AboAbonnieren

Angriff der Hamas auf IsraelSollen weiter Millionen an die Palästinenser fließen?

Lesezeit 6 Minuten
Gegenschlag der Israelis in Gaza City, einen Tag nach dem Angriff der Hamas auf Israel.

Eine riesige Feuersäule in Gaza City nach einem Luftangriff der Israelis einen Tag nach dem Angriff der Hamas auf Isreal.

Deutschland zählt zu wichtigsten Geldgebern der Palästinenser im Nahen Osten – nun werden Rufe nach Einstellung der Zahlungen lauter.

Auf insgesamt 1,5 Milliarden Euro beziffert das Bundesentwicklungsministerium die Hilfen, die in den zurückliegenden Jahren aus Deutschland in Richtung der Palästinensergebiete geflossen sind. Deutschland gehöre damit zu deren größten Geldgebern, berichtet das Ministerium auf seiner Internetseite. Erst im Mai dieses Jahres vereinbarten Vertreter der Bundesregierung und der Palästinensischen Autonomiebehörde weitere Hilfen in Höhe von 125 Millionen Euro für dieses und nächstes Jahr. Weiteres Geld aus Deutschland wird in Projekte der UN im Gazastreifen sowie dem Westjordanland fließen.

An genau dieser Unterstützung gibt es allerdings seit Jahren immer wieder Kritik. Besonders heftig fiel diese im Sommer 2022 aus. Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas warf Israel damals auf einer Pressekonferenz in Berlin einen vielfachen Holocaust an Palästinensern vor: „Israel hat seit 1947 bis zum heutigen Tag 50 Massaker in 50 palästinensischen Orten begangen. 50 Massaker, 50 Holocausts.“ Neben Abbas stand Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und schwieg zu den Äußerungen. Erst viel später distanzierte er sich.

Von vielen Seiten wurde daraufhin gefordert, Deutschlands Hilfen für die Palästinenser auf den Prüfstand zu stellen. In den Jahren 2021 und 2022 beliefen sich jene auf insgesamt gut 340 Millionen Euro. Es wurde gemutmaßt, die Mittel könnten für die Terrorfinanzierung zweckentfremdet werden. Die Bundesregierung indes betont stets, das Geld gehe an deutsche Entwicklungshilfe- oder Nichtregierungsorganisationen und sei immer projektgebunden.

„Wir erkennen das Streben der Palästinenser nach eigenem Staat an“

Ungeachtet des Holocaust-Eklats ging die finanzielle Unterstützung weiter. Im März 2023 reiste Entwicklungsstaatssekretär Jochen Flasbarth in die Palästinensergebiete. Deutschland habe eine besondere Verantwortung für die Sicherheit Israels, erklärte er in einem Presseschreiben. „Gleichzeitig erkennen wir das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser und ihr Streben nach einem eigenen Staat im Rahmen einer verhandelten Zwei-Staaten-Lösung an.“ In diesem Sinne fördere Deutschland Projekte in den Palästinensergebieten. Flasbarth wohnte auf seiner Reise der Eröffnung einer Kläranlage für Gaza-Stadt bei, die offenkundig mit deutschen Mitteln finanziert worden war. Zwei Monate später wurde dann in Berlin die weitere Unterstützung im neunstelligen Bereich offiziell besiegelt.

Der blutige Angriff auf Israel aus dem Gazastreifen heraus lässt nun auch wieder die Diskussion um deutsche Hilfen hochkochen. Aus den Reihen der Ampel-Fraktion meldeten am Wochenende einige Parlamentarier die Forderung an, die Gelder zu streichen. So schrieb der FDP-Politiker Gero Hocker im Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter): „Solidarität mit Israel ist ein wichtiges Signal. Nun müssen Handlungen folgen. Kein deutsches Steuergeld mehr für Terroristen. Kein deutsches Steuergeld mehr für die Hamas!“

CDU-Vize Karin Prien erklärte auf X: „Ich erwarte von der Bundesregierung jetzt unverzüglich Konsequenzen mit Blick auf die Finanzierung der Palästinensischen Autonomiebehörde.“ Sie verwies dabei auf einen Gastbeitrag, den sie 2022 für den „Spiegel“ verfasst hatte. Darin hieß es: „Die finanziellen Zusagen an die Palästinenser müssen an schärfere Kontrollen geknüpft werden.“ Deutschland müsse auch international mehr Partei für Israel ergreifen.

Auf palästinensischem Gebiet in Khan Yunis: Militante Palästinenser umzingeln einen Lastwagen, der angeblich einen gefangenen Israeli transportiert.

Aufruhr in Khan Yunis: Palästinenser umzingeln einen Wagen, der angeblich einen gefangenen Israeli transportiert.

Tatsächlich tun sich deutsche Institutionen offenbar schwer damit. Texte zu Förderprojekten scheinen bewusst keine Partei ergreifen zu wollen. Auf der Internetseite der staatlichen Förderbank KfW heißt es beispielsweise: Die Lebenssituation der Menschen in Gaza „ist von der fortwährenden Konfliktsituation, die immer wieder gewaltsam eskaliert – zuletzt im Mai 2021 und August 2022 – und der seit 16 Jahren anhaltenden Blockade durch Israel geprägt“. Die Passage stammt aus der Beschreibung eines Projekts, mit dem auch der Wiederaufbau von zerstörten Wohnungen finanziert werden soll. Deutschland beteiligt sich mit zehn Millionen Euro. Befürworter der Hilfen verweisen stets genau darauf: Das Geld helfe Not leidenden Menschen.

Auch der Linken-Politiker Gregor Gysi sieht keinen Grund, dass die Bundesregierung die Hilfszahlungen an palästinensische Organisationen einstellen sollte. „Palästinensische Organisationen können und müssen unterstützt werden, die Hamas allerdings nicht. Der Angriff geht nur von ihr aus“, sagte Gysi dem „Spiegel“. Es sei höchste Zeit, eine politische Lösung zu suchen und zu finden. „Dazu muss aber erst einmal die israelische Regierung bereit sein, die Regierung im Westjordanland ist es, bei der Hamas fehlt jede Bereitschaft dazu.“

„Die Querfinanzierung von Hamas und Co. muss enden“

Gitta Connemann, Vizechefin der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe, sagte unserer Redaktion: „Die Querfinanzierung von Hamas und Co. muss enden.“ Nur wer sich zur friedlichen Koexistenz bekenne und das auch nachweise, dürfe Gelder erhalten, forderte die CDU-Politikerin. Zuwendungen müssten „an die verbindlichen Absage an Terrorismus und Antisemitismus gebunden werden“. Jede Solidaritätsbekundung mit Israel sei wertvoll, so Connemann. „Aber in den nächsten Tagen wird sich zeigen, was das Bekenntnis zu Israels Sicherheit als deutsche Staatsräson wirklich wert ist.“


Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern

Seit Gründung des Staates Israel kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit den Nachbarn. Der erste Nahostkrieg war für Israel ein Unabhängigkeitskrieg – für die Palästinenser hingegen der Beginn ihrer Flucht und Vertreibung.29. November 1947: Die UN-Vollversammlung ruft zur Teilung des britischen Mandatsgebiets Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat auf. Die Juden stimmen zu, die Araber in Palästina und die arabischen Staaten lehnen den Plan ab.14. Mai 1948: David Ben Gurion verliest Israels Unabhängigkeitserklärung. Am Tag darauf erklären Ägypten, Jordanien, Libanon, Irak und Syrien den Krieg. Im Kampf kann der neue Staat sein Territorium vergrößern und den Westteil Jerusalems erobern. Rund 700.000 Palästinenser fliehen.Oktober 1956: In der Suez-Krise kämpfen israelische Truppen an der Seite Frankreichs und Großbritanniens um die Kontrolle des Suez-Kanals, den Ägypten verstaatlicht hatte.Juni 1967: Im Sechstagekrieg erobert Israel den Gazastreifen, die Sinai-Halbinsel, das Westjordanland, Ostjerusalem und die Golanhöhen.Oktober 1973: Eine Allianz arabischer Staaten unter Führung von Ägypten und Syrien überfällt Israel an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag. Unter schweren Verlusten gelingt es Israel, den Angriff abzuwehren.März 1979: Israels Regierungschef Menachem Begin und Ägyptens Präsident Anwar al-Sadat schließen einen von den USA vermittelten Friedensvertrag.Juni 1982: Beginn der Operation „Frieden für Galiläa“. Israel greift Stellungen der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO an und marschiert im Libanon ein.Dezember 1987: Ausbruch des ersten Palästinenseraufstands („Intifada“).September 1993: Israels Ministerpräsident Izchak Rabin und PLO-Chef Jassir Arafat unterzeichnen die Oslo-Friedensverträge.September 2000: Nach einem Besuch von Oppositionsführer Ariel Scharon auf dem Tempelberg bricht die zweite Intifada aus.August 2005: Israel räumt alle jüdischen Siedlungen im Gazastreifen und zieht seine Truppen aus dem Palästinensergebiet ab.Juni 2007: Die islamistische Hamas vertreibt in einem blutigen Machtkampf die Fatah von Mahmud Abbas aus dem Gazastreifen.Jahreswende 2008/2009 bis August 2014: In drei Konflikten bekriegen sich das israelische Militär und die Hamas im Gaza-Streifen.Juli 2023: Bei einem der größten israelischen Militäreinsätze seit 20 Jahren rücken über 1000 Soldaten im Westjordanland ein. (dpa)