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Nord-Stream-LecksExperten vermuten einen Sabotageakt – Motive und Hintergründe

Lesezeit 4 Minuten

Nach dem Fertigbau von Nord Stream 2 liegen 5000 Rohre im mecklenburgischen Fährhafen Mukran. In den verbauten Rohren gibt es nun jedoch mehrere Lecks.

Die Explosionen an den Ostsee-Gasröhren Nord Stream 1 und 2 können ein neues, gefährliches Kapitel in der Auseinandersetzung zwischen Russland und dem Westen aufschlagen. Hinweise auf eine gezielte Zerstörung werden dichter – ein zeitgleiches Unglück an mehreren Stellen ist unwahrscheinlich. Fachleute in Geheimdiensten, Militär und Industrie tragen ihre Erkenntnisse nun zu einem Bild zusammen.

Wie kann so ein Akt durchgeführt werden?

Sprengen unter Wasser ist kein Hexenwerk, vor allem wenn es – wie in der Ostsee – nicht um große Tiefen geht. Militärtaucher aller Nationen sind darin geübt. So werden Seeminen eines möglichen Gegners in der Regel unter Wasser kontrolliert gesprengt, nicht entschärft. Prinzipiell ist aber bei einer Pipeline noch ein zweites Verfahren zur Zerstörung denkbar, sagen Technikexperten. Die Röhre wird mit einem „Molch“ gewartet, einem ferngesteuerten Reinigungsroboter. Er kann mit Sprengstoff bestückt werden, sofern Täter Zugang zu dem System haben.

Gibt es bereits Spuren zu möglichen Tätern?

Die Ostsee gehört zu den am besten überwachten Seegebieten überhaupt. Alle Anrainer beobachten den Schiffs- und Flugverkehr mit Sensoren, auf deutscher Seite gibt es dabei hoch entwickelte Fähigkeiten. So werden Bewegungen von Fahrzeugen im Wasser verfolgt, indem die akustische Signatur aufgenommen und mit einer Datenbank abgeglichen wird. Die Marine erstellt aus all diesen Informationen ein „Unterwasserlagebild“, das allerdings bei der Beobachtung gegnerischer U-Boote an Grenzen stößt.

Zur Beweislage gehört auch das Schadensbild an der Pipeline. Weil das austretende Gas aber zunächst erheblich Blasen schlägt, ist eine genauere Analyse erst später möglich – Dänemarks Verteidigungsministerium geht von ein bis zwei Wochen aus, bis die Lecks in etwa 80 Metern Tiefe untersucht werden können.

Wer hätte etwas davon, diesen Anschlag auszuführen?

Wer eine Urheberschaft Russlands annimmt, hält es damit für möglich, dass Moskau die eigene Infrastruktur dauerhaft beschädigt und sich auch selbst die Möglichkeit nimmt, die Gasversorgung als Druckmittel gezielt an- und auszuschalten. Grundsätzlich möglich ist es auch, dass Gegner Russlands und dieser Gasröhren dem Treiben Moskaus ein Ende setzen wollten. Europäische Regierungen halten sich derzeit mit Schuldzuweisungen zurück. Bei der Suche nach dem möglichen Urheber fragen sich die Behörden auch, wer die technischen Fähigkeiten dafür mitbringt. Allgemein gilt aber ein „staatlicher Akteur“ als wahrscheinlich, falls es sich um Sabotage handelt – wovon EU und Nato ausgehen.

Wer ist in Deutschland zuständig für den Schutz der Infrastruktur?

Die CIA hatte zwar im Juni vor einem möglichen Angriff auf die Gas-Pipelines gewarnt. Sehr konkret war diese Warnung aber wohl nicht. Jedenfalls löste sie keine größeren Maßnahmen aus. Dass die Energie-Infrastruktur generell Ziel möglicher Sabotage durch in- und ausländische Akteure sein könnte, haben die Sicherheitsbehörden ohnehin im Blick. Die Verfassungsschützer von Bund und Ländern haben seit Beginn des russischen Angriffs mehrfach Unternehmen der kritischen Infrastruktur gewarnt. Im August hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) gesagt: „Wir müssen auf Attacken auf Gas-Terminals und andere kritische Infrastruktur gerüstet sein.“

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Welche Schritte zum Schutz sind aktuell geplant?

In der Koalition finden manche, dass das Benennen von Problemen nicht ausreicht. Im Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP formuliert: „Die Konzeption ,Zivile Verteidigung‘ richten wir strategisch neu aus.“ Das Ziel könnte nun sogar wichtiger sein, weil im Falle eines hybriden Angriffs die Gefahr besteht, dass der Geschädigte seinerseits ein Ziel beim Gegner sucht. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) erklärte: „Der mutmaßliche Sabotageakt an den Ostsee-Pipelines führt uns erneut vor Augen, dass wir auf kritische Infrastruktur angewiesen sind – auch unter Wasser.“ Sie habe vereinbart, Informationen mit Partnerländern zu teilen. Die Marine bringe sich bei der Aufklärung ein.

Ist die Sabotage der Pipelines ein kriegerischer Angriff?

Dänemark und Schweden betonen, dass sie nicht angegriffen worden seien. Zu den Vorfällen sei es in internationalen Gewässern in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen beider Staaten vor der Ostsee-Insel Bornholm gekommen. Die Frage eines Angriffs auf eigenem Territorium stellt sich also nicht. Deutschland ist im diesem Sinne noch weniger betroffen.

Ist eine Reparatur der beiden Gasleitungen möglich?

Der Betreiber der Pipeline Nord Stream 1 schließt eine Reparatur des beschädigten Doppelstrangs zumindest derzeit nicht aus. Für eine Beurteilung müssten zunächst die Schäden begutachtet werden, sagte ein Sprecher. Das setze aber voraus, dass die Behörden die verhängten Sperrzonen aufhöben. Erst nach einer Begutachtung könne man ein Vorgehen festlegen.

Auch der Nord Stream 2 AG sind die genauen Schäden an ihrer weitgehend parallel verlaufenden Pipeline noch unbekannt. Es könne „kein Mensch momentan seriös sagen, wie es da unten aussieht“ und welche technischen Möglichkeiten es nun gebe, sagte Sprecher Ulrich Lissek. Er sprach von einem möglichen „Riesenriss“. Für die Nord Stream 2 AG dürften Erkundungen und Reparaturen auch deshalb schwierig werden, weil das Unternehmen unter US-Sanktionen steht, die Geschäfte mit dem Unternehmen mit Sitz in der Schweiz unmöglich machen. (dpa)