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Bilanz nach vier Wochen KriegDie russische Armee hat immer größere Probleme

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Die Ukrainische Armee hat den Russen offenbar erhebliche Verluste bereitet.

Berlin/Kiew – Ausgebrannte Panzerwracks und Leichen in russischen Uniformen: Vier Wochen nach dem Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine ist Präsident Wladimir Putin von seinen Zielen weit entfernt – obwohl er rücksichtslos auf Wohnblocks und Industrieanlagen feuern lässt. Im Gegenteil: Die russischen Soldaten graben sich in ihren Stellungen ein und warten auf Nachschub.

Mindestens 6000 russische Soldaten sind schon tot, sagen westliche Militärexperten. Und dies sei eine konservative Berechnung, die Zahl könne deutlich höher sein. Mehr als 200 russische Kampfpanzer haben die ukrainischen Soldaten westlichen Analysen zufolge abgeschossen, zudem 750 Schützenpanzer, Radpanzer und Truppentransporter der Angreifer. Die in die Ukraine eingerückten russischen Landstreitkräfte stehen nach diesen Angaben nur noch bei etwa 80 Prozent ihrer Leistungsfähigkeit.

Sicherheitsberater: Es kommen noch harte Tage

„Dieser Krieg wird weder leicht noch schnell enden“, sagte der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, vor einer Reise Bidens nach Europa. „Es werden harte Tage auf die Ukraine zukommen, am härtesten für die ukrainischen Truppen an der Front und für die Zivilbevölkerung unter russischem Beschuss.“

Hat sich Moskau mit dem stockenden Verlauf des Angriffs als Militärmacht selbst entzaubert? Noch zu Beginn des vergangenen Jahres hat die polnische Armee in einer Übung einen russischen Angriff auf den eigenen Staat simuliert. Bei der Stabsübung „Zima 2020“ (Winter 2020) wurde mit Beteiligung Tausender polnischer Offiziere eine großangelegte Offensive russischer Streitkräfte zu Lande, zu Wasser und aus der Luft durchgespielt. Das schockierende Ergebnis: Nach 4 bis 5 Tagen war Warschau eingekesselt, große Gebiete Polens waren in russischer Hand und der Angreifer auf dem Weg weiter in Richtung deutscher Grenze.

Der Militärexperte Michael Karl, der sich als Forscher der Bundeswehr-Denkfabrik GIDS mit Russland und Osteuropa befasst, geht davon aus, dass sich die technische Modernisierung der russischen Streitkräfte seit Wladimir Putin deutlich verbessert hat. „Aber was die Art der Kriegführung angeht, da hat sich nicht viel geändert. Angegriffen wird in Wellen.“ Die Ukrainer hingegen bekämpften den russischen Feind unter anderem aus dem Hinterhalt, so Karl.

Neue Waffen, alte Taktiken

Sorge macht international und in Deutschland das russische Atomwaffenpotenzial. „Wenn Russland nicht zumindest den symbolischen Sieg mit der Einnahme der Hauptstadt Kiew erringen kann, könnte es auf territorial begrenzte atomare Gefechtsfeldwaffen zurückgreifen“, sagt Karl dazu.

Fest steht, dass Russland die Wehrhaftigkeit der Ukraine falsch eingeschätzt hat. Experten aus Nato-Staaten und auch deutsche Militärfachleute waren über Jahre als Berater in der Ukraine, nachdem die ukrainischen Streitkräfte im Jahr 2014 während der russischen Annexion der Krim im Grunde genommen nicht einsatzfähig waren. Sehr ernsthaft und gegen interne Widerstände sei ein Wechsel der Unternehmenskultur betrieben worden – „weg vom Sowjet-Denken“, hin zu westlichen Verfahren. So stehen sich an den Fronten nun auch militärische Systeme gegenüber.

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Nach einem Monat ist der Kampf in einen Stellungskrieg übergegangen. Kiew geht davon aus, dass die russischen Truppen Reserven heranziehen und sich für neue Offensivbemühungen umgruppieren. Schwerpunkt der Kämpfe mit Veränderungen der Frontlinie bleibt der ostukrainische Donbass. Hart umkämpft bleibt auch Mariupol. Nach Angaben der Donezker Separatisten wurde nach drei Wochen Einschließung erst etwa die Hälfte der Stadt unter russische Kontrolle gebracht. Selbst Separatistenchef Denis Puschilin zeigt sich skeptisch hinsichtlich schneller Fortschritte.

Der US-Stratege Eliot Cohen rechnet mit einer russischen Niederlage. „Die Russen haben das Gros ihrer einsatzfähigen konventionellen Streitkräfte mobilisiert, und sie erleiden hohe Verluste“, sagte er dem „Handelsblatt“. Dafür sei vor allem die hohe Moral der ukrainischen Truppen verantwortlich: „Die Ukrainer wissen, wofür sie kämpfen – die Russen nicht.“ (dpa)