Während Südeuropa brennt, versinkt der Norden im Regen. Die Meinung, ob das noch Wetter ist oder schon Klima, spaltet die Gesellschaft.
Klimaforscher im Interview„Wenn sich das Klima weiter ändert, können Sie Wohlstand vergessen“
Seit 40 Jahren versucht Mojib Latif, Klimaforscher, Meteorologe, Ozeanograf und Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg, die Welt vor dem Klimawandel zu warnen. Doch seine Warnungen werden vielfach ignoriert. Im Gespräch mit Karolina Meyer-Schilf und Sören Becker erklärt er, wie sich das Klima entwickelt und warum das Bewusstsein für die Gefahren noch nicht so ausgeprägt ist, wie es das seines Erachtens sein müsste.
Herr Latif, vor mehr als einem Jahr haben Sie gesagt, dass es mit dem Klimawandel „fünf nach zwölf“ ist. Wie spät ist es jetzt?
So genau kann man das nicht sagen. Klar ist aber: Der Klimawandel ist schon längst da, verursacht enorme Schäden, schadet unserer Gesundheit und kostet uns eine Menge Geld.
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Sie forschen dazu, wie sich das Klima über Jahrzehnte verändert. Mit welchen Bedingungen müssen wir in zehn Jahren rechnen?
Wir blicken mehrere Jahrzehnte nach vorne. Die Entwicklung wird im Prinzip genauso weitergehen wie in den letzten Jahrzehnten. Das kann man relativ sicher sagen. Es wird also wärmer. Hinzu kommen natürliche Schwankungen, die diesen Trend verstärken oder abschwächen können. Das sieht man am Beispiel El Niño. Das Klimaphänomen wird dafür sorgen, dass wir spätestens im kommenden Jahr den nächsten Rekord bei der global gemittelten Temperatur erreichen werden. In den vergangenen Jahren hatten wir das Gegenphänomen La Niña, das den Temperaturanstieg gedämpft hat.
Wo wir bei warmen Meeren sind: Auch die Nordsee ist gerade wärmer als üblich. Was bedeutet das?
Wärmere Meere führen zu einer stärkeren Verdunstung. Das führt zu mehr Wasserdampf in der Luft, der früher oder später als Regen herunterkommen muss. Das fördert die Entstehung von Starkregen. Zudem dehnt sich wärmeres Wasser aus, was zur Folge hat, dass der Meeresspiegel steigt. Das war lange der dominante Faktor beim steigenden Meeresspiegel. Mittlerweile ist es das schmelzende Kontinentaleis an den Polen.
Das helle Eis reflektiert ja Sonneneinstrahlung, während das dunkle Land und Meer darunter sie aufnehmen. Wenn das Eis schmilzt, verstärkt sich also die globale Erwärmung?
Korrekt. Verstärkende Prozesse nennen wir Wissenschaftler positive Rückkoppelungen. Der größte dieser Effekte ist der Wasserdampf. Der ist das stärkste Treibhausgas auf der Erde, weit vor CO2 und Methan. Wenn es wärmer ist, verdunstet nicht nur mehr Wasser, die Luft kann auch mehr Wasserdampf aufnehmen, und die globale Erwärmung beschleunigt sich.
Das politische Ziel ist, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken. Ist das noch realistisch?
Die Staaten haben sich im Pariser Klimaabkommen dazu verpflichtet, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen, vorzugsweise auf 1,5 Grad. Ich bin mir sicher, dass wir die 1,5-Grad-Marke reißen werden. Wir stehen heute schon bei ca. 1,2 Grad. Wenn wir nur Deutschland betrachten, sind wir schon darüber hinaus und liegen kurz vor zwei Grad, in der Arktis geht es noch ein bisschen schneller.
Dennoch gibt es keinen richtigen gesellschaftlichen Konsens um die Wichtigkeit des Klimaschutzes.
Das sieht man überall. Ob nun beim Gebäudeenergie-Gesetz oder beim Tempolimit. Letzteres kostet ja nicht mal etwas. Das zeigt einfach, dass wir noch nicht bereit sind. Dabei haben wir überhaupt keine Zeit mehr. Das wird so aber nicht kommuniziert, und das ist ein großes Problem. Ich glaube, es liegt einfach daran, dass die Bedrohung nicht offensichtlich ist. Zu viele Menschen in den Industrieländern sehen den Ernst der Lage einfach noch nicht, weil sie nicht alt, krank oder arm genug sind, um direkt betroffen zu sein. Griechenland ist weit weg.
Wie kann man Menschen unter diesen Beziehungen zum Klimaschutz bringen?
Das Wort Klimaschutz ist verbrannt. Wenn die Leute das hören, gehen sofort die Alarmglocken an. Da haben ein paar kontraproduktive Aktionen wie die Proteste der Letzten Generation oder die Diskussion um das Heizungsgesetz für gesorgt. Es geht aber um viel mehr als Klimaschutz. Die Frage ist, ob wir unseren Wohlstand trotz eines sich verändernden Planeten bewahren können. Wenn sich das Klima immer weiter ändert, können Sie den Wohlstand auch vergessen. Dann funktioniert nichts mehr auf der Welt. Noch viel wichtiger: Die nächste industrielle Revolution hat schon begonnen. Dabei wird es auch um erneuerbare Energien gehen. Länder, die hier nicht vorne auf der Lokomotive sitzen, werden das Nachsehen haben. Die Chinesen zum Beispiel sind viel schneller als wir. Wir laufen Gefahr, die neuen Märkte zu verlieren. Wir denken in Deutschland immer, dass wir die besten sind, aber wir werden gerade in wichtigen Bereichen abgehängt.
Bauern wollen Pflanzen mit Gentechnik besser für Extremwetter wappnen
Für neue Gentechnologie in der Pflanzenzüchtung setzt sich der Deutsche Bauernverband angesichts zunehmender Extremwetterlagen ein. Verbandsgeneralsekretär Bernhard Krüsken sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, die deutsche Landwirtschaft stelle sich seit Jahren auf die sich verändernden klimatischen Bedingungen ein. „Es wäre jedoch hilfreich, wenn Teile der Politik ihre ideologischen Scheuklappen bei den Themen Pflanzenschutzmittel und neue Züchtungsmethoden ablegen würden.“
Die EU-Kommission hatte Anfang Juli Lockerungen für den Einsatz sogenannter Neuer Genomischer Verfahren (NGT) in der Landwirtschaft vorgeschlagen. So soll etwa die Kennzeichnungspflicht für genetisch veränderte Pflanzen wegfallen, wenn diese auch durch eine natürliche Kreuzung hätten entstehen können. Für potenziell im Kampf für mehr Umwelt- und Klimaschutz nützliche NGT-Pflanzen könnten die Zulassungsverfahren vereinfacht werden.
Umstritten sind die Pläne in den Reihen der Grünen. Während Bundesumweltministerin Steffi Lemke und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir den Vorschlag kritisierten, sagte die Hamburger Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank kürzlich, der Vorschlag aus Brüssel eröffne „Forschung und neuen Technologien jetzt Chancen, Vorsorge zu treffen für eine nachhaltigere Zukunft“. (afp)