AboAbonnieren

Interview

Mossad-Aktion gegen Hisbollah
Steht der Nahe Osten vor dem großen Krieg, Herr Jäger?

Lesezeit 4 Minuten
Ersthelfer des Zivilschutzes bringen einen verletzten Mann, dessen tragbarer Pager explodiert ist, ins al-Zahraa-Krankenhaus.

Ersthelfer des libanesischen Zivilschutzes mit einem Verletzten, dessen tragbarer Funkempfänger (Pager) explodiert ist.

Die offensichtlich vom israelischen Geheimdienst ausgelösten Explosionen von Funkgeräten haben die Hisbollah schwer getroffen. Wie wird ihre Schutzmacht Iran reagieren? Und steht Israel jetzt unter Zugzwang? Fragen an den Kölner Politologen Thomas Jäger.

Werden die Mossad-Anschläge auf die Hisbollah zur Eskalation, zum großen Krieg im Nahen Osten führen?

Ich erwarte keine solche Eskalation. Ich erinnere an die Tötung des Hisbollah-Kommandeurs Fuad Schukr in Beirut und von Hamas-Chef Ismail Hanije in Teheran Ende Juli. Auch da gab es die Prognose, der Iran müsse jetzt kurzer Frist schwer zurückschlagen. Das ist nicht geschehen, weil weder Israel noch der Iran ein Interesse daran haben, einen regionalen Krieg zu führen. Das war auch damals schon klar, jedenfalls für mich. Was wir jetzt erleben, ist eine Aktion im Schattenkrieg, das heißt eine Maßnahme gegen die Hisbollah. Von der man jetzt noch nicht so genau weiß, wie man sie am Ende einschätzen muss. Ob das die Vorbereitung zu etwas Größerem war. Ob das der Versuch war, der Hisbollah wesentliche Fähigkeiten zu diesem Zeitpunkt zu nehmen. Oder ob man das jetzt gemacht hat, weil man fürchtete, irgendwann kommt es raus, wenn wir nicht schnell handeln.

Aber hat sich Israel jetzt nicht selbst unter Zugzwang gesetzt? Man hat Chaos bei der Hisbollah angerichtet und müsste das jetzt eigentlich ausnutzen, oder?

Das wäre eine der genannten Möglichkeiten, die Aktion zu interpretieren. In der Hisbollah herrscht jetzt sicher helle Aufregung. Diejenigen, die noch irgendwelche Kommunikationsmittel haben, werden sie wahrscheinlich nicht mehr bei sich tragen. Die Strukturen sind zumindest zeitweise außer Gefecht gesetzt, weil angesichts der großen Zahl von Verletzten die gewohnten Kommandowege nicht mehr gangbar sind. Das alles könnte man als Auftakt zu einer israelischen Invasion sehen. Nur: Davon ist nichts zu erkennen. Und deswegen meine Bewertung, dass das eben eine Maßnahme im Schattenkrieg ist, die von der Gegenseite auch wieder in diesem Schattenkrieg beantwortet werden wird.

Also eine Fortsetzung der Auseinandersetzung auf dem Niveau, das wir seit dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 erleben?

Ja. Wobei Israel als ein weiteres Ziel seiner militärischen Maßnahmen jetzt verkündet hat, dass die Zehntausenden, die ihre Häuser und Wohnungen nahe der libanesischen Grenze verlassen mussten, zurückkehren sollen. Dazu soll sich die Hisbollah so weit zurückziehen, wie es in der UN-Resolution 1701 festgelegt wurde, also etwa 30 Kilometer von der Grenze entfernt. Das macht die Hisbollah derzeit nicht aus Solidarität mit der Hamas. Und Israel will diesen Rückzug erreichen.

Haben wir jetzt nicht auch in der EU ein Problem? Die Hisbollah kauft Funkgeräte einer taiwanesischen Firma, die einen ungarischen Lizenznehmer hat, und ein ausländischer Geheimdienst manipuliert diese Ware …

Die Frage ist natürlich, wer da noch alles in die Produktionskette und Lieferwege involviert war. Wir wissen ja gar nicht, wer welches spezifische Teil hergestellt und eingebaut hat. Aber klar ist, es gibt die große Gefahr, dass Produkte manipuliert werden. Das kann Elektronik sein, das können Alltagsprodukte sein wie Deo-Spraydosen. Dabei muss es nicht darum gehen, gezielt eine Gruppierung zu treffen, es kann auch ein gegen die Allgemeinheit gerichteter Anschlag sein. Die EU wird dagegen nichts anderes machen können als dafür zu sorgen, dass die Lieferketten kontrolliert werden.

Nochmal zurück in den Nahen Osten selbst. Die USA bemühen sich seit Monaten um eine Verhandlungslösung, um die Geiseln der Hamas freizubekommen. Hat sich an den Voraussetzungen dafür jetzt irgendetwas geändert?

Es gab nie den Punkt, an dem man sozusagen nur noch einen Schritt vor einer Lösung stand. Das haben die Amerikaner zwar so dargestellt, um den Druck auf alle Seiten zu erhöhen. Aber es war stets von Beginn an so, dass die Interessen der beiden Konfliktparteien eben nicht auf eine Lösung gerichtet waren. Für den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu geht es um seine politische Zukunft und damit ja auch um seine Immunität, den Schutz vor Strafverfolgung. Sein wesentliches Ziel sind die Zerschlagung der Hamas und die Kontrolle der Sicherheit im Gazastreifen, und umgekehrt versucht die Hamas, auf militärischem Weg ihre eigene Existenz zu sichern. Deshalb haben beide Vorwände gesucht, um ein Abkommen zu verhindern.

Prof. Thomas Jäger, Politologe, Köln

Prof. Dr. Thomas Jäger lehrt Internationale Politik an der Universität zu Köln.

Die Hamas weiß angeblich nicht, wie viele lebende Geiseln sie noch in ihrer Gewalt hat, Israel hat gesagt, wir zählen bei so einem Abkommen überhaupt nur die lebenden Geiseln, die Hamas verlangt wieder, man müsse auch die Toten zählen. Hinzu kommt, dass in dem US-Plan als Phase 3 eine Zwei-Staaten-Lösung enthält, die aber gar nicht definiert ist. Was soll das wirklich bedeuten? Man könnte natürlich sagen, das sei der Reiz des US-Vorschlags gewesen: Wir fangen mal an mit einer Waffenruhe und verhandeln uns dann zu diesem Ziel hin. Genau das begründet aber auch die Skepsis beider Seiten. Sie fragen sich: Auf was lassen wir uns da überhaupt ein? Wir wissen ja gar nicht, was am Ende rauskommt. Deswegen war ich immer skeptisch, ob der Plan wirklich umgesetzt werden kann. Und wenn, dann nur unter anhaltend gleich hohem Druck auf beide Seiten. Aber der Druck war nicht groß genug.