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Interview

Menschenwürde und Menschenrechte
Warum sind Kirchenleute bei Merz strenger als bei Trump, Herr Zollner?

Lesezeit 6 Minuten
Menschenkette: Aktion in Nürnberg zum 75. Jahrestag der Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 2023.

Menschenkette: Aktion in Nürnberg zum 75. Jahrestag der Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 2023.

Finden Kirchen überhaupt noch Gehör, wenn sie sich über Menschenwürde und Menschenrechte äußern? Fragen an den Theologen Hans Zollner im Rundschau-Interview.

Immer wieder melden sich die Kirchen markant zu Wort, wenn es um Menschenwürde und Menschenrechte geht – zuletzt im Streit um den Fünf-Punkte-Plan der CDU zur Begrenzung der irregulären Migration. Aber finden sie überhaupt noch Gehör? Und haben sie noch die Kompetenz für dieses Thema? Fragen an den als Kinderschutzexperten bekanntgewordenen Jesuiten Prof. Hans Zollner.

In früheren Jahrzehnten konnte man die Kirchen jedenfalls in Deutschland als eine Art Ethikagenturen wahrnehmen. Wenn es in Fragen der Würde und den unveräußerlichen Rechten aller Menschen ans Eingemachte ging, ob in der Bioethik oder bei sozialen Fragen, erwartete man förmlich ein gemeinsames Wort der katholischen Bischöfe und des EKD-Rats. Trügt mein Eindruck, oder haben die Kirchen hier an Einfluss verloren?

Ich würde sagen, die Art und Weise des Einflusses der Kirchen hat sich verändert. Angesichts einer sich immer weiter pluralisierenden Gesellschaft ist die Stimme der Kirchen eine unter vielen. Anders als vielleicht früher müssen sie jetzt mehr argumentieren, um Verständlichkeit ringen und um Akzeptanz werben. Das muss kein Nachteil sein, es ist auch ein positiver Lernprozess für die Kirchen.

Die Idee universeller Menschenrechte wird von verschiedenen Seiten attackiert. Seit Jahrzehnten propagieren zum Beispiel islamische Staaten ein eigenes Menschenrechtsverständnis. Die AfD wendet sich in der China-Politik gegen einen „moralischen Werteexport“. Dahinter steht die Vorstellung, Menschenrechte seien ein westliches Konzept, das man anderen Kulturen nicht überstülpen dürfe. Wie lässt sich dem begegnen?

Die Idee der universellen Menschenrechte ist eine große Errungenschaft. Sie sind das Bollwerk gegen jede Art von Tyrannei, Menschenschlächterei und Willkür. Wollen wir aber nicht bloß bei großen und hehren Worten stehenbleiben, so kommen wir um eine schwierige Frage nicht herum. Wie konkretisieren sich die universellen Menschenrechte in den einzelnen unterschiedlichen Kulturen? Wie geht man z. B. damit um, dass es Kulturen gibt, die den einzelnen ein anderes Gewicht geben als der Gemeinschaft, in denen das Personsein eher von der Familie, vom Stamm oder der Kaste her erlebt wird als vom Individuum her – anders als wir das in unseren Breiten gewohnt sind? Wo ist die Grenze, und wo sind die Notwendigkeiten für legitime Unterschiede? Darüber müssen wir reden, diskutieren, bereit sein, voneinander zu lernen und sich anregen zu lassen.

Andererseits – gerade dann, wenn es kein islamisches, chinesisches oder russisches Menschenrechtsverständnis geben kann, dann ist es auch schwierig, mit christlichen oder gar spezifisch katholischen Vorstellungen zu argumentieren, oder? Die Mehrheit der Menschen weltweit und auch in vielen europäischen Staaten gehört gar keiner Kirche an. Was können die Kirchen dann über den eigenen Raum hinaus beitragen?

Die Kirchen und ihre Mitglieder haben ein Sinn- und Wertesystem, das sie als für sich und ihr Leben als hilfreich und zutreffend empfinden. Sie möchten die damit verbundenen positiven Erfahrungen anderen nicht vorenthalten und bieten es als Anregung für andere an. Das heißt dann noch lange nicht, dass diese anderen die damit verbundenen Überzeugungen, Sichtweisen und Haltungen verstehen, geschweige denn übernehmen. Da braucht es eben Nachdenken, Austausch, Lernbereitschaft und vor allem Glaubwürdigkeit.

Hexenverbrennungen, Ketzerverfolgung und gegenseitige Verdammungen sind bekanntermaßen schon seit einiger Zeit out…
Hans Zollner

Und wenn sich nicht einmal mehr die Kirchen untereinander einig sind, zum Beispiel in Deutschland bei der Frage der Abtreibung?

Da gilt das gleiche. Hexenverbrennungen, Ketzerverfolgung und gegenseitige Verdammungen sind bekanntermaßen schon seit einiger Zeit out…

Gegenüber der CDU und ihren Migrationsplänen ist man streng, dagegen erhält ein Donald Trump Beifall katholischer Bischöfe, obwohl er massenhaft Leute deportieren lässt und rechtsstaatliche Kontrollen aushebelt. Und gegenüber Herrn Putin ist der Vatikan ziemlich leise. Mir kommt das nicht so richtig konsistent vor – Ihnen?

Trotz oftmals gegenteiliger Alltagsmeinung sind die Kirchen kein monolithischer Block, auch nicht die katholische. Das mag frustrieren, weil es oftmals einfacher wäre, wenn man es mit nur einer Meinung zu tun hat. Aber dem ist nicht so. Was die Notwendigkeit des Diskurses mit Positionen außerhalb der Kirchen angeht, gilt auch nach innen.

Müsste die katholische Kirche nicht erst einmal vor der eigenen Tür kehren und beispielsweise ihr Verhältnis zu Menschen mit von der Mehrheit abweichender sexueller Orientierung ändern? Man könnte ihr ja vorhalten: Im Namen der Religionsfreiheit nehmt Ihr euch die Freiheit zu allen möglichen Formen der Diskriminierung.

Das, was unter Diskriminierung verstanden wird, ist oftmals sehr unterschiedlich – auch außerhalb der katholischen Kirche und in anderen Religionen. Dennoch ist es natürlich notwendig, dass die Kirchen sich immer wieder fragen, ob das, was sie tatsächlich tun, mit dem übereinstimmt, was sie an anderer Stelle lehren. Im christlichen Glauben gehört dazu der intensive Blick auf den Umgang mit Menschen, die alle Kinder Gottes sind, alle dieselbe Würde und Gottesebenbildlichkeit besitzen.

Nicht die Behauptung von Perfektion macht einen gut, sondern nur der offene und verantwortungsvolle Umgang mit eigenen Fehlern und Schwächen.
Hans Zollner

Und dann gibt es noch einen Punkt: Die Kirchen, alle Kirchen, haben immer wieder massiv gegen den Anspruch, die Menschenwürde zu schützen, verstoßen. Beim Umgang mit sexualisierter Gewalt. Bei brutaler Heimerziehung. Beim Niederdrücken indigener Kulturen. Wenn sie es selbst so schlecht gemacht haben, was wollen sie dann anderen lehren?

Neben den eigentlichen Themen und Inhalten, die den Kirchen wichtig sind, können die Kirchen aus Erfahrung vor allem zwei Dinge lehren. Erstens: Vertuschen und Verleugnen von Problemen führen in den Abgrund. Lasst es! Zweitens: Nicht die Behauptung von Perfektion macht einen gut, sondern nur der offene und verantwortungsvolle Umgang mit eigenen Fehlern und Schwächen. Steht dazu!

Sie selbst befassen sich ja intensiv mit dem Thema sexualisierter Gewalt. Würden Sie aus heutiger Sicht sagen: Wir haben gelernt und können vielleicht gerade deshalb wieder beanspruchen, dass andere auf uns hören? Ist die katholische Kirche heute ein einigermaßen sicherer Raum?

Die Kirche tut das ihr Mögliche, ein sicherer Raum zu sein. Dabei muss eines klar sei:n Dies ist kein ein für alle Mal erreichter Zustand, sondern braucht immer wieder das konstante Bemühen darum. Jeder Ort, jede Zeit hat ihre eigenen Herausforderungen.

Der Theologe Prof. Hans Zollner SJ

Der Theologe Prof. Hans Zollner SJ

Prof. Dr. Hans Zollner ist Theologe, Psychotherapeut und Mitglied des Jesuitenordens. Er lehrt an der Päpstlichen Universtität Gregoriana in Rom und leitet dort das Institut für Anthropologie. Zollner wurde als Experte für Kinderschutz auch über den Raum der katholischen Kirche hinaus bekannt. Die päpstliche Kommission für Kinderschutz verließ er 2023 und kritisierte ihre Arbeit im Hinblick auf Compliance, Verantwortungsübernahme und Transparenz. Am Dienstag ist er Referent bei einer Tagung zur katholischen Begründung der Menschenwürde der Kölner Hochschule für katholische Theologie.