Pro und Contra-LeserstimmenSoziales Pflichtjahr für alle jungen Menschen?
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat vorgeschlagen, über die Einführung eines sozialen Pflichtjahres für junge Menschen zu diskutieren. Unsere Leser beteiligen sich an dieser Debatte.
Soziales Engagement in allen Ehren. Aber nicht mit Druck! Und vor allem bitte nicht nur die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in die Pflicht nehmen. Die haben die letzten beiden Coronajahre wie selbstverständlich die Maßnahmen mitgemacht und auf vieles verzichtet. Provokant gefragt: Wieso dann nicht auch die Leute aktivieren, die Transferleistungen bekommen? Warum dann nicht rüstige Rentner aktivieren, deren magere Rente sonst über die Grundsicherung ausgeglichen wird? Oder Managerinnen und Manager, die den Bezug zur Basis aus den Augen verloren haben?
Im Grunde wäre es so simpel, den Personalmangel in der Pflege, Altenpflege oder sonstigen sozialen Bereichen aufzufangen: gerechte Löhne, gute Dienstpläne, Ausbildungsvergütung für angehende Erzieherinnen und Erzieher (und nicht vorübergehend Hartz 4, wie von Frau Gebauer vorgeschlagen...) und so weiter. Erst wenn die Gesellschaft und Politik soziale Arbeit mehr anerkennt, wertschätzt und diese Arbeit auch monetär aufgewertet wird, findet man mit Sicherheit mehr Leute, die diese Jobs am Menschen machen wollen! Dann braucht es keinen Pflichtdienst.
Sabine Klug, Lindlar
Natürlich kann man über das soziale Jahr diskutieren, aber das als einen Vorschlag aus der Mottenkiste zu bezeichnen, ist schräg und zeugt von einer gewissen jugendlichen Arroganz, die sich offensichtlich auf keine oder wenig Lebenserfahrung stützt. Eine Demokratie ist in vielen Bereichen eine Solidargemeinschaft. Diese, nämlich der Staat, sorgt für die Schulausbildung, das Studium, in schwierigen Zeiten für Kurzarbeitergeld, organisiert das Gesundheitswesen, kümmert sich um Alte, Kranke und Behinderte. Die Bundeswehr ist für unsere Sicherheit da, ebenso die Polizei, die Feuerwehr und so weiter. Da könnte man auch mal etwas zurückgeben. Es sei denn, man betrachtet alles als Selbstverständlichkeit.
Ein Blick in viele andere Länder zeigt, dass es nicht selbstverständlich ist. Ein soziales Jahr würde vielen, die in einer behüteten Blase leben, einmal zeigen, dass es sehr viele Menschen gibt, die ein sehr beschwerliches Leben führen müssen und die auf unsere Hilfe angewiesen sind. Und die wahrscheinlich vom Elternhaus her oder generell schon einen schlechten Start hatten.
Man würde Empathie lernen und den eigenen Egoismus vielleicht ein wenig überwinden. Ich persönlich bin 80 Jahre alt, habe vor 57 Jahren 18 Monate lang beim Militär meinen Wehrdienst absolviert, kam mit vielen jungen Menschen zusammen– aus allen Bevölkerungsschichten – und davon habe ich profitiert und einiges für mein Leben gelernt.
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Noch heute habe ich einige Ehrenämter, deshalb betrachte ich die Bemerkung, nachdem ich über 50 Jahre gearbeitet habe, dass man auch Rentner hinzuziehen sollte, fast als persönlich beleidigend. Und dem Satz von John F. Kennedy: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann. Frage, was du für dein Land tun kannst“, dem ist nichts hinzuzufügen.
Ernst-Herbert Ullenboom, Wiehl