Der Papst solle endlich über die Zukunft von Kardinal Woelki entscheiden, verlangen Geistliche, Laienvertreter immer wieder. Der Freiburger Kirchenrechtler Georg Bier meint dagegen: Vermutlich hat der Papst längst entschieden. Wir haben ihn gebeten, das genau zu erklären.
Kirchenrechtler zum Fall WoelkiFür den Papst besteht „kein Handlungsdruck“
Der Papst soll endlich entscheiden. Bischöfe wie Georg Bätzing, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Laienvertreter, Geistliche aus der Region wie der Kölner Domdechant Robert Kleine, sie alle haben es wieder und wieder eingefordert: Franziskus möge auf das Rücktrittsgesuch antworten, das der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki vor mehr als anderthalb Jahren einreichte. Oder besser gesagt: einreichen musste, wie Franziskus im Mai 2022 ausplauderte.
Hat der Papst stillschweigend entschieden?
Aber muss der Papst wirklich antworten? „Die Entscheidung ist getroffen“, schrieb der in Freiburg lehrende Kirchenrechtler Georg Bier kürzlich in der „Herder-Korrespondenz“. Die Regelung im kirchlichen Gesetzbuch, dem Codex Iuris Canonici, ist klar: Bischöfe können nicht von sich aus zurücktreten, aber sie können dem Papst ihren Rücktritt anbieten. Über so ein Gesuch ist laut Kanon 189 dieses Gesetzbuches innerhalb von drei Monaten zu entscheiden. Wenn der Papst – außer in den Fällen, in denen ein Bischof die Altersgrenze von 75 Jahren erreicht hat – nicht antwortet, dann „wird von Rechts wegen eine ablehnende Antwort vermutet, und das Verzichtsangebot verliert jede Rechtskraft“, schrieb Bier. Allerdings – ohne Einschränkung gilt diese Aussage nicht, doch dazu später.
Wie war der Zeitablauf im Fall Woelki?
Nach den Auseinandersetzungen um die Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt im Erzbistum Köln hatte Woelki – auf päpstlichen Wunsch hin – im Herbst 2021 eine Auszeit genommen, die an Aschermittwoch 2022, also am 2. März, endete. Woelki erklärte sein Gesuch zunächst als Ausdruck einer während der Auszeit gewonnenen „Haltung innerer Freiheit“. Franziskus wiederum erzählte in einem Interview mit jesuitischen Ordensbrüdern, er habe Woelki zu diesem Angebot veranlasst. So oder so: Woelki hat das Gesuch gegen Ende der Auszeit, also spätestens am 1. März 2022, eingereicht. Die Drei-Monats-Frist war somit spätestens am 2. Juni des gleichen Jahres verstrichen. Das Interview wurde im Juni veröffentlicht, aber im Mai geführt, als die Frist vermutlich noch lief. Damals, im Mai, sagte der Papst, er habe das Gesuch „in der Hand“. Aber gilt das immer noch? Gegenüber der Rundschau weist Bier darauf hin, dass der Papst diese Aussage später nicht mehr wiederholt hat.
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Hält der Papst sich selbst an die Fristen?
Allerdings: Im Zusammenhang mit den Kölner Wirren gibt es drei Präzedenzfälle, in denen der Papst nach mehr als drei Monaten entschied. Als Reaktion auf das am 18. März 2021 vorgestellte Gutachten der Kölner Strafrechtskanzlei Gercke Wollschläger zum Umgang mit sexualisierter Gewalt boten der Hamburger Erzbischof (und frühere Kölner Personalchef, dann Generalvikar) Stefan Heße sowie die Weihbischöfe Dominikus Schwaderlapp (ebenfalls ehemaliger Generalvikar) und Ansgar Puff (früherer Personalchef) ihren Rücktritt an. Franziskus lehnte in allen drei Fällen ab, aber das tat er erst im September, also nach einem halben Jahr.
Könnte der Papst Woelkis Rücktritt also noch annehmen?
„Es gibt meines Erachtens nichts, was diese Möglichkeit ausschließt“, so Bier gegenüber der Rundschau: „Selbstverständlich kann der Papst den Rücktritt auch jetzt noch annehmen, womit er – wie auch in den anderen Fällen – implizit klarstellen würde, dass er sich durch die von Rechts wegen vorgeschriebene Frist nicht gebunden sieht.“ Auch in der „Herder-Korrespondenz“ hatte Bier schon formuliert, dass Franziskus als Souverän der katholischen Kirche „nicht an seine eigenen Gesetze gebunden“ sei. Nur: Solange so eine Äußerung im Fall Woelki nicht erfolgt, rät Bier dazu, „einstweilen von der Geltung des geltenden Rechts auch in diesem Einzelfall auszugehen“. Das sei die „weitaus wahrscheinlichere Variante“.
Sollte der Papst sich nicht besser festlegen?
So oder so – die Rufe, der Papst möge eine Entscheidung mitteilen, dürften auch in Rom registriert werden, zumal die deutschen Bischöfe dies bei ihrem „ad-limina“-Besuch in Rom vor einem Jahr angesprochen hatten. Der Druck sei „nicht mehr auszuhalten“, sagte Bischof Bätzing damals. Nun vermutet Bier, solche Rufe bedeuteten im Klartext den Wunsch, der Papst möge Woelki in den Ruhestand versetzen. Aber wäre da nicht auch aus Sicht von Woelki-Anhängern eine Klarstellung erwünscht? „Eine unmissverständliche Ablehnung des Verzichtsangebots“, wie der Papst sie bei Heße, Schwaderlapp und Puff und auch beim Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx veröffentlicht hatte, böte auch aus Biers Sicht den Vorteil der Klarheit.
Bei Heße und den beiden Weihbischöfen kam der Papst aber aus pragmatischen Gründen nicht darum herum, sich – spät – zu äußern: „Die drei Bischöfe hatten ihre Ämter ruhen lassen – damit es weitergehen konnte, musste der Papst sich eindeutig festlegen“, erläutert Bier. „Aber im Fall Woelki nimmt der Kardinal sein Amt und die damit verbundenen Aufgaben ohne erkennbare oder bekanntgewordene Beschränkungen wahr. Es besteht kein Handlungsdruck.“
Lässt der Papst Woelki also bewusst warten?
Dass mit dem Verhalten des Papstes „vorrangig das Kalkül verbunden sein könnte, alle Beteiligten und allen voran der Kardinal wären besonders geneigt, die Füße still zu halten, solange die Möglichkeit der Verzichtsannahme weiterhin wie ein Damoklesschwert über der ganzen Sache schwebt“ – mit Sicherheit auszuschließen ist so eine Motivation auch nach Biers Einschätzung nicht. Nur meint der Kirchenrechtler, dass dieses „Schwert“ ohnehin über jedem Bischof schwebt: Jederzeit kann der Papst ihn auffordern, seinen Rücktritt (erneut) anzubieten. Und wenn das nicht passieren würde, wäre auch eine Absetzung möglich. Das hat gerade der US-Bischof Joseph Strickland spüren müssen, der durch Tiraden gegen Franziskus (er „unterminiere“ die Fundamente des Glaubens) aufgefallen war. Er wurde abgesetzt, offenbar, da er kein Rücktrittsangebot abgeben wollte.
Bier jedenfalls kann „nicht erkennen, dass es nötig wäre, ein Amtsverzichtsangebot in der Schwebe zu lassen, um Kardinal Woelki die jederzeitige Abberufungsmöglichkeit in Erinnerung zu halten“. Das sei den Kardinal sicher klar – und er könne auch die Stimmung in seiner Erzdiözese „schwerlich fehldeuten“.