Im hohen Norden Norwegens proben Bundeswehr-Soldaten als Teil einer gigantischen Übung westlicher Armeen, die sich über mehrere Monate und viele europäische Länder erstreckt.
Kalter Krieg gegen PutinNato beginnt größte Truppen-Übung seit Ende des Kalten Krieges
„Eigentum Bund“ steht auf den Schneeschuhen, die Hauptmann Thomas Schmaus von der Gebirgsjägerbrigade 23 mir an einem kalten Dienstagmorgen im Februar überreicht. Der Bayer ist Presseoffizier seiner Einheit und hat mich gerade auf dem kleinen Flughafen Bardufoss kurz vorm Ende der Welt abgeholt, um dann mit mir auf einer Straße, die eher wie eine Bobbahn wirkt, zum wirklichen Ende zu fahren: einem Truppenübungsplatz im eisigen Norden Norwegens, umrahmt von malerischen Gipfeln, tief bedeckt von glitzerndem Schnee.
An einer rot-weißen Schranke endet die Fahrt. Weiter kommen wir jetzt nicht mit dem Auto, den Rest legen wir mit Schneeschuhen zurück. Unser Ziel: Die zweite Kompanie, die an diesem Tag üben soll, sich in einer kleinen Senke bereitzuhalten. Bereithalten, das bedeutet in diesem Fall: tiefe Löcher in den Schnee graben, um darin erst ein Zelt aufzustellen und dann auch dort zu übernachten. Spähtrupps zusammenstellen, Streifen einteilen, Alarmposten beziehen.
Proben für den Ernstfall: Mit dabei bei Truppenübungen der Nato
Die einzelnen Züge der Kompanie stehen mit ihren Fahrzeugen und der sauber gestapelten Ausrüstung verstreut an den Rändern des kleinen Tals. So sind sie besser zu tarnen und geben kein so leichtes Ziel für den imaginären Feind ab. Die Soldaten sind voll beschäftigt: Einige erkunden auf Skiern geeignete Plätze für die Alarmposten. Andere schaufeln die Löcher für die Zelte. Und wieder andere stehen sorgenvoll um einen halbversunkenen Hägglunds herum.
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Das Kettenfahrzeug, sonst immun gegen fast jede Art von Schwierigkeit, ist in einen unter der dicken Schneeschicht verborgenen See eingebrochen. Auf diesem See stehen in Schneeschuhen auch wir – bis der Ruf des Kompaniechefs uns aus dem Gespräch reißt. Alle sofort runter von der Eisfläche, nur noch entlang der sichtbaren Büsche und in den ausgefahrenen Spuren bewegen, lautet der Befehl. Bloß nicht noch mehr Verluste.
Größte Nato-Übung seit Ende des Kalten Krieges
Nur die schon von den Fahrzeugen ausgefahrenen Spuren zu benutzen, ist auch sonst eine gute Idee – so machen es auch die Gebirgsjäger, die auf ihren Skiern im Tal unterwegs sind: Wenn alle dieselben Spuren benutzen, kann der Feind später, wenn alle wieder abgezogen sind, nicht erkennen, wie zahlreich die eigenen Truppen eigentlich sind. Das und mehr lernt man, wenn man mit den Gebirgsjägern unterwegs ist. Sie sind die Spezialisten der Infanterie, sobald Gelände und Klima schwierig werden.
Der Feind, das wird an diesem Tag hier nicht ausgesprochen, sonst aber sehr ausdrücklich schon, ist Russland. Die Übung, auf die sich die Soldaten aus Bad Reichenhall hier vorbereiten, heißt nicht mehr wie in früheren Jahren „Cold Response“, sondern „Nordic Response“. Der Rahmen ist die größte Nato-Übung seit Ende des Kalten Krieges.
Russland wird als Adressat klar benannt
Kalt ist der Krieg in Europa seit dem russischen Angriff auf die Ukraine vor zwei Jahren nicht mehr. Die Großübung „Steadfast Defender“ („Standhafter Verteidiger“) soll ein Statement sein: Simuliert wird ein russischer Angriff auf ein Nato-Land. Damit greift Artikel 5 des Nordatlantik-Vertrags. Der sogenannte „Bündnisfall“ tritt ein, wenn ein Mitglied angegriffen wird. Die Nato begreift das als einen Angriff auf alle. Entsprechend werden die Kräfte gebündelt, um sich gegen den Aggressor zu verteidigen. In früheren Jahren wurde das Szenario etwa mit „Land blau“ gegen „Land rot“ umschrieben. Nun ist der Feind Russland, und das wird auch klar von Seiten der Nato kommuniziert.
Die Arktis mag Mitteleuropäern entlegen vorkommen, das Gegenteil aber ist der Fall. Russland hat hier direkte Grenzen zu Norwegen und Finnland und außerdem handfeste Interessen im Nordmeer. Die hat auch die Nato und mit ihr die Amerikaner, egal was Donald Trump im Wahlkampf sagt – im äußersten Norden verlaufen wichtige Seekabel, in Spitzbergen steht eine der wichtigsten Satellitenstationen der Welt. Durch den Klimawandel ist die Nordostpassage immer häufiger eisfrei und damit ein direkter Seeweg von Sibirien nach Alaska.
Soldaten sind wachsam: Seltsame Vorkommnisse werden sofort gemeldet
Russland hat diese Region schon lange auf dem Radar, zuletzt häuften sich Berichte über verdächtige Schiffsbewegungen, Spionage und Sabotage. Auch auf dem Truppenübungsplatz bei Bardufoss gab es schon verdächtige Vorkommnisse. „Da steht mal ein Auto mit Antennen, es gibt seltsame Spam-Mails und Anrufe oder es fliegt plötzlich eine Drohne“, sagt Hauptmann Thomas Schmaus. Die Soldaten seien sensibilisiert, alles Verdächtige sofort zu melden. Wie gut das funktioniert, merkt die Bundeswehr in diesen Tagen: Auch die vorher angemeldete eigene Drohne eines Bundeswehr-Presseteams, das Bilder für ihre PR machen will, wird von den Soldaten gemeldet. Sicher ist sicher.
Während die eine Kompanie das Bereithalten übt (und ihren im See eingebrochenen Hägglunds tatsächlich wieder herausbekommt), geht es bei der nächsten ums Fahrtraining in Schnee und Eis auf unbefestigten Wegen. Hier kommt der Wiesel ins Spiel. Mit ihm kann man fast alles machen – Raketen abschießen (oder, wie die Bundeswehr sagt: Lenkflugkörper), ihn in Hubschrauber verladen und am Fallschirm aus Flugzeugen werfen zum Beispiel. Nur einen steilen Hügel im Tiefschnee hochjagen, das kann man ihn nicht, wie sich jetzt herausstellt.
Schwächen der Ausrüstung werden sichtbar
Beim ersten Versuch bleibt er auf halber Strecke stecken, seine Ketten und damit sein Profil sind zu schmal. Die Soldaten fangen an zu schaufeln. Noch ein Versuch, wieder nichts – der Wiesel gräbt sich ein. Beim dritten Mal soll es mit ausgelegten Holzplanken gehen, doch die drückt der Wiesel mit seinem Gewicht nur tief in den Schnee. Die Soldaten schuften, aber am Ende muss der Hägglunds kommen, der sich in seiner Wintertarnbemalung wie eine kleine grünschwarze Raupe samt Anhänger unbeirrt durch jedes Gelände frisst – er zieht den Wiesel hoch.
Das wird so im Ernstfall also nicht funktionieren, was gut zu wissen ist. Genau dafür sind solche Übungen auch da. Aber was folgt daraus? Es ist die Frage, die sich bei der unterfinanzierten Bundeswehr immer stellt, trotz vielbeschworener Zeitenwende: Wenn sie etwas Bestimmtes leisten soll – in diesem Fall also in alpinem Gelände auf unbefestigten Wegen beweglich sein und kämpfen –, muss sie dafür auch ausgerüstet werden.
Später, wenn Anfang März der Minister kommt, wenn Nato und Bundeswehr Medientage veranstalten, wird die Großübung „Quadriga“ in vollem Gange sein – mit Marine, Heer und Luftwaffe und den Alliierten. Dann geht es um die Zusammenarbeit, um Kommandostrukturen, um Aufgabenteilung. Bei Ministerbesuchen und Medientagen gibt es ein Programm, das spektakulär ist und die Truppe von ihrer besten Seite zeigt. Für die Bundeswehr selbst viel wichtiger sind Übungsergebnisse wie dieses, bei dem die eigenen Fähigkeiten, aber gerade auch die Grenzen sichtbar werden. Sie helfen, Lösungen zu finden, damit im Ernstfall eben niemand steckenbleibt. Dass aber der Ernstfall gar nicht erst eintritt: Auch dafür trainieren sie hier, an der kalten Nordflanke der Nato.
Abschreckung und Training für den Ernstfall: Die Großmanöver von Bundeswehr und Nato
Es ist die größte Übung deutscher Landstreitkräfte seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine: Am jetzt angelaufenen Großmanöver „Quadriga“ sind insgesamt mehr als 12000 Männer und Frauen der Bundeswehr beteiligt, vor allem aus dem Deutschen Heer. Die beteiligten Soldaten trainieren dabei die Alarmierung, die Verlegung an die Außengrenzen der Nato im Nordosten und Südosten sowie das Gefecht.
„Quadriga“ ist der deutsche Teil des noch weitaus größeren Nato-Manövers „Steadfast Defender“, für das bis Ende Mai insgesamt rund 90000 Soldaten mobilisiert werden. An der größten Nato-Übung seit Jahrzehnten beteiligen sich alle 31 Bündnisländer und der Beitrittsanwärter Schweden. Abschreckung ist – neben dem Trainingseffekt – ein Hauptziel inmitten zunehmender Warnungen, dass Russland künftig bereit sein könnte, den Bündniswillen der Nato auf die Probe zu stellen.
Das Bundeswehr-Manöver erstreckt sich über einen Zeitraum von fünf Monaten. Der Name „Quadriga“ verweist auf den von einem Vierergespann gezogenen römischen Streitwagen, denn die Übung hat vier größere Stoßrichtungen: darunter die Verlegung von Truppenteilen nach Norwegen („Grand North“) und in den Südosten des Bündnisses („Grand South“). Auch mehrere hundert Spezialkräfte der Truppe sind eingebunden. Der Schwerpunkt des Jahres liegt dann beim Übungsteil „Grand Quadriga“ im April und Mai: „Die 10. Panzerdivision verlegt auf verschiedenen Wegen Soldatinnen und Soldaten mit Gefechtsfahrzeugen nach Litauen und zeigt dort in einem Gefecht ihre Fähigkeit zum Kampf“, schreibt die Bundeswehr.
„Grand North“ ist zeitlich der erste der vier „Quadriga“-Teile. Die umfangreichen Vorbereitungen liefen bereits seit Monaten. Beteiligt ist vor allem die Division Schnelle Kräfte (DSK) des Heeres. Im Anschluss an die Verlegung von Soldaten und Material in den äußersten Norden des Bündnisgebietes geht es dort bei der Nato-Übung „Nordic Response“ um den Kampf unter extremen Wetterbedingungen, gemeinsam mit Norwegen, Finnland und Schweden sowie weiteren Partnern.
Die Teilnahme der Bundeswehr an „Stead- fast Defender“ kostet den Bund knapp 90 Millionen Euro. Mit 50 Millionen Euro falle davon mehr als die Hälfte für Transportkosten an, zitierte der „Spiegel“ aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des „Bündnisses Sahra Wagenknecht“ (BSW). Acht Millionen Euro kosten demnach Mieten und Pachten, 5,5 Millionen Euro entfallen auf Dienstreisen, 23,5 Millionen Euro sind „sonstige Übungskosten“. (dpa/afp/EB)