Wenige Tage vor der Entscheidung sieht es danach aus, als ob die Freien Wähler um ihren Chef Hubert Aiwanger wieder Teil einer Regierung werden könnten.
Landtagswahl in Bayern„Teflon-Hubsi“ auf der Zielgeraden – wer macht das Rennen?
Es ist für Aiwanger’sche Verhältnisse zuletzt relativ ruhig geworden um den bayerischen Landespolitiker. Vor einem Monat noch stand Hubert Aiwanger aus Bayern im Fokus der bundesweiten Medienöffentlichkeit. Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte eine Geschichte zu einem antisemitischen Flugblatt veröffentlicht, das in Aiwangers Schulzeit in dessen Schulranzen entdeckt worden war.
Die Geschichte der „SZ“ klagte Aiwanger dafür nicht nur an, sie verurteilte ihn zugleich: Ein Rücktritt des bayerischen Vize-Ministerpräsidenten schien zumindest aus Sicht der Journalisten unausweichlich. Es kam aber ganz anders: Aiwangers Bruder gab sich als Urheber des antisemitischen Pamphlets zu erkennen, und Minister Hubert berief sich ansonsten auf allerhand Erinnerungslücken.
Die Krisenkommunikation des Freie-Wähler-Chefs wäre eigentlich lehrbuchartig dafür gewesen, wie man sich garantiert aus den Ämtern kommuniziert. Doch Aiwanger blieb Parteichef, Spitzenkandidat in Bayern sowie Wirtschaftsminister und Vize-Regierungschef im Freistaat. Nach mehreren Tagen entschuldigte er sich, ging aber zugleich zum Gegenangriff über und beklagte eine politische Kampagne gegen sich. Die Vorwürfe bezeichnete er ganz ähnlich wie der frühere US-Präsident Donald Trump, auch bekannt als Teflon-Don, als „Hexenjagd“.
Auf Wahlkampfveranstaltungen jubelten die Menschen Aiwanger in den folgenden Wochen zu, feierten ihn mit „Hubert, Hubert“-Sprechchören, hielten Schilder hoch, auf denen stand: „Hubsi, halt durch“. Es störte auch nicht, dass weitere Vorwürfe aufkamen: Hitler-Grüße und -Imitationen soll der Schüler Aiwanger gezeigt haben. Aber auch das glitt an Teflon-Hubsi ab. Statt einer Welle der Empörung ritt er von nun an auf einer Welle der Solidarisierung.
Die Freien Wähler schossen in den Umfragen direkt nach Bekanntwerden der Flugblatt-Affäre auf in Bayern nie erreichte Rekordwerte. Während ihr Koalitionspartner, die CSU, zeitweise auf historisch niedrige 36 Prozent rutschte. Obwohl Ministerpräsident Markus Söder seinen Vize stützte, eine Entlassung als „nicht verhältnismäßig“ ablehnte. Und eine schwarz-grüne Koalition, die einzig andere rechnerische Machtoption in Bayern, kategorisch ausschloss.
Aiwanger zeigt sich nach diesem ereignisreichen Monat auf Anfrage unserer Redaktion nicht nur für die Bayern-Wahl am Sonntag optimistisch. Auch bei der Parallelwahl für den Landtag in Hessen rechnet er mit einem Erfolg: „Ich setze auch im Sinne Hessens auf den Landtagseinzug der Freien Wähler.“ In der jüngsten Insa-Umfrage für die „Bild“-Zeitung erreichen sie dort fünf Prozent – genauso viel wie die FDP.
Fragt man Aiwanger nach dem Geheimrezept seiner Partei, fallen Begriffe wie Vernunft oder Pragmatismus – bewusst auch in Abgrenzung zur AfD, auch wenn der politische Hauptgegner weiter links zu stehen scheint. „Wir Freien Wähler haben schon immer für einen vernünftigen Mittelweg in der Politik gekämpft, Pragmatismus statt Ideologie von links oder rechts. Wir setzen auf Zusammenhalt und lehnen Radikalismus und Menschenfeindlichkeit ab.“
Ein bisschen Elitenverachtung schwingt immer mit
Die FW seien eine Bürgerbewegung, die sich für die Menschen vor Ort einsetze und von vor Ort komme – „im tiefsten Herzen wertkonservativ“. „Wir kommen direkt aus den Berufen, welche zu häufig von der Landes- und Bundespolitik vernachlässigt werden“, so Aiwanger, in dessen Aussagen häufig ein Stück Elitenverachtung mitschwingt: Wir gegen die da in Berlin oder Brüssel, so der Tenor, der sich auch durch den Wahlkampf der FW zog. In anderen Teilen der Republik versuchen die Freien Wähler in der Landwirtschaft Fuß zu fassen. Viele Bauern sind frustriert von Auflagen in Sachen Umwelt- und Naturschutz, fühlen sich gegängelt von Berlin und Brüssel. Es scheint das ideale Milieu für die Freien Wähler.
Gerade die Bürgernähe, so lautet Aiwangers eigenes Fazit, unterscheide seine Partei von Union und FDP – potenzielle Koalitionspartner in München. Zu anderen politischen Mitbewerbern hält er indes lieber Distanz – vor allem zur AfD. Nicht nur als politischem Partner, auch Ex-AfD-Mitglieder sollen auf Abstand gehalten werden. Aiwanger formuliert es so: „Wir haben nach der letzten Bundestagswahl einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der AfD beschlossen und nehmen keine ehemaligen Mitglieder der AfD bei den Freien Wählern auf, um nicht unterwandert zu werden.“
Aber was bedeutet das Politikverständnis des Parteichefs übersetzt auf aktuelle Politikfelder? In der Diskussion um mehr als 200.000 Asylanträge erklärt er beispielsweise: „Die Zuwanderung in die Sozialsysteme muss deutlich reduziert werden.“ Es schwingt mit, dass so gut wie alle Flüchtlinge eben wegen des Sozialstaats kämen und keine profunden Fluchtgründe hätten.
„Die Menschen lehnen die aktuelle Zuwanderungspolitik mit deutlicher Mehrheit ab“, ist Aiwanger sicher. Der FW-Chef hat eine klare Vorstellung davon, wie Asylpolitik aussehen sollte: Die Schweiz ist sein Vorbild. „Dort gibt es seit 2019 ein beschleunigtes Asylverfahren, welches in 80 Prozent der Asylgesuche Anwendung findet“, wirbt Aiwanger für den Weg der Eidgenossen. „In diesem beschleunigten Verfahren werden Asylgesuche von Ausländern aus Ländern mit sehr niedriger Anerkennungsquote innerhalb von 48 Stunden entschieden. Die Zahl der Asylgesuche aus diesen Ländern ist seitdem massiv gesunken.“
Richtig ist aber auch: Viele Migranten wollen nicht in der Schweiz bleiben, sondern ziehen gleich nach Deutschland weiter. Dort indes komme in der Debatte nichts voran, das zeigten auch die Hilferufe aus den Kommunen, so Aiwanger.. „Diejenigen Zugewanderten, die bei uns bleiben werden, müssen wir so gut und schnell wie möglich in unsere Gesellschaft integrieren, damit sich keine Parallelgesellschaften entwickeln, die unser Rechtssystem nicht anerkennen“, fordert er.
Die Migration ist nun keines der Kernthemen der Freien Wähler. Im Sinne der Aiwanger’schen Vernunftpolitik für die Menschen vor Ort ist es vielleicht eher der Wolf, eines der großen Reizthemen für Landbewohner, Agrarbranche und Umweltschützer. Aiwanger fordert festzustellen, dass das Raubtier in Deutschland nicht mehr vom Aussterben bedroht ist. Das wäre Schritt eins hin zu einer gezielteren Bejagung. Und dann? „Mittlerweile gibt es in Deutschland circa 2000 Wölfe. Bei einer jährlichen Zuwachsrate von 30 Prozent und mehr müssten 500 Tiere pro Jahr erlegt werden, damit sich der Bestand nicht weiter ausbreitet und letztendlich gezwungen ist, in Dörfer oder Städte vorzudringen.“
Mit dem Bär kündigt sich das nächste Problemtier an
Beim Wolf will der Parteichef aber nicht aufhören. Das nächste Problemtier hat sich in Bayern bereits angekündigt: der Bär. „Bären haben wie auch Wölfe keine natürlichen Feinde in Deutschland und breiten sich deshalb immer mehr aus. Die Konflikte bis hin zu menschlichen Todesfällen nehmen logischerweise immer mehr zu“, stellt Aiwanger fest. Das sei aber nicht den Raubtieren, sondern der „unvernünftigen Politik“ anzukreiden. Noch sei wenig über das Verhalten von Bären in Oberbayern bekannt. „Wenn allerdings zu erwarten ist, dass eine direkte Gefahr für Menschen ausgeht, dann muss der Bär auch entnommen werden.“
Das dürfte aus Sicht der Bewohner der Alpenregion vernünftig klingen. Dass es rechtlich manchmal nicht ganz so einfach ist, fällt dabei hintenüber. Aber vielleicht ist es das, was Aiwangers Erfolg ausmacht: einfache Antworten auf komplexe Probleme. So war es letztlich auch mit dem Flugblatt.
Seine Wähler scheint das nicht zu stören. Der Sonntag dürfte sein Tag werden.