Könnte das reichen, um zu sagen, die eidesstattliche Versicherung war falsch, das waren mehr als Gerüchte? Oder kann Woelki sagen, da er die Angaben nicht habe verifizieren können, habe er sie eben als Gerüchte gewertet?

Aus meiner Sicht ist es unwahrscheinlich, dass man zu der Einschätzung kommt, dass da eine Falschaussage getätigt wurde. Ich kenne den Fall nicht näher, aber selbst wenn man die Aussage der Zeugin hört, die sich auf ihre Bekanntschaft mit dem Mann und auf das, was er ihr gesagt haben soll, bezieht, ist es möglich, das als Gerüchte zu qualifizieren, die nicht erwiesen sind. Es hängt natürlich ein bisschen davon ab, wo die Zeugin selbst dabei war und was auch sie nur erzählt bekommen haben will. Aber solange es keine Anzeigen und keine harten Beweise wie Videos gibt, ist es möglich, so etwas noch als Gerücht zu qualifizieren. Gerade nach so langer Zeit.

Hätte Woelki denn in seiner Erklärung zumindest nicht all das auspacken müssen? Das Telefonat hat er ja nicht erwähnt.

Eine Aussage muss vollständig sein. Wie vor Gericht kann man eine inhaltlich falsche Aussage auch machen, indem man etwas verschweigt. Nun muss man den Einzelfall prüfen, aber ich bezweifle, dass er das einzelne Telefonat hätte erwähnen müssen. Wenn Woelki zusammenfassend sagt, er habe etwas gehört, aber das seien Gerüchte gewesen, könnte das schon als vollständig gelten.

Das Problem mit der Erinnerungslücke

In dem anderen Fall geht es darum, dass Woelki sich nach eigener Darstellung nicht daran erinnern kann, ober er den Namen Winfried Pilz auf einer Liste gesehen hat oder nicht. Dass ihm eine Liste vorgelegen hätte, bestreitet er ja nicht. Kann man ihn da packen und sagen, Pilz war so prominent, der war jedes Jahr mit der Bundeskanzlerin zu sehen, da glauben wir Ihnen Ihre Erinnerungslücke nicht?

Wenn die Staatsanwaltschaft wirklich zu der Einschätzung kommt, das sei unglaubwürdig, dann muss sie Anklage erheben, und dann muss sich ein Gericht damit befassen. Aber bei einer so subjektiven Tatsache wie der vorhandenen oder nicht vorhandenen Erinnerung wird es dann schwierig, etwas zu beweisen. Man kann den Menschen ja nicht in den Kopf sehen. Und einfach zu sagen, die Aussage ist widerlegt, weil wir Ihnen nicht glauben, dass Sie sich nicht erinnern – das halte ich für ziemlich schwierig.

Beim Thema Erinnerungslücken denken wir alle an Bundeskanzler Olaf Scholz und die Warburg-Bank. Der wurde nach seiner Aussage vor dem Hamburger Untersuchungsausschuss nicht vereidigt. Warum eigentlich nicht?

In der Praxis vor Gerichten ist die Vereidigung die absolute Ausnahme. Ich erlebe das praktisch gar nicht mehr. Der Gesetzgeber hat das auch geändert. Früher war die Vereidigung der Regelfall, außer wenn alle darauf verzichteten. Heute ist sie die Ausnahme, sie muss ausdrücklich verlangt werden. Es gab da früher eine Art magisches Denken, aber warum soll eine Aussage wahr sein, weil jemand schwört: So wahr mir Gott helfe – oder auch ohne Gottesbezug? Ich habe noch nie erlebt, dass jemand seine Aussage ändert, bloß weil der Richter sagt, er könne ihn auch vereidigen.

Also imponiert die Strafandrohung nicht?

Bei jeder Vernehmung wird der Zeuge belehrt, dass er vereidigt werden kann und Meineid ein Verbrechen mit einer Mindeststrafe von einem Jahr ist. Viele Leute glauben zwar, der Zeuge werde sich nicht trauen, eine Falschaussage zu beschwören. Aber die Lebenswirklichkeit ist anders, und deshalb schauen Richter weniger auf den Eid als auf andere Umstände, die die Glaubwürdigkeit einer Aussage belegen oder auch nicht.

Der Experte: Dr. Dirk Lammer ist Fachanwalt für Strafrecht in Berlin und Richter am Verfassungsgerichtshof des Landes Brandenburg. Er ist Vorsitzender des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins.