Die Kölner CDU-Abgeordnete Serap Güler erklärt, warum kein Übereinkommen mit den anderen demokratischen Parteien gelang. Und wie sollte eine Koalition nach der Wahl funktionieren?
Kölner CDU-PolitikerinWarum hat ihre Fraktion eine Mehrheit mit der AfD in Kauf genommen, Frau Güler?
Frau Güler, Sie stehen mitten im Wahlkampf und haben an diesem Wochenende in Köln mit vielen Leuten gesprochen. Wie waren die Reaktionen auf das, was bei den Abstimmungen am Mittwoch und Freitag letzter Woche im Bundestag passiert ist?
Sehr unterschiedlich. Zustimmung und Kritik — und von einigen wenigen maß- und haltlosen Nazirufen abgesehen war die Kritik eher sachlich und konstruktiv. Es gab aber auch sehr viel Zustimmung, viele, die sagen, es muss sich endlich etwas ändern. Am Wochenende hat sich das an unseren Ständen widergespiegelt: Ja, wir hatten Leute, die sagten, ich wähle Sie nicht mehr, andersrum aber auch Leute, die sagten, sie hätten immer SPD oder Grüne gewählt, aber diesmal würden sie CDU wählen. Wir hatten sogar Parteieintritte an den Ständen. Über Social Media überwiegen die Beschimpfungen, bei den Menschen vor Ort überwiegt eher die Auffassung, dass es jetzt Veränderungen geben muss.
Sie haben im Bundestag zweimal mit Ja gestimmt. Bei dem Entschließungsantrag am Mittwoch, der angenommen wurde, und beim Zustrombegrenzungsgesetz am Freitag, das keine Mehrheit fand. Haben Sie aus Fraktionsdisziplin so gestimmt oder aus Überzeugung?
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Es war beides, wobei es ja durchaus Kollegen gab, die nicht mitgestimmt haben. Wenn ich inhaltlich nicht von den Anträgen überzeugt gewesen wäre, hätte ich mich vielleicht auch gefragt, ob ich da wirklich mitgehen will. Aber wenn ich von einem Antrag, auf dem CDU/CSU steht, überzeugt bin, kann ich mich nicht enthalten oder an der Abstimmung nicht teilnehmen. Ich habe über einen Unionsantrag abgestimmt, nicht über den einer anderen Fraktion. Und natürlich gehört in so einer Zeit wie im Wahlkampf zu der Entschlossenheit auch die Geschlossenheit.
Die Inhalte sind die eine Frage, das Vorgehen die andere. Am Ende triumphierte die AfD, während Ihre Fraktion eher bedröppelt in die Welt schaute. Und jetzt sind Sie mit Demonstrationen konfrontiert, 17.000 in Köln, 60.000 in Hamburg, auf denen Sie teilweise in die Nähe der AfD gerückt werden. War es das wert?
Nach den Anschlägen von Magdeburg und Aschaffenburg verlangen die Menschen politisches Handeln. Das bekommen wir gerade im Wahlkampf aktuell sehr deutlich zu spüren. Da konnten wir nicht mehr einfach sagen, die nächste Bundesregierung, wenn sie von der Union geführt wird, werde etwas tun. Glauben Sie mir, es waren nicht nur einzelne Personen, die mich nach Aschaffenburg gefragt haben, ob sie ihre Kinder noch sicher in die Kita schicken können. Da reicht es nicht zu sagen: Wir äußern Beileid und Betroffenheit, und dann haben wir eine Sitzungswoche im Bundestag und ändern die Tagesordnung nicht. Jetzt fragen Sie, war es das wert? Sie haben es ja selbst gesagt, die Fraktion war nicht glücklich mit diesem Abstimmungsergebnis. Ich hätte mir selbstverständlich eine Mehrheit aus der Mitte des Bundestages gewünscht und nicht mit der AfD. Das bedaure ich sehr. Aber es reicht doch nicht, nur zu sagen, was rechtlich alles nicht geht. Sind wir denn nicht Abgeordnete, um Gesetze zu machen und zu ändern? Das Zustrombegrenzungsgesetz war da wichtiger als der Entschließungsantrag. In dem Gesetzesentwurf stehen Punkte drin, die auch die SPD im Wahlprogramm hat: den Familiennachzug für nicht Bleibeberechtigte zu streichen und der Bundespolizei mehr Kompetenzen zu geben. Das will auch die Ministerpräsidentenkonferenz - alle 16 Bundesländer! Wenn jetzt neben den Grünen auch die SPD sagt, sie könne da nicht mitgehen, hat das rein wahltaktische Gründe. Das merken die Leute, und genau das fördert die Politikverdrossenheit, über die wir alle klagen.
Nun ist die SPD ja in einer Koalition mit den Grünen gebunden. Herr Merz hatte im Herbst nach dem Auseinanderfallen der Ampel vorgeschlagen, nur Anträge in den Bundestag einzubringen, die auch ohne AfD mehrheitsfähig sind. Daran hat Altkanzlerin Angela Merkel ihn gerade erinnert und es falsch genannt, dass Merz jetzt davon abwich. Warum hat er es getan?
Nochmal: Nach Magdeburg und Aschaffenburg konnten wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und weitermachen wie bisher. Jeder Angriff ist schrecklich, aber ein zweijähriges Kind anzugreifen erfordert ein ganz schnelles Umlenken. Und es gab ja am Freitag stundenlange Versuche, übereinzukommen. Wir haben versucht, die anderen Fraktionen von einer Lösung aus der demokratischen Mitte heraus zu überzeugen. Gemeinsam zu zeigen, dass wir kapiert haben: So geht es nicht weiter. SPD und Grüne sahen das nun mal anders. Ich fürchte, ich muss das so hart sagen: Beiden war es wichtiger, jetzt endlich ein Wahlkampfthema zu haben, als gemeinsam an der Lösung der Probleme in diesem Land zu arbeiten.
Wenn es nach der Bundestagswahl eine Koalition der Union mit mindestens einer anderen Partei geben sollte, können Sie aber auch nicht sagen: Wenn Ihr nicht mitmacht, suchen wir uns die Mehrheiten woanders. Wie soll das funktionieren?
Mit den Grünen wäre es bei der Migration tatsächlich sehr, sehr schwierig. Was die SPD angeht, glaube ich, dass auch deren Wahlprogramm in dieser Frage eine gute Grundlage für Koalitionsgespräche gibt - deshalb ist das Ganze ja so absurd. Aber ihr Punkt ist grundsätzlich richtig: Alle Demokraten sind jetzt gefordert auch verbal abzurüsten. Wir müssen uns alle nach der Wahl in die Augen schauen und gemeinsam für unser Land arbeiten müssen. Und natürlich brauchen wir auch Veränderungen im Europarecht. Ich bin glühende Europäerin, aber bei unseren Bürgern darf nicht das Gefühl entstehen, sie seien ohnmächtig, und die EU sei zu ihrem Nachteil. Es darf hier nicht zu einer Stimmung kommen wie in Großbritannien vor dem Brexit. Das passiert aber, wenn andere Staaten sich nicht ans Recht halten und Flüchtlinge nach Deutschland durchwinken – und wenn wir dann nichts dagegen tun.
Deutschland hatte in den letzten zwei Jahren für 100.000 Geflüchtete die Genehmigung, sie nach dem Dublin-III-Abkommen in andere EU-Staaten zurückzuführen. Wirklich passiert ist das bei 11.000. Wenn wir es nicht schaffen, das EU-Recht anzuwenden, wie können wir dann eine Notlage ausrufen und mit Zurückweisungen an der Grenze arbeiten?
Um die irreguläre Migration zu reduzieren, müssen wir unterschiedliche Ansätze gleichzeitig verfolgen. Das geht nicht allein mit einer Maßnahme. Dazu gehören Zurückweisungen an der Grenze - denn nicht mal 50 Prozent der Menschen die zu uns kommen, sind tatsächlich schutzberechtigt, weder nach unserem Grundgesetz noch nach der Genfer Flüchtlingskonvention, noch nach Europarecht. Und dazu gehören dann auch Rückführungen und Abschiebungen. Aber Sie kennen doch auch die schikanösen Bedingungen, die zum Beispiel Bulgarien für Rückführungen stellt: Wir nehmen die Person zurück, aber nur in einer bestimmten Woche mit einem bestimmten Flug, insgesamt kommen, wenn überhaupt, drei Flüge pro Woche dafür in Frage, und nur, wenn die Fluggesellschaft mitmacht. Wegen solcher Hürden scheitern die meisten Rückführungen. Und hier muss die Bundesregierung den Partnern eine klare Ansage machen. Das erwarten wir.
Am Ende wird es Ihnen angelastet, dass die AfD triumphieren konnte. Sie legt in Umfragen zu. Was tun Sie dagegen?
Ich bedaure es sehr, wenn wir auf Demonstrationen mit der AfD in eine Ecke gestellt werden. Das ist nicht nur völlig falsch, sondern tatsächlich auch verletzend. Wir haben mit denen nichts zu tun. Und der größte Unterschied zwischen uns als CDU und diesen Faschisten ist: Wir wollen die Probleme in unserem Land lösen, von denen die AfD profitiert. Ich bin sicher: Unsere Demokratie ist zwar stark genug, eine AfD im Bundestag auszuhalten, und sie hält es auch aus, wenn die AfD einem CDU-Antrag zustimmt. Aber unsere Demokratie ist massiv gefährdet, wenn es uns nicht gelingt, die Probleme aus der Mitte heraus zu lösen. Deshalb: Starke Worte und Demos sind wichtig, aber die Demokratie lässt sich am besten verteidigen, wenn in der demokratischen Mitte gemeinsam Lösungen gefunden werden, die die Sorge und Angst der Menschen ernst nehmen und diese nicht ignorieren.