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Neues FührungsduoWie realistisch sind die SPD-Forderungen vom Parteitag?

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SPD Führungsduo

Das neue Führungsduo der SPD: Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans

Köln/Berlin – Erst laut gebrüllt – und dann eher leise getreten. Auf 23 Regionalkonferenzen haben die designierten neuen SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans lautstark für ein 450-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm und die Aufgabe der Schwarzen Null im Bundeshaushalt, einen Mindestlohn von zwölf Euro und das Aufschnüren des Klimapakets getrommelt.

Nach dem SPD-Mitgliedervotum mussten beide jedoch Federn lassen. Schließlich ging es darum, die weitgehenden Forderungen des eher links stehenden Führungsduos mit den eher pragmatischen Einstellungen der SPD-Bundestagsfraktion und des rechten Flügels der Partei in Einklang zu bringen. Heraus kam ein Leitantrag des SPD-Bundesvorstands, über den die Partei am Samstag entscheiden wird.

Hier ein Überblick über die wichtigsten Forderungen im Leitantrag und ihre Aussichten auf Umsetzung.

Investitionsprogramm

Die SPD fordert deutlich mehr öffentliche Investitionen in die Infrastruktur. Sie verweist im Leitantrag auf eine Schätzung des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroönomie und Konjunkturforschung gemeinsam mit dem arbeitgebernahen Kölner Institut der deutschen Wirtschaft. Beide taxieren den Investitionsbedarf von Bund, Ländern und Gemeinden für Erhalt und Ausbau von Bildung, Verkehr, Kommunikationsnetze und Klimaschutz in den nächsten zehn Jahren auf insgesamt 450 Milliarden Euro.

Realitäts-Check

Wahrscheinlich ist, dass sich Union und SPD nach dem Parteitag auf zusätzliche Investitionen des Bundes bis zum Ende der Legislaturperiode in Höhe von einigen Milliarden Euro einigen können. Dass die Union einem Investitionsprogramm von 450 Milliarden Euro über zehn Jahre zustimmen würde, ist dagegen illusorisch.

Schwarze Null

Zur Finanzierung des Investitionsprogramms fordert die SPD die Aufgabe der Schwarzen Null, die für die Union in der großen Koalition aber ein Markenkern ist. Im Leitantrag hat die SPD für diese Forderung nun aber eine defensive Formulierung gewählt. „Um das Defizit bei der Umsetzung von Maßnahmen in 16 Ländern und Kommunen zu beheben brauchen wir diese Planungssicherheit. In diesem Sinne dürfen stetige Investitionen nicht an dogmatischen Positionen wie Schäubles schwarzer Null scheitern“, heißt es lediglich in dem Antrag.

Realitäts-Check

Die Union will die Schwarze Null nicht aufgeben, solange sie dafür keine Notwendigkeit sieht. Sie hat signalisiert, dass die Schwarze Null für sie erst dann infrage stünde, wenn die Wirtschaft tatsächlich in eine Rezession abrutschen würde. Das ist nach aktueller Analyse derzeit nicht der Fall, auch wenn die Industrie deutliche Probleme zeigt. Würde die Schwarze Null aufgegeben, würde allerdings die Schuldenbremse im Grundgesetz eine deutliche Ausweitung der Neuverschuldung verbieten.

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Die Schuldenbremse ließe nach Berechnungen des Bundesfinanzministeriums im kommenden Jahr allenfalls eine Neuverschuldung von etwa fünf Milliarden Euro zu. Für solche Peanuts gibt die Union ihre Schwarze Null nicht auf. Es gibt allerdings Überlegungen, wie die Schuldenbremse legal umgangen werden könnte. So könnten sich etwa Unternehmen des Bundes wie die Deutsche Bahn oder nachgeordnete Behörden anstelle des Bundes am Kapitalmarkt zusätzlich verschulden. Die Union wird solche Finanzierungstricks aber nicht mitmachen.

Mindestlohn

Im SPD-Leitantrag heißt es, Deutschland brauche einen höheren Mindestlohn, um den Niedriglohnsektor zurückzudrängen. „Die Sozialpartner brauchen daher einen besseren Rahmen, um ihrer Aufgabe für die Aushandlung eines angemessenen Mindestlohns in der Mindestlohnkommission gerecht werden zu können. Dafür werden wir das Mindestlohngesetz wie vereinbart 2020 evaluieren und weiterentwickeln. Unser klares Ziel ist dabei perspektivisch die Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro.“

Realitäts-Check

Union und Wirtschaft lehnen mit Verweis auf die höheren Personalkosten-Belastungen der Unternehmen die deutliche Anhebung des Mindestlohns ab. Die Bundesregierung könnte der unabhängigen Mindestlohn-Kommission, die paritätisch mit Vertretern der Sozialpartner besetzt ist, auch keine Weisungen erteilen. Die Kommission ist gesetzlich verpflichtet, den Mindestlohn unter anderem an der durchschnittlichen Entwicklung der Tariflöhne der letzten zwei Jahre zu orientieren. Deshalb legte sie nach Einführung des Mindestlohns 2015 bisher moderate Anhebungen fest. Wollte man das ändern, müsste die große Koalition tatsächlich erst einmal das Mindestlohngesetz ändern. Das dürfte mit der Union aber nicht zu machen sein.

Klimapaket

Die SPD will das gesamte Klimapaket wieder aufschnüren, nicht nur den Steuerteil. „Wir wollen einen sozial gerechten und wirksamen CO2-Preis. Die derzeitigen Maßnahmen müssen dazu weiterentwickelt werden“, heißt es dazu im Leitantrag. „Wir streben einen umfassenden, breit wirksamen sozialen Ausgleich an, der für jeden gleichmäßig wirkt, um einen höheren CO2-Preis zu ermöglichen.“ Man wolle den Strompreis senken und den für 2030 angestrebten Anteil der erneuerbaren Energien von 65 Prozent am Strommix gesetzlich festschreiben.

Realitäts-Check

Der CO2-Einstiegspreis von lediglich zehn Euro pro Tonne CO2 ab 2021 dürfte tatsächlich im Vermittlungsverfahren von Bundestag und Bundesrat ab kommender Woche wieder auf den Tisch kommen. Auch viele Länder und Teile der Union halten ihn für zu niedrig, um eine nennenswerte Lenkungswirkung zu erzielen. Eine deutliche Erhöhung auf 30 Euro oder mehr wird die Union jedoch nicht mitmachen. Auch die Finanzierung eines deutlich höheren Sozialausgleichs dürfte schwierig werden. Die gesetzliche Verankerung des 65-Prozent-Ziels könnte gelingen. Auch eine Senkung der Stromsteuer oder eine weitere Senkung der Umlage für die Erneuerbaren Energien (EEG-Umlage) ist realistisch, um die Bürger bei einem höheren CO2-Preis zu entlasten.

Tempolimit

„Wir wollen ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf Autobahnen einführen - das leistet einen Beitrag zur Verkehrssicherheit und ist zudem eine kostenlose Klimaschutzmaßnahme“, heißt es im Leitantrag.

Realitäts-Check

Lehnt die Union kategorisch ab. Ein Tempolimit in dieser Legislaturperiode bei Fortführung der Groko ist daher eher unrealistisch.