Rundschau-Debatte des TagesKann Sputnik V den Impfschub bringen?
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Die EU zögert bei der Zulassung des russischen Impfstoffs.
Nun preschen der Bund und zwei Länder vor und knüpfen Kontakte nach Moskau.
Ob das hilft, hängt nicht zuletzt vom Vertrauen der Bürger ab.
Moskau/Berlin – Sputnik V ist bereits in 56 Ländern zugelassen. Nun soll auch eine Firma im schwäbischen Illertissen den russischen Impfstoff produzieren. Eine Absichtserklärung für Produktion und Import sei unterzeichnet, hieß es. Nach der Zulassung soll Bayern 2,5 Millionen Impfdosen erhalten. Auch Mecklenburg-Vorpommern hat sich noch vor der möglichen EU-Zulassung eine Option auf eine Million Impfdosen gesichert.
Welche politischen Bedenken gibt es in der EU?
Russland gab bereits Mitte August 2020 mit Sputnik V den weltweit ersten Corona-Impfstoff für eine breite Anwendung in der Bevölkerung frei. „Impfen ist immer auch Politik, es geht nie nur um medizinische Fragen“, sagt Historiker Malte Thießen, der sich mit der Geschichte der Immunisierung seit der ersten Pocken-Impfung beschäftigt. Er spricht von Vorbehalten im westlichen Teil der EU. Die Vergiftung von Kremlkritiker Alexej Nawalny dürfte für manchen Bürger zudem ein Grund sein, sich kein Produkt aus Russland injizieren lassen zu wollen. Den Namen Sputnik für einen Impfstoff zu wählen, sei bereits „Propaganda erster Klasse“, so Thießen. Sputnik 1 hieß der weltweit erste gestartete Satellit, mit dem die Sowjetunion 1957 die westliche Welt schockierte.
Welche Zweifel haben Wissenschaftler?
Für den ersten Platz bei der Impfstoff-Freigabe hagelte es für Russland international Kritik. Wissenschaftler beklagten vor allem das Fehlen schlüssiger Daten. Grund ist, dass die Zulassung vor dem Vorliegen der Ergebnisse sogenannter Phase-III-Studien stattfand. Das widerspricht dem üblichen Ablauf. Denn in der Prüfung mit mehreren Tausend Probanden könnten seltene Nebenwirkungen erkannt werden, heißt es beim Paul-Ehrlich-Institut. Erste Details zu Sputnik V veröffentlichten die Forscher Anfang September 2020 in der Fachzeitschrift „The Lancet“. Demnach regt der Impfstoff eine Immunantwort an. Bei insgesamt 76 Teilnehmern konnten in der Testphase I/II Antikörper gegen das Virus nachgewiesen werden. Es folgte wieder Kritik am Vorgehen Russlands, aber auch Aufatmen: Das nun vorliegende Ergebnis sei eindeutig. Das wissenschaftliche Prinzip der Impfung sei aufgezeigt worden, sagte Forscherin Polly Roy von der London School of Hygiene & Tropical Medicine dem Fachblatt „The Lancet“.
Das vom staatlichen Gamaleja-Forschungszentrum für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau entwickelte Vakzin ist ein sogenannter Vektorimpfstoff und damit dem Präparat von Astrazeneca ähnlich. Um die Informationen in den Körper zu schleusen, nutzen beide abgeschwächte, harmlose Viren. Ziel ist es, das Immunsystem dazu zu bringen, Abwehrreaktionen gegen Sars-CoV-2 hervorzurufen. Bei Kontakt mit dem Coronavirus ist der Körper dann vorbereitet und kann die Infektion besser eindämmen. Verabreicht wird der russische Impfstoff in zwei Dosen im Abstand von 21 Tagen. Zu den Nebenwirkungen zählen Schmerzen an der Einstichstelle, Kopf- und Gliederschmerzen, Abgeschlagenheit und teils grippeähnlichen Symptome. Zudem gibt es Berichte über Fieber und Schüttelfrost.
Wie hoch ist die Wirksamkeit von Sputnik V?
In einer „Zwischenanalyse“ der wichtigen Testphase III mit rund 20000 Freiwilligen kamen russische Forscher auf eine Wirksamkeit von 91,6 Prozent. Das bedeutet, dass in der geimpften Gruppe 91,6 Prozent weniger Erkrankungen auftraten als in der Kontrollgruppe. Damit hat Sputnik V demnach eine in etwa gleiche Wirksamkeit wie die Impfstoffe von Moderna und Biontech/Pfizer und eine deutlich höhere als das Mittel von Astrazeneca. Nach Darstellung der Moskauer Behörden funktioniert Sputnik V auch bei der ansteckenderen Variante B.1.1.7. Der Impfschutz war 21 Tage nach der zweiten Impfung aufgebaut. Die Ergebnisse wurden Anfang Februar 2021 ebenfalls im medizinischen Fachblatt „The Lancet“ publiziert. Sie decken sich mit früheren Angaben.
Weltweit 56 Länder hatten Sputnik V bis Ende März zugelassen, wie der staatliche Direktinvestmentfonds RDIF mitteilt. Dieser ist an der Finanzierung von Sputnik V beteiligt und kümmert sich um die Vermarktung des Impfstoffs. In der EU ist das Präparat auch ohne Zulassung schon in Ungarn und in der Slowakei im Einsatz, Tschechien und Österreich haben Interesse signalisiert – zur Sorge der EMA: Eine Vertreterin der EU-Arzneimittelbehörde warnte, dass entscheidende Daten von Geimpften noch nicht vorlägen.
Wie schnell könnte der Impfstoff geliefert werden?
Etwa ab Mitte des Jahres könnten in der EU 50 Millionen Menschen mit Sputnik V versorgt werden, wenn die EMA ihre Zustimmung gebe, erklärte RDIF-Chef Kirill Dmitrijew in Moskau. Dabei soll der russische Impfstoff für die EU auch gleich hier produziert werden. Dazu wurden laut Dmitrijew Produktionsvereinbarungen mit Firmen in Deutschland und anderen europäischen Ländern wie Frankreich, Italien und Spanien geschlossen. Der RDIF nennt weder die Namen dieser Unternehmen noch macht er klare Angaben zu den verkauften Mengen und den Vertragsbedingungen in den einzelnen Ländern.
Wie viel Geld verlangt Russland für Sputnik V?
Ausgehend von dem Preis, den der RDIF für die Impfdosen auf dem internationalen Markt genannt hat, beläuft sich der mögliche Gesamtumsatz auf schätzungsweise 24 Milliarden US-Dollar, wie die Moskauer Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“ ausgerechnet hat. Der Preis für eine Dosis wurde zuletzt mit unter 10 US-Dollar (etwa 8,40 Euro) angegeben. Der Handel mit Sputnik V, so die Hoffnung der russischen Führung, kann mehr einbringen als der Export von Waffen. (dpa)