Berlin – Angesichts der sich ausbreitenden Omikron-Subvariante BA.5 erwarten Fachleute, dass das Coronavirus im Sommer nicht von der Bildfläche verschwindet.
„Wir erleben dieses Jahr keinen infektionsfreien Sommer, was aber zunächst nicht bedrohlich ist”, teilt der Leiter der Charité-Virologie, Christian Drosten, auf Anfrage der Deuschen Presse-Agentur mit. Im Herbst und Winter werde es wohl eine lange Infektionswelle geben. Ärztepräsident Klaus Reinhardt rief das Bundesgesundheitsministerium auf, jetzt Vorkehrungen mit den Ländern abzustimmen.
Jetzt auf den Herbst vorbereiten
In der Vergangenheit habe das Hin und Her zwischen den Beteiligten das Vertrauen der Bevölkerung in das Pandemiemanagement erheblich erschüttert, kritisierte Reinhardt in Berlin. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt sagte „Zeit online”: „Wir sollten noch vor der Sommerpause eine Verständigung über die Ziele beschließen.” FDP-Vize Wolfgang Kubicki forderte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf, die Kliniken für mögliche Herausforderungen im Herbst rechtzeitig vorzubereiten. Der Corona-Expertenrat habe dem Minister „eine Fülle an Aufgaben” gegeben, sagte Kubicki dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Die Expertinnen und Experten hatte am Vortag drei mögliche Szenarien für Herbst und Winter skizziert und eine ausreichende gesetzliche Basis für schnelle Reaktionen gefordert. Wie genau sich die Infektionslage bis dahin entwickeln wird, sei schwer abzuschätzen, wie der Epidemiologe Hajo Zeeb mitteilte. Seit einigen Tagen steigt die Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) wieder, am lag sie bei 276,9.
RKI: Verstärkter Infektionsdruck schon im Sommer möglich
Das RKI hat neue Daten zur Verbreitung der Omikron-Subvariante BA.5 im Wochenbericht veröffenlticht. „Das aktuell stärkste Wachstum zeigt der Anteil der Sublinien BA.4 und BA.5”, schreibt das RKI. Dies lasse darauf schließen, dass diese Erreger in wenigen Wochen die Mehrzahl der Nachweise ausmachen dürften.
BA.5 hat laut Bericht in einer Stichprobe von vorletzter Woche einen Anteil von 10 Prozent - damit setzte sich die Verdopplung von Woche zu Woche fort. Bei BA.4 sind es 2,1 Prozent, auch dies ungefähr eine Verdopplung zu früheren Werten.
„Aller Voraussicht nach werden sich diese beiden Sublinien stärker verbreiten, so dass es auch insgesamt zu einem Anstieg der Infektionszahlen und einem erneut verstärkten Infektionsdruck auf vulnerable Personengruppen schon im Sommer kommen kann”, warnt das RKI. Saisonale Effekte - die das Virus eigentlich ein Stück weit ausbremsen - könnten die Verbreitung dieser Varianten nicht kompensieren, wenn Verhaltensregeln nicht mehr beachtet werden.
Beunruhigende Entwicklung in Portugal
Aus der Sicht von Zeeb sollte die Lage in Portugal eine Warnung auch für Deutschland sein. „Im Nachbarland Spanien sind die Zahlen allerdings nicht so hoch gegangen, was schon darauf hinweist, dass regionale Umstände, Impfverläufe und Immunität sowie Schutzverhalten auf jeden Fall eine Rolle spielen.” Insofern erwarte er nun keinen Inzidenz-Anstieg bis hin zu den sehr hohen Werten, wie sie in der ersten Omikron-Welle erreicht worden waren.
Unabhängig davon, ob es eine Sommer-Coronawelle gebe oder nicht, müssten ohnehin Vorbereitungen für den Herbst getroffen werden, sagte der Bonner Virologe Hendrik Streeck am Mittwochabend in der ARD. Die Politik habe viele schützende Instrumente wie Impfung und Masken an der Hand.
Drosten erwartet nach eigenen Worten in Herbst und Winter „wieder eine lang anhaltende Infektionswelle” mit ganz besonders vielen Arbeitsausfällen als Folge, wenn zwischenzeitlich keine Interventionen erfolgten. Grund seien zwei Effekte: „Erstens verlieren die größten Teile der Bevölkerung bis zum Herbst den Übertragungsschutz, zumal bei den jetzt zirkulierenden Varianten die Übertragbarkeit nochmals erhöht ist. Zweitens wird die Politik wegen des erreichten Impferfolgs zunächst weniger Kontrollen anwenden.”
Es werde zu sehr vielen Fällen spätestens ab Oktober kommen, nimmt Drosten an. Dies könne sich, anders als bei einer schweren Grippewelle, wohl bis März hinziehen und personalsensitive Bereiche belasten. „Es wird schwierig sein, dies allein über eine Impfkampagne abzumildern”, erklärte der Virologe. Wer noch keinen Impfschutz habe, sollte „einmal mehr dazu ermutigt werden, das nachzuholen”. Mit ihrem Arzt über eine Auffrischung zu sprechen, riet Drosten Älteren und Menschen, die einer Risikogruppe zuzuordnen sind.
Frühestens im September Omikron-Impfstoffe verfügbar
Lauterbach erwartet im Herbst an die Omikron-Varianten angepasste Impfstoffe. Frühestens im September rechne er damit, sagte der SPD-Politiker am Donnerstag im Deutschlandfunk. Daran werde intensiv gearbeitet. Es gebe vielversprechende Daten von Moderna, auch mit Biontech sei man im Kontakt.
Das Unternehmen Moderna hatte am Mittwoch erste Daten zur Wirksamkeit seines angepassten Corona-Impfstoffes vorgestellt. „mRNA-1273.214”, so der Name des Boosters, ist eine Kombination aus dem ursprünglichen Moderna-Impfstoff Spikevax und einem speziell auf die Omikron-Variante zugeschnittenen Impfstoff-Kandidaten. Bei den insgesamt 437 Probanden der klinischen Studie, die das neue Präparat als zweiten Booster erhalten hatten, fanden die Wissenschaftler nach einem Monat deutlich mehr neutralisierende Antikörper als nach einer Booster-Impfung mit dem herkömmlichen Präparat, insbesondere gegen die Omikron-Variante. Die Impfung sei gut verträglich, Nebenwirkungen entsprächen denen nach dem herkömmlichen Booster.
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