Rundschau-Debatte des TagesFindet die Nato nun zu neuer Stärke?
- Die Staats- und Regierungschefs der Nato treffen sich am Donnerstag zum Sonder-Gipfel und beraten über eine weitere Stärkung der Abschreckung und Verteidigung gegen Russland.
- Doch wie kann man Russland noch Einhalt gebieten?
Brüssel – Als sich der britische Premier Winston Churchill und US-Präsident Franklin D. Roosevelt im Januar 1943 in Casablanca trafen, einigten sie sich auf eine grundsätzliche Entscheidung über die Nachkriegsordnung Europas: Nichts anderes als die „bedingungslose Kapitulation“ Deutschlands, Italiens und Japans würden die Westalliierten als Kriegsziel akzeptieren. Wenn am Donnerstag die Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten in Brüssel zusammenkommen, wütet nicht weit entfernt abermals ein Angriffskrieg.
Das Dilemma
Seit Wochen muss die Welt mitanschauen, wie russische Raketenwerfer Menschen töten und das Land zerstören. Zum Leidwesen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der sich heute per Video ins Nato-Hauptquartier zuschalten lassen will, schließt das Bündnis angesichts der drohenden Folgen aus, mit einer Flugverbotszone direkt in der Ukraine einzugreifen. Die 30 Partner fürchten eine weitere Eskalation des Krieges. „Jede mögliche Konfrontation zwischen unseren Truppen und Nato-Kräften könnte klare Konsequenzen haben, die schwer zu korrigieren sind“, warnte der Kreml mit Blick auf den Gipfel vor einer Entsendung von Friedenstruppen in die Ukraine, wie sie etwa von Polen gefordert werden. Das nukleare Säbelrasseln von Seiten der Russen geht weiter. Und die Gratwanderung des Westens dauert ebenfalls an: So will die Nato die Ukraine weiter unterstützen, etwa mit Waffenlieferungen. Gleichzeitig will sie autoritären Kräften dieser Welt demonstrieren, dass sich Demokratien zur Verteidigung ihrer Werte zusammenschließen können. Aber sie will nicht selbst zur Kriegspartei werden, so lange kein Mitglied angegriffen wird.
Die Ziele
Die Verbündeten planen, über eine weitere Stärkung der Abschreckung und Verteidigung gegen Russland zu beraten, zudem sollen zusätzliche Sanktionen gegen Moskau verhängt werden. Der Sonder-Gipfel, an dem auch US-Präsident Joe Biden teilnimmt, würde laut Experten einen passenden Rahmen bilden, um das Ziel der Westmächte zu umreißen.
Stoltenberg offen für Vertragsverlängerung
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat sich offen für eine Verlängerung seines Vertrags an der Spitze der westlichen Verteidigungsallianz gezeigt. Es sei an den Alliierten, über solche Dinge zu entscheiden, sagte der Norweger am Mittwoch bei einer Pressekonferenz zum Nato-Sondergipfel. Stoltenbergs Worte kommen überraschend, da der 63-Jährige Anfang Februar zum künftigen Chef der norwegischen Zentralbank ernannt wurde. Seine derzeitige Amtszeit bei der Nato läuft am 30. September aus.
Gerüchte über einen Verbleib Stoltenbergs an der Spitze der Nato hatte es zuletzt wieder gehäuft gegeben. Als Hintergrund gelten der Ukraine-Krieg und die schweren Spannungen mit Russland. Nach Ansicht von Diplomaten spricht dies für ein Festhalten an einem erfahrenen Mann an der Spitze der Nato. Anerkennung hat sich Stoltenberg vor allem als geschickter Vermittler zwischen den teils sehr unterschiedlichen Interessen der mittlerweile 30 Nato-Staaten erworben. (dpa)
Würde man etwa nur dann die wirtschaftlichen Daumenschrauben lockern, wenn Putin seine Truppen vollständig abzieht und der Ukraine das Recht auf Unabhängigkeit zugesteht? Nie zuvor präsentierte sich das Bündnis so geschlossen. Hat der französische Präsident Emmanuel Macron der Allianz noch vor gut zwei Jahren den „Hirntod“ bescheinigt, bewährt sie sich derzeit als Einheit gegen den „Kriegsverbrecher“ Putin, wie Biden ihn nannte.
Die neue Stärke
Churchill bemerkte einmal, Russland sei „ein Rätsel verpackt in ein Geheimnis, umgeben von einem Mysterium“. Seine Worte scheinen noch heute zuzutreffen. Denn die Frage bleibt, wie weit Putin gehen wird, um seine imperialistischen Großmachtfantasien auszuleben. Dementsprechend lässt sich die Nato bei ihrer Reaktion auf die aktuelle Lage von einem ähnlichen Gedanken leiten, den Churchill einige Jahre nach der zitierten Radioansprache ausführte. So sei der Brite zu der Überzeugung gelangt, dass es nichts gebe, was die Russen „so bewundern wie Stärke und dass sie vor nichts weniger Respekt haben als vor Schwäche, insbesondere militärischer Schwäche“.
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Beobachtern zufolge interpretierte Putin das Vorgehen der Bündnispartner in den vergangenen Jahren als Schwäche und reagierte aggressiv, etwa als er in Georgien einmarschierte, die Krim annektierte und den Angriff der Ukraine befahl. Dieser ändert nun alles für die Nato. Seit der Invasion hat das Defensivbündnis mehr als 100000 Streitkräfte in Bereitschaft versetzt, die entweder bereits an der Ostflanke stationiert sind oder jederzeit verlegt werden könnten. Zur Abschreckung will man diese jetzt mit vier weiteren Gefechtsverbänden verstärken. Als Standorte sind die Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien geplant. Der Truppenaufmarsch ist beispiellos in der Geschichte der Allianz. Militärflugzeuge überwachen den Luftraum, in Norwegen findet ein Manöver statt, hunderte Kriegsschiffe bilden im Mittelmeer, im Schwarzen Meer sowie der Nord- und Ostsee eine Drohkulisse. Es sollen Signale der Stärke in Richtung Moskau sein und ein Vorgeschmack für die Zukunft.