- Ministerin Yvonne Gebauer kritisiert die Bundesnotbremse, verteidigt sich gegen Kritik an ihrer Pandemie-Kommunikation und will dem Abitur keinen Corona-Stempel aufdrücken
Frau Gebauer, Sie haben angekündigt, dass das Land ab 10. Mai nun an allen Grund- und Förderschulen den sogenannten Lolli-Test einführt, der in Köln erprobt worden ist.
Das Schulministerium hat dieses Projekt in Köln gefördert. Es gab seit Einführung der Testpflicht an den Schulen in Nordrhein-Westfalen immer schon genug Tests, sowohl für die weiterführenden als auch die Grundschulen. Insgesamt 5,5 Millionen Tests pro Woche. Ich habe aber von Beginn an gesagt, dass die Tests für Grund- und Förderschulen kindgerechter sein sollten als die bisher verwendeten Nasenabstrich-Selbsttests, und diese Alternative sind nun die Lolli-Tests, die in Köln erfolgreich erprobt worden sind. Jetzt wollen wir die Lolli-Tests an Grund- und Förderschulen ab Montag in ganz NRW etablieren. Dies ist eine große logistische Herausforderung, da es um rund 3700 Standorte geht.
Sie sagen, es habe immer genügend Tests gegeben. Warum haben Sie diese nicht viel früher genutzt, um die Schulen pandemie-sicher zu machen und den Präsenzunterricht so gut wie möglich zu ermöglichen?
Fehlende Tests gab es nicht. Das war nicht der Grund, weshalb viele Schulen jetzt im Wechselunterricht sind. Der Grund dafür ist die seit dem 24. April geltende Bundesnotbremse, und die sieht vor, dass voller Präsenzunterricht bei Inzidenzen über 165 nicht möglich ist. Danach haben wir uns zu richten.
In vielen Kommunen liegt die Inzidenz über 165, Präsenzunterricht ist nicht möglich. Glücklich sind Sie damit nicht?
Das stimmt. Ich bin nach wie vor eine Verfechterin, so viel Präsenzunterricht wie möglich für die Schüler zu ermöglichen, immer unter Berücksichtigung des Infektionsgeschehens. Das Lehren und Lernen in der Schule bleibt die beste Form des Unterrichtens.
Zur Person
Yvonne Gebauer ist seit 2017 Ministerin für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen. Seit 2012 sitzt sie im Landtag, von 2004 bis 2012 war sie Mitglied des Kölner Stadtrates.
Die in Köln geborene und aufgewachsene 54-jährige FDP-Politikerin arbeitete zunächst als Rechtsanwaltsfachangestellte und von 1989 bis 1992 für einen Bundestagsabgeordneten in Bonn.
Später leitete sie einen Beherbergungsbetrieb und machte sich schließlich 2004 als Kauffrau in der Immobilienbranche selbstständig. Gebauer ist verheiratet, Mutter
eines Sohnes. (EB)
Die Bundesnotbremse richtet sich nach Inzidenzwerten.
Das ist die Crux, weil der Inzidenzwert ein sehr starres Kriterium ist. Das führt derzeit dazu, dass viele Kommunen angesichts der Inzidenzwerte über 165 die Schulen nicht öffnen können.
Sie hätten es also lieber ohne Bundesnotbremse gemacht?
Die Notbremse ist vom Bundestag beschlossen und gilt in allen Bundesländern gleichermaßen. Aber über die Zahl 165 wurde lange gestritten, sie ist ein politischer Kompromiss. Ich hätte Schulschließungen nicht nur an einen Inzidenzwert gekoppelt. Es gab meines Erachtens einen gesellschaftlichen Konsens darüber, dass wir Schulen zuerst öffnen müssen und zuletzt schließen dürfen. Die Bundesnotbremse zeigt aber, dass das nicht so ist. Dahin möchte ich gerne zurückkommen.
Wie ist die Perspektive für die Schüler? Gibt es vor den Sommerferien zumindest Wechselunterricht?
Das gibt es schon in vielen Kreisen und kreisfreien Städten. Ich freue mich, dass die Inzidenzzahlen derzeit leicht, aber stetig zurückgehen. Aktuell lässt sich nicht vorhersehen, wie schnell die Inzidenz in allen Kommunen und Kreisen unter den Wert von 165 kommt, um damit zumindest Wechselunterricht anbieten zu können. Aber ich hoffe sehr, alle Kinder vor den Sommerferien noch einmal in die Schule zumindest zeitweise zurückholen zu können.
Die Krisenkommunikation wird vielfach kritisiert. Mehrfach informierte das Land die Schulen erst freitags, was ab Montag gilt. Die Verantwortlichen durften dann schauen, wie sie das umsetzen. Das ist doch ein Unding.
Ich würde Sie gerne fragen, was Sie meinen, wie viele Schul-Mails wir verschickt haben.
Ich weiß es nicht, sagen Sie es uns.
Es waren 60. Und wie viele haben wir freitags geschickt?
Keine Ahnung.
Drei. Und die waren aus übergeordneten Gründen notwendig.
Und die anderen Mails?
Die sind an allen anderen Tagen der Woche gekommen, und die Umsetzung der Maßnahmen war auch nicht immer für den folgenden Montag gedacht, sondern auch für eine Woche später.
Die Kommunikation war also ausreichend, auch wenn Lehrer und Schulleiter sie kritisieren?
Natürlich kann man die Kommunikation immer verbessern, aber ich möchte es gerne ins Verhältnis setzen. Es ist auch so, dass die Pandemie uns alle, auch in der Politik, herausfordert. Wir müssen Entscheidungen ständig unter Druck treffen, weil die Infektionslage so wechselhaft ist. Hingegen wünschen sich Schulen zurecht Stabilität. Daraus entsteht oft Stress und Verärgerung, was ich nachvollziehen kann.
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Ihnen wurde ein ziemlicher Zick-Zack-Kurs vorgeworfen. Was würden Sie denn heute anders machen?
Wir haben immer Präsenzunterricht möglich gemacht, wenn das Infektionsgeschehen es zuließ. Aber aufgrund der nötigen Vorsicht war teils nur Distanzunterricht oder das Wechselmodell möglich. Wenn mir mein Eintreten für mehr Bildungschancen am Ende vorgeworfen wird, dann nehme ich das gerne in Kauf. Ich wünsche mir sehr, den Schulen in der Pandemie einen langen Zeitraum nennen zu können, in dem sie in Präsenz oder im Wechselmodell arbeiten können. Aber leider ist die Lage so dynamisch, dass das aktuell nicht geht. Schauen Sie Köln an: Vor wenigen Tagen war die Inzidenz weit über 200, seit Tagen sinkt sie. Die Pandemie lässt langfristige Planungen nicht zu, zumindest nicht, wenn alles an Inzidenzwerten hängt.
Es gibt Lernrückstände und Ausfälle, viele sprechen von einem Abitur mit Corona-Stempel. Lässt sich das kompensieren?
Mir ist es wichtig, dass es eben kein Corona-Abitur ist, und dass wir alles getan haben, damit es ein möglichst normales, anerkanntes Abitur ist. Das sind wir den Schülern schuldig. Das Land hat die Prüfungen intensiv vorbereitet. Wir haben den Pool der Aufgaben erweitert, mehr Vorbereitungszeit gegeben, damit das Abitur nicht den Stempel Corona-Abitur bekommt. Deshalb haben wir ein Abitur mit einer Durchschnittsnote aus den Vorleistungen wie von der Opposition gefordert abgelehnt.
Sie sagen, das Land habe alles getan, dass es kein Abitur mit Corona-Stempel wird. Das dürften einige Eltern, Schüler, Lehrer und auch Schulleiter anders sehen.
Es ist ein Abitur unter Corona-Bedingungen, ja. Das ist richtig. Aber es ist ein anerkannter Abschluss ohne Makel, der überall in Deutschland anerkannt wird und auch keinen Vergleich mit den Jahren zuvor scheuen muss. Auch deshalb ist der Stempel meiner Meinung nach falsch.
Aber es ist Tatsache, dass weniger Lernstoff vermittelt worden ist.
Ja, natürlich hat es durch die sehr unterschiedlichen Bedingungen an den Schulen, beispielsweise den Quarantänemaßnahmen, unterschiedliche Ausgangslagen gegeben. Aber das Land hat Maßnahmen frühzeitig ergriffen, um einen Ausgleich zu schaffen. Die Vergrößerung der Auswahlmöglichkeiten in der Prüfung soll genau darauf Rücksicht nehmen, dass Aufgaben gestellt werden, die auch tatsächlich im Unterricht behandelt wurden.
Aber die Lehrer sind doch am Limit und fühlen sich alleine gelassen.
Dass Lehrer aktuell sehr viel leisten, ist richtig, sie schultern sehr viel. Aber es gibt auch große Unterstützung durch das Land. Wir haben beispielsweise alle Lehrer mit digitalen Endgeräten ausgestattet. Aber ja, es bleibt eine sehr große Herausforderung und sie sind besonders gefordert.
Warum sind noch nicht alle Lehrer in NRW geimpft?
Weil die Ständige Impfkommission die Lehrer erst in der Prioritätsgruppe drei eingeordnet hat, die Bundesregierung ist dieser Empfehlung gefolgt. Grund- und Förderschullehrer sind vorgezogen worden, sie sind in NRW zumindest einmal geimpft worden.
Für die Lehrer der weiterführenden Schulen gilt das aber nicht, die stehen aber in der ersten Reihe, wenn sie Kontakt mit Schülern haben.
Es ist ein gutes und wichtiges Signal, dass jetzt die Lehrerinnen und Lehrer an den weiterführenden Schulen geimpft werden können. Als Schulministerin habe ich mich nachhaltig dafür eingesetzt. Ich freue mich, dass nach den Grund- und Förderschullehrkräften nun alle anderen Lehrkräfte geimpft werden, da sie als wichtige Bezugspersonen für unsere Kinder im Präsenzunterricht gerade während der Pandemie eine entscheidende Aufgabe übernehmen. Die Impfung unserer Lehrerinnen und Lehrer ist ein wichtiger Beitrag für den Infektionsschutz und die Stabilisierung des Schulbetriebs. Im Zusammenspiel mit den strengen Vorgaben für den Infektionsschutz und der Testpflicht wird das den Präsenzbetrieb noch sicherer machen.