Angst vor einer nuklearen BedrohungWie ernst ist Putins Atomschlag-Drohung?
Berlin – Noch am 3. Januar 2022 waren sich die Atommächte USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien einig. „Ein Atomkrieg kann nicht gewonnen werden und darf nie geführt werden“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. Das war einmal.
Inzwischen hat Wladimir Putin gedroht, die umkämpften Gebiet in der Ost- und Südukraine nach einem Anschluss an Russland als eigenes Territorium auch mit dem Einsatz von Atomwaffen zu verteidigen und versichert: „Das ist kein Bluff!“ Was schwebt dem russischen Präsidenten vor?
Grundsätzlich gibt es zwei Arten von Atomwaffen: strategische und taktische. Der Radius, innerhalb dessen diese Waffen Zerstörung anrichten, variiert je nach Größe der Bombe zwischen wenigen hundert Metern bis zu Dutzenden Kilometern. Die Sprengkraft hängt von der Art der Bombe und der Anzahl der Sprengköpfe ab sowie davon, ob sie in der Höhe oder am Boden gezündet wird.
Strategische Atomwaffen
Strategische Atomwaffen kommen nicht im direkten Gefecht zum Einsatz. Stattdessen können sie eine Strecke von Tausenden Kilometern zurücklegen und nahezu jeden Punkt der Welt erreichen.
Unter diese Gattung fallen mit Nuklearsprengköpfen ausgestattete Langstreckenbomber, ballistische Raketen, die von U-Booten aus gestartet werden können, und Interkontinentalraketen. Sie können ganze Landstriche dem Erdboden gleichmachen und infolge des Fallouts für lange Zeit verseuchen.
Lob für Atomindustrie
Inmitten der jüngsten Atomdrohungen Russlands gegen den Westen hat Kremlchef Wladimir Putin den Beitrag der russischen Nuklearindustrie zur Aufrüstung gelobt. „Ich möchte besonders Ihren gewichtigen Beitrag zur Entwicklung der neuesten, beispiellosen Waffentypen hervorheben, die das nukleare Gleichgewicht und die Verteidigungsfähigkeit unseres Staates zuverlässig gewährleisten“, schrieb Putin in einem Glückwunschtelegramm zum russischen Tag der Arbeiter der Atomindustrie. Um weiter an der Spitze zu bleiben, müssten der breite Einsatz von Spitzentechnologien, der Ausbau der Grundlagenforschung und die Ausbildung von hoch qualifiziertem Personal Priorität haben, betonte Putin. (dpa)
Der Fallout ist der radioaktive Niederschlag. Er besteht aus den strahlenden Partikeln aus Waffenresten, Spaltprodukten und bestrahltem Boden. Die winzigen Partikel können sich am Boden ablagern und auch entferntere Gebiete radioaktiv verseuchen, wenn der Wind sie weg trägt und verteilt.
Taktische Atomwaffen
Taktische Atomwaffen dienen ähnlich wie konventionelle Waffen zur Bekämpfung gegnerischer Streitkräfte. Sie können etwa Militärbasen, Bataillone und Infrastruktureinrichtungen zerstören. Ihr Wirkungskreis und ihre Sprengkraft sind geringer als bei strategischen, aber immer noch deutlich höher als bei herkömmlichen Waffen.
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Taktische Nuklearwaffen lassen sich dosieren und verfügen über eine Sprengkraft zwischen 0,3 und 100 Kilotonnen. Zum Vergleich: Die Atombombe, die die USA auf Hiroshima abwarfen, hatte 15 Kilotonnen. Der größte strategische Sprengkopf der USA hat eine Sprengkraft von 1,2 Megatonnen.
Wenn der Kreml nun mit nuklearen Waffen droht, ist damit laut Militärexperten vor allem der taktische Einsatz gemeint. „Putin könnte sich auf eine Kombination von Drohungen und möglicherweise auf den Einsatz von nicht-strategischen Atomwaffen mit geringerer Reichweite und geringerer Sprengkraft verlassen, um die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer zu schockieren“, schreibt etwa der Atomwaffenexperte James Cameron vom Forschungsprojekt „Oslo Nuclear Project“: „Ziel wäre es, sie zu zwingen, aus Angst vor weiterer Eskalation ein Ende des Kriegs zu Russlands Bedingungen anzustreben.“
Demonstrationsschlag
Als Möglichkeit gilt Beobachtern auch ein Demonstrationsschlag. Hier käme eine taktische Atomwaffe nicht im Gefecht zum Einsatz, sondern als Abschreckung in großer Höhe, zum Beispiel über dem Schwarzen Meer oder dünn besiedelten Gebieten. Dies diente als Warnung des Kreml: Seht her, wir sind bereit, Atomwaffen einzusetzen.
Sollte Putin tatsächlich operativ-taktische Kernwaffen über der Ukraine zünden, würde – je nach Sprengkopf und Wind – auch die Nachbarschaft etwas vom radioaktiven Niederschlag spüren, ähnlich wie nach einem Reaktorunfall.
Beim Einsatz einer kleinen taktischen Kernwaffe in spärlich besiedeltem Gebiet „wären Hitze-, Druckwelle und Strahlung voraussichtlich auf wenige Kilometer begrenzt. Über den Einsatzort hinaus würde je nach Wetterlage radioaktiver Fallout verbreitet werden. Aber voraussichtlich nicht über hunderte Kilometer hinweg“, analysiert die Umweltorganisation Greenpeace.
Flucht vor dem Fallout
Ganz anders sehe es bei einem Angriff auf eine Stadt oder einen großen Militärstützpunkt mit einer mittleren oder großen Atomwaffe aus. Infolge von Strahlung, Druck- und Hitzewelle könne es zehntausende Tote und Verletzte geben.
„Wege und Rettungseinrichtungen wären voraussichtlich zerstört. Der elektromagnetische Schock könnte die Kommunikationstechnik zerstören. Viele Menschen im Umkreis einer bombardierten Stadt in der Ukraine wären gefährdet, denn der radioaktive Niederschlag könnte über mehrere Jahre zu vielen schweren Erkrankungen führen“, so die Einschätzung der Greenpeace-Nuklearexperten. Je nach Schwere würden noch mehr Menschen aus der Ukraine fliehen müssen.
Und dann wäre da noch die mögliche militärische Vergeltung. US-Präsident Joe Biden warnte schon anlässlich früherer Drohungen aus Moskau, dass der Einsatz russischer Atomwaffen „das Gesicht des Krieges verändern würde wie nichts anderes seit dem Zweiten Weltkrieg“.