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Nach Bidens RückzugWelche Chancen hat Harris gegen Trump, Herr Jäger?

Lesezeit 4 Minuten
05.07.2024, USA, Washington: US-Präsident Joe Biden hebt die Hand von US-Vizepräsidentin Kamala Harris, nachdem er vom Balkon des Weißen Hauses aus das Feuerwerk zum Unabhängigkeitstag über der National Mall betrachtet hat, Donnerstag, 4. Juli 2024, in Washington. Biden ist am Sonntag, dem 21. Juli, aus dem Rennen um das Weiße Haus 2024 ausgestiegen und hat seine Kandidatur beendet. (Wiederholung mit verändertem Bildausschnitt) Foto: Evan Vucci/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Alles läuft auf sie heraus: Vizepräsidentin Kamala Harris an der Seite von Präsident Joe Biden. Das Foto stammt vom US-Unabhängigkeitstag am 4. Juli 2024.

Welche Folgen hat der Verzicht von Joe Biden auf eine neue Bewerbung? Welche Chancen hat Vizepräsidentin Kamala Harris als Kandidatin, und welche Rolle wird nun das Alter von Donald Trump im Wahlkampf spielen? Fragen an den Kölner Politikwissenschaftler Prof. Thomas Jäger.

Hat Joe Biden seiner Partei einen Gefallen getan?

Ganz sicher nicht, und das wollte er auch nicht. Er hat darauf reagiert, dass seine Parteifreunde ihn fallengelassen und zum Rücktritt gedrängt haben. Er hat keinen anderen Weg mehr gesehen. In jedem anderen Fall hätte man ja einen Prozess angelegt. Man hätte überlegt, wie kann man die Botschaft am besten rüberbringen? Was ist überhaupt die Botschaft? Wer ist die Kandidatin? Können wir uns vorher auf sie einigen? Welche Unterstützer melden sich wann zu Wort? Diese Chance haben die Demokraten jetzt nicht. Und insofern hat er seiner Partei in dieser Art und Weise überhaupt keinen Gefallen getan. Ob das am Ende so kommt, dass Vizepräsidentin Kamala Harris, auf die jetzt alles rausläuft, bessere Umfragewerte bekommt als er, das müssen wir noch abwarten.

Donald Trump hat aber wütend reagiert, sein Unterstützer Elon Musk spricht von einem Putsch. Das hört sich doch so an, als sei ihnen die Ernte verhagelt: Jetzt ist Trump der älteste Präsidentschaftskandidat aller Zeiten und bekommt es mit einer 20 Jahre jüngeren Frau zu tun.

Musk und die Republikaner wollen den Eindruck erwecken, die Demokraten zerstörten die Demokratie. Sie hätten einen Kandidaten, der die Stimmen in den Vorwahlen bekam, und dann schickten sie ihn weg. Ich teile aber die Einschätzung nicht, dass fortan Donald Trumps Alter im Vordergrund steht. Solange Biden Präsident ist, wird das Argument sein: Ihr habt den ältesten Präsidenten, einen, der es nicht kann, der noch nicht mal Wahlkampf machen kann.

Also, wenn Biden bleibt, können die Demokraten nicht mit Trumps Alter argumentieren. Und wenn er geht, wird das für Harris noch viel, viel schwieriger, Profil zu gewinnen.

Kann Biden sich denn überhaupt im Amt halten?

Das ist die große Frage. Einer seiner Brüder hat jetzt erklärt, dass bei der Entscheidung die Gesundheit von Joe Biden eine große Rolle gespielt hat. Das bringt die Vizepräsidentin in eine richtige Klemme. Wenn Biden amtsunfähig wäre, müsste sie verfassungsmäßig versuchen, aus dem Amt zu bringen. Darauf werden die Republikaner herumreiten. Aus der Partei wird es Druck auf Biden geben, zurückzutreten, um Harris den Amtsbonus als Präsidentin zu verschaffen. Aber wie soll sie sich da einarbeiten und zugleich Wahlkampf machen? Also, wenn Biden bleibt, können die Demokraten nicht mit Trumps Alter argumentieren. Und wenn er geht, wird das für Harris noch viel, viel schwieriger, Profil zu gewinnen.

Wie kann die Entscheidungsfindung bei den Demokraten funktionieren? Am 7. Oktober müssen sie in Ohio jemanden auf den Wahlzettel schreiben …

Sie müssen sich nächste Woche entscheiden. Der Parteitag ist zwar Mitte August, aber wegen der Meldefrist für den Wahlvorschlag in Ohio war ursprünglich geplant, am 1. oder 2. August den Kandidaten digital zu wählen. Ob das so klappt, kann man heute nicht sagen. Bezeichnend ist, dass zwar viele prominente Demokraten Harris unterstützen, Barack Obama und Nancy Pelosi sich aber raushalten. Dabei waren sie es, deren Druck letztlich dazu führte, dass Biden verzichtete. Und jetzt habe ich den Eindruck, Obama und Pelosi wollen nicht dafür verantwortlich sein, wenn Harris die Wahl verliert. In den Umfragen liegt sie deutlich hinter Trump. [Anmerkung der Redaktion: Pelosi hat sich am Montagabend - deutscher Zeit - dann doch hinter Harris gestellt, das Interview war am Montagmorgen geführt worden.]

Auf ein Untergangticket will ja niemand drauf.

Hat sie denn Chancen aufzuholen? Je nachdem, wen sie als Vizepräsidentschaftskandidaten benennt?

Das muss man geografisch und inhaltlich bewerten. Die geografische Bewertung: Harris ist vor allem im Nordosten, also von Wisconsin bis Pennsylvania und Virginia, nicht gut aufgestellt. Aber auch in Nevada und Arizona liegt sie deutlich hinter Trump. Das heißt, sie muss jemanden suchen, der die Wählerschaft dort anspricht. Das wird die erste Aufgabe sein. Dazu kommt die inhaltliche Frage. Sie hat als Frau einen großen Vorteil gegenüber den Frauen als Wählergruppe, weil das Thema Abtreibung eine wichtige Rolle für sie spielt, ein Thema, über das Trump am liebsten nicht redet, wo er auch nichts zu bieten hat, was bei den Frauen positiv aufgenommen würde. Sie hat einen großen Nachteil, weil sie in den zwei wichtigsten Themen für die Bevölkerung, nämlich Einwanderung und Inflation, kein Profil hat. Sich das zu erarbeiten ist in den wenigen Wochen bis zur Wahl Wochen eine ganz, ganz schwere Aufgabe.

Mit wem zusammen könnte sie theoretisch antreten?

Es gibt momentan drei Namen, die kursieren. Nämlich die Gouverneure von Illinois und von Pennsylvania, Bob Pritzker und Josh Shapiro, und Gouverneurin Gretchen Whitmer aus Michigan. Die hat aber schon abgewinkt. Ob die anderen wollen, wird davon abhängen, was die internen Umfragen ergeben. Auf ein Untergangticket will ja niemand drauf. Und dann laufen hinter den Kulissen Machtspiele, man wird austesten wollen, wer wo wie welche Wählergruppen ansprechen kann. Biden hat seine Partei eben überrascht, die Demokraten konnten sich eben nicht wirklich auf diese Lage vorbereiten.

Prof. Thomas Jäger, Politologe, Köln

Prof. Thomas Jäger lehrt Internationale Politik an der Universität zu Köln.