Der frühere US-Präsident Donald Trump stellt die Nato-Beistandspflicht infrage. Meint er es ernst? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass er wieder ins Weiße Haus einzieht? Und sind die Europäer darauf eingestellt? Fragen an den Kölner Politologen Prof. Thomas Jäger.
Kölner Politologe im InterviewWie gefährlich ist Donald Trump, Herr Jäger?
Erst sagt Donald Trump, er würde Russland unter Umständen ermutigen, Verbündete anzugreifen, dann erzählt er, mit dieser Drohung habe er doch nur die Nato stärken wollen – wie ernst ist der Mann noch zu nehmen?
Das ist schwierig zu beurteilen, weil wir unterschiedliche Signale bekommen. Leute, die eng mit ihm zusammengearbeitet haben wie sein früherer Sicherheitsberater John Bolton, sagen: Nehmt das ganz ernst, der meint das so! Der versucht, die Vereinigten Staaten aus der Nato zu bringen. Und auf der anderen Seite des Spektrums stehen diejenigen, die momentan mit dem Projekt 2025 so etwas wie eine Regierungsagenda für Trump ausarbeiten. Die sagen: Nein, es geht darum, dass die Europäer zukünftig in der Lage sind, Russland auf dem Kontinent konventionell abzuschrecken und sich nur noch für die nukleare Abschreckung an die USA anlehnen. Das sind zwei konträre Deutungen von Leuten, die eng an ihm dran sind. Und was er wirklich tun würde, wenn er wieder Präsident wäre, ist nicht zu hundert Prozent vorauszusehen, aus dem einfachen Grund, dass er völlig erratisch entscheidet. Ein Beispiel aus seiner ersten Amtszeit: Mit einem Schlag nahm er die Transpazifische Freihandelszone vom Tisch. Niemand hatte das erwartet, man hatte allenfalls damit gerechnet, dass er noch nachverhandeln will. Also, ob er aus der Nato ausscheren will oder nur Druck auf die Europäer ausüben will, weder die eine noch die andere Möglichkeit ist sicher auszuschließen.
Keine schöne Aussicht, wenn ein so unberechenbarer Mann an Spitze einer Nuklearmacht käme, oder?
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Ja, er stünde zum zweiten Mal dort. Aus seiner ersten Amtszeit stammen Äußerungen wie: Warum haben wir Nuklearraketen, wenn wir sie nicht einsetzen? Oder, in der Auseinandersetzung mit dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un: Ich habe den dicksten roten Knopf auf dem Schreibtisch. Wir kennen das also schon, und es kann diesmal für uns gefährlicher werden, weil in Europa ein großer Krieg herrscht und nicht nur außerhalb Europas. Damals meinten viele noch, dass uns Trumps Nato-Politik nicht so direkt berührt. Deshalb wurde ja auch nichts geändert.
In Trumps erster Amtszeit gab es die sogenannten Erwachsenen im Raum, Leute wie John Bolton, die das Schlimmste verhinderten. Wie groß ist die Chance, dass ihn auch in einer neuen Amtszeit Mitarbeiter bremsen könnten?
Der Hauptunterschied zwischen seiner ersten Amtszeit und einer möglichen zweiten ist, dass er diesmal genau weiß, was zu tun ist. In seiner ersten Amtszeit musste er verzweifelt Führungspersonal suchen, die ersten anderthalb Jahre gingen ins Land, die neuen Leute mussten erst einmal lernen, was eigentlich ihre Kompetenzen und Aufgaben waren. Das würde diesmal anders sein. Seine Leute sind vorbereitet, Pläne liegen vor. Sein Führungspersonal dürfte nun wirklich aus sehr loyalen Trump-Leuten bestehen, die seine Agenda nicht hintertreiben. Die einzige Hoffnung liegt in dem schönen Satz: Wo man steht, hängt davon ab, wo man sitzt. Das heißt, ob sie in einer Denkfabrik ein Programm ausarbeiten oder ob sie dann wirklich ein Ministerium leiten, das kann die Perspektive verändern. Das verhilft ihnen zu ganz anderen Gesichtspunkten, die in ihre Entscheidungsfindung einfließen könnten.
Wie groß sind denn die Aussichten, dass Trump erneut gewählt wird?
Es gab mehrere Hürden auf seinem Weg, die ausgeräumt sind. Es gab ja die Frage, ob er nach dem 14. Zusatzartikel der Verfassung – dem über die Verwicklung von Amtsträgern in eine Rebellion – überhaupt kandidieren darf. Die Anhörungen vor dem Supreme Court haben aber deutlich gezeigt, dass die Richter seiner Kandidatur nicht im Wege stehen werden. Da wird nichts mehr kommen. Er wird auch in der Republikanischen Partei nicht aufgehalten werden. Aus meiner Sicht ist klar: Er wird der Kandidat. Und gegen Joe Biden hätte Trump relativ gute Chancen, weil er in vier von sechs Battleground States, die Biden 2020 gewonnen hatte, jetzt vorne liegt, zwar relativ deutlich fünf, sechs Prozent. Das kann sich auch noch ändern, bis zum November liegt ja noch eine lange Strecke vor uns. Die ganze Sachlage wäre eine andere, wenn die Demokraten sich doch für einen anderen Kandidaten entscheiden würden.
Aber für wen? Vizepräsidentin Kamala Harris ist doch sehr blass …
Ja, sie ist blass, gibt aber Signale, dass sie sich die Kandidatur zutraut. Sie hat sich aber auch alles andere, was sie bisher nicht konnte, zugetraut. Insofern könnte ich mir vorstellen, dass die Lust der Demokratischen Partei, sie zu wählen, äußerst gering ist. Es hat sich einfach niemand wirklich vorbereitet. Es werden die üblichen Verdächtigen genannt, Gretchen Whitmer etwa, die Gouverneurin von Michigan, oder Gavin Newsom aus Kalifornien. Aber sie sind nur in ihren Bundesstaaten wirklich bekannt, die Demokraten brauchen aber einen Küchentischnamen, den USA-weit alle kennen. Über Michelle Obama, die natürlich jeder kennt, reden eigentlich nur die Republikaner.
Egal, wie die Wahl dann ausgeht – wenn wir uns allein jetzt schon die innenpolitischen Machtspielchen etwa um die Ukraine-Hilfe anschauen, wie verlässlich sind die USA überhaupt noch?
Die Vereinigten Staaten sind im Prinzip seit Jahrzehnten schon schwer regierbar. Die Blockade im Kongress ist nichts Neues. Jetzt ist es aber so, dass es eine Gruppe gibt, die den außenpolitischen Konsens aufkündigt. Dieser Konsens hat die USA bisher ausgezeichnet, erst war es die Haltung gegen die Sowjetunion, dann nach 1990 das Ziel, die erste Weltmacht zu bleiben, in jüngerer Zeit stand der Konflikt mit China im Mittelpunkt. Aber es gibt eben eine wichtige Gruppe, die sagt: Damit haben wir eigentlich alles nichts zu tun. Außerdem war es zwar auch bisher so, dass die Institutionen Präsident, Senat und Repräsentantenhaus miteinander um Entscheidungen gerungen haben. Aber inzwischen haben die USA ein Problem mit Personen, die überhaupt nichts mehr inhaltlich durchsetzen wollen, sondern die die Institutionen missbrauchen mit dem Ziel, dass überhaupt nicht regiert wird. Und das höhlt die Institutionen von innen aus. Demokratien gehen ja davon aus, dass die Stabilität der Institutionen, des unabhängigen Parlaments, der unabhängigen Gerichte, ihren Bestand garantieren. Damit ist es vorbei, wenn die Institutionen missbraucht werden, um die Erfüllung der Staatsaufgaben zu hintertreiben. Im Gefolge von Trump sind Verschwörungstheoretiker etwa von Q-Anon ins Parlament gekommen, bei denen man sich nur fragen kann, was in ihren Köpfen vorgeht. Sie sitzen nun da und haben bei knappen Mehrheitsverhältnissen die entscheidenden Stimmen.
Können wir Europäer denn so einen Ausfall der USA überhaupt ausgleichen?
Die Europäer haben den Schlag nicht gehört. Die Diskussion angesichts der jüngsten Trump-Äußerungen ist original 2017 schon einmal geführt worden. In den sieben Jahren seither ist nichts geschehen. Null. Unsere Regierung ist seit zwei Jahren nicht in der Lage, Munitionsbestellungen aufzugeben, als ob eine Armee ohne Munition irgendeinen Wert hätte. Sie ist nicht in der Lage, in der EU Führungsaufgaben zu übernehmen und für Konsens zu sorgen. Die Leute erliegen Selbsttäuschungen. Wir tun, als wäre nichts passiert, aber wir reden von europäischer Abschreckung, gar von deutscher Abschreckung. Das sind Geisterdiskussionen, das soll nur davon ablenken, dass wir Europäer zur Gewährleistung unserer Sicherheit schlicht und ergreifend auf die USA nicht verzichten können. Und diese Lage ist selbstgemacht. Seit zwei Jahrzehnten gab so viele Signale, etwa die russische Aggression gegen Georgien 2008, gegen die Ukraine 2014, dann 2017 die erste Wahl von Trump. Alles Situationen, wo man gedacht hat, das ist ein „Pearl-Harbour-Moment“. Da müssten alle wach werden. Aber hier wird einfach weiter geschlafen.