Kölns Kardinal Woelki spricht im Rundschau-Interview über seine Betroffenheit vom Tod von Papst Franziskus und seine Vorbereitungen für das kommende Konklave.
Kardinal Woelki nach Papst-Tod„Recht zur Papstwahl ist mit einer hohen Verantwortung verbunden“

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki spricht während eines Gottesdienstes (Archivbild)
Copyright: Oliver Berg/dpa
Herr Kardinal, als Sie am Ostermontag vom Tod von Papst Franziskus erfuhren – was hat das bei Ihnen ausgelöst?
Tiefe Betroffenheit, zumal ich nicht damit gerechnet hatte, dass der Heilige Vater an diesem Ostermontag versterben könnte. Natürlich waren die Bilder vom Ostersonntag auf dem Petersplatz von seiner Krankheit und der Gebrechlichkeit des Alters geprägt – aber es hieß für einige Tage, er sei auf dem Weg der Besserung.
Wie haben Sie es erfahren?
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Ziemlich unkonventionell. Jemand hat mir telefonisch berichtet, sein Sohn erzähle ihm gerade, dass der Papst verstorben sei.
Ach, ich habe gedacht, da gibt es eine Nachricht der Nuntiatur an die Bischöfe, bevor es an die Medien geht.
Nein, das ist zunächst über die Medien gelaufen. Wir sind allerdings dann durch eine Mail von Kardinal Giovanni Battista Re, dem Dekan des Kardinalskollegiums, etwa um 10 Uhr informiert worden. Und dass gleich an diesem Dienstag um 9 Uhr die erste Generalversammlung der Kardinäle stattfindet. Ich selbst fahre allerdings erst am Donnerstag los, weil wir am Mittwoch im Kölner Dom ein Pontifikalamt für den Papst feiern.
Was bedeutet der Verlust für Sie persönlich? Sie haben ja schon 2013 am Konklave teilgenommen und ihn mitgewählt.
Ich trauere um einen Menschen, den ich wegen seines Einsatzes für die Armen sehr geschätzt haben und wegen seiner klaren Positionierung für den Schutz des menschlichen Lebens, das in unterschiedlichen Phasen immer wieder bedroht ist. Und dafür, dass er immer wieder den Primat der Evangelisierung hervorgehoben und eingefordert hat.
Hätten Sie sich nicht gewünscht, dass er mit Ihnen persönlich anders umgegangen wäre? Er fordert Sie zum Rücktrittsangebot auf, sagt das auch noch öffentlich und lässt sich das Ganze durch den Zeitablauf erledigen. Ist da gar nicht zurückgeblieben?
Wir haben uns danach immer wieder einmal gesehen. Das waren sehr zugewandte Begegnungen. Und der Papst hat mich immer ermutigt, mutig voranzugehen und meinen Dienst zu tun.
Nun werden Sie den nächsten Papst mitwählen. Nur gut 130 Männer dürfen das. Ein Riesenprivileg, oder?
Von außen mag man das vielleicht so wahrnehmen, aber dieses Recht zur Papstwahl ist mit einer hohen Verantwortung verbunden: vor mir selbst, aber letztlich vor Gott, dem eigentlichen Hirten der Kirche. Es geht bei der Entscheidung nicht um Kirchenpolitik, um Personalpolitik, ob jemand jung oder alt ist oder von diesem oder jenem Kontinent kommt, sondern allein darum, zu erkennen, wen Gott für diese Aufgabe bestimmt hat. Das ist eine große Herausforderung. Wir Kardinäle tun gut daran, uns im Gebet darauf vorzubereiten. Und im Sinne von Franziskus synodal vorzugehen. Jeder von uns hat das Recht, zu sprechen und gehört zu werden. Und am Ende sollten wir nicht nur aufeinander hören, sondern vor allem auf die Stimme Gottes. Und dann dürfen wir auch darauf vertrauen, dass sich nach einer Unterscheidung der Geister zeigt, wen Gott für dieses Amt ausersehen hat.
Sie waren ja schon 2013 dabei und haben danach gesagt, vor dem Wandbild des Jüngsten Gerichts in der Sixtinischen Kapelle sei Ihnen ein kalter Schauer den Rücken heruntergelaufen. Haben Sie Angst?
Nein, ich hoffe immer auf einen gütigen und barmherzigen Gott. Aber es ist nicht einfach. Das ist kein Vorgang wie in einem Parlament, wo man auch mal aus Protest so oder anders abstimmt. Wir müssen den Ernst der Aufgabe schon während des Vorkonklave im Gebet bedenken. Die Wahl findet unter diesem Bild statt, weil wir das, was da geschieht, im Endgericht persönlich werden verantworten müssen. Jeder Einzelne von uns – und als Gemeinschaft des Kardinalskollegiums
Was ist das Vorkonklave? Wahlabsprachen darf es doch nicht geben, oder? Was bespricht man dann?
Das Vorkonklave sind Versammlungen, die bereits seit Dienstag noch im kleinen Kreis anlaufen. Alle Kardinäle sind gehalten, zur Beerdigung am Samstag nach Rom zu reisen, und stoßen jetzt nach und nach dazu. Wir treffen uns dann vormittags und nachmittags bis in den Abend hinein in der Synodenaula unter Leitung von Kardinal Re. Drei Kardinäle werden für die Führung der Abläufe ausgelost, aber immer nur für drei Tage, damit es keine Manipulationsmöglichkeiten gibt. In diesem Zeitraum sind alle Kardinäle aufgefordert, aus ihrer Perspektive die Lage der Kirche mit ihren lokalen und globalen Herausforderungen zu beschreiben. Ein Lagebild, das sich dann allmählich verdichten wird – auch mit kontroversen Zügen. Aber keine Personaldiskussion. Es gibt auch Kaffeepausen, beim letzten Vorkonklave hat ein deutscher Kardinal zwischendurch zu Kaffee und Kuchen eingeladen. Und dann ist der Zeitpunkt da, wo wir sagen: Wir glauben, jetzt wählen zu können. Allerdings gibt es auch eine Frist: Maximal 20 Tagen nach dem Tod müssen wir mit der Wahl beginnen.
Und dann wird es spannend, dann kommt irgendwann das berühmte extra omnes, also: Raus mit allen Nichtbefugten, oder?
2013 mussten wir am ersten Tag des Konklaves um 7 Uhr morgens unsere Zimmer im Gästehaus Santa Marta beziehen. Um 10 Uhr war der Eröffnungsgottesdienst im Petersdom, dann gab es Mittagessen und am Nachmittag eine Andacht in der Cappella Paulina. Und erst danach zogen wir mit der Allerheiligenlitanei zur Sixtinischen Kapelle. Vor der Tür traten dann die über 80-jährigen Kardinäle, die nicht mehr wählen durften, aus der Reihe heraus. Wir anderen zogen in die Kapelle.
Was ist denn diesmal mit Kardinal Re? Der ist doch über 80, müsste aber als Dekan die Wahl leiten.
Nein, Kardinal Re bleibt außerhalb. Beim letzten Mal war die Situation die gleiche: Kardinaldekan Angelo Sodano war über 80, also leitete der älteste wahlberechtigte Kardinal die Wahl. Das war damals Kardinal Re.
Alle müssen raus, aber Sie übernachten nicht in den Räumen neben der Sixtina, sondern wohnen weiter im Gästehaus? Also auf der anderen Seite des Petersdoms?
Ja, das sind ungefähr 600 Meter. Für Ältere und Gehbehinderte fährt ein Kleinbus, die anderen gehen zu Fuß.
Wie klappt das denn mit dem Abschluss von der Außenwelt?
Der Vatikan wird während der Wahl für Besucher geschlossen. Natürlich gibt es in Santa Marta Menschen, die zum Beispiel für uns kochen. Aber zumindest beim letzten Mal war es so, dass es für uns Essen vom Buffet gab. Kontakte gibt es nur unter den Kardinälen.
Vor gut 750 Jahren hat das Konklave von Viterbo mehr als 1000 Tage gedauert, und am Ende wurde das Dach abgedeckt, um Kardinäle unter Druck zu setzen. Wie ungemütlich wird es diesmal?
Nicht sehr gemütlich jedenfalls. Die Zimmer haben kein Tageslicht, alle Fenster sind versiegelt und die Rollläden sind zu. Wir müssen alle digitalen Kommunikationsmittel abgeben, dürfen keine Zeitung lesen und kein Fernsehen schauen. Die Zimmer werden uns zugelost. Wer Glück hat, bekommt sogar ein kleines Appartement. Aber dass wir nicht telefonieren, keine sozialen Medien nutzen dürfen, überhaupt keinen Kontakt nach außen haben, ist die größte Einschränkung.
Wie läuft die eigentliche Wahl ab?
Es gibt immer zunächst ein Gebet. Dann haben wir eine DIN-A3 große Liste mit den Namen aller Kardinäle und ein Blatt Papier, so gekennzeichnet, dass man sehen kann: Es gehört wirklich zu diesem Wahlgang. Und dann schreibt jeder den Namen dessen darauf, den er wählen möchte.
Muss das ein Kardinal sein?
Nein, das kann sogar jeder unverheiratete katholische Mann sein – gegebenenfalls müsste er noch die Weihen empfangen. Die Wahl läuft jedenfalls so ab, dass die Kardinäle nach Rangfolge und Ernennungsalter vortreten. Jeder hält seinen Stimmzettel hoch und gelobt, bevor er ihn in die Urne wirft, im Angesicht des wiederkehrenden Christus, er wähle den, von dem er glaube, dass es derjenige sei, den Gott zum Papstamt beruft. Drei Kardinäle zählen dann die Wahl aus, das heißt, einer nimmt den Stimmzettel aus der Urne, der zweite liest ihn, der dritte ruft den Namen.
Spannend. Zunächst werden das ja ganz viele verschiedene Namen sein.
Ja, der erste Wahlgang ist ja ganz offen, aber allmählich kristallisiert sich heraus, auf wen größere Stimmenzahlen entfallen. Dann denken auch andere neu nach. Es gibt immer zwei Wahlgänge am Morgen und am Abend, jeder dauert etwa zwei Stunden. Eine Zweidrittelmehrheit muss erreicht werden, dann ist der Papst gewählt. So oder so werden die Stimmzettel nach dem Wahlgang verbrannt. Das gibt dann je nach Zusatz den schwarzen oder weißen Rauch.
Sitzt man nach dem letzten Wahlgang des Tages noch auf ein Glas Wein zusammen?
Daran kann ich mich nicht erinnern. Wir haben zu Abend gegessen, und nach dem Dankgebet ist jeder auf sein Zimmer gegangen.
Und war das Essen ordentlich oder eher karg?
Es gab italienisches Essen. Nudeln natürlich und Gerichte wie Saltimbocca alla romana.
Nun hat Franziskus über 100 der wahlberechtigen Kardinäle neu ernannt. Sie werden viele von ihnen gar nicht kennen, oder?
Umso wichtiger, dass es das Vorkonklave gibt. Auch mit den Kaffeepausen. Mit der Möglichkeit, auf andere zuzugehen, zum Beispiel, wenn mich ein Wortbeitrag beeindruckt hat.
Wie ist es mit der Vertraulichkeit? 2019, sechs Jahre nach der Wahl von Franziskus, rechnete ein Enthüllungsbuch zum Beispiel vor, wie die einzelnen Wahlgänge verlaufen sein sollen. Stimmt die Darstellung?
Das werde ich Ihnen nicht sagen. Jeder Kardinal, der jetzt nach zum Vorkonklave nach Rom heißt, hat einen Eid abzulegen, dass alles der Verschwiegenheit unterliegt. Das wird vor dem eigentlichen Konklave wiederholt. Also sollte da nichts nach außen dringen.
Kennen Sie den Film „Das Konklave“?
Ja, den habe ich gesehen. Das ist nette Unterhaltung, manche Elemente kommen der Realität nahe, andere sind rein der Filmdramaturgie geschuldet.
Sie haben am Anfang gesagt, es gehe im Konklave darum, zu sehen, wen Gott für die Aufgabe des Papstamtes ausersehen hat. Nun gab es an Franziskus viel Kritik auch von Kardinälen. Kommt es also vor, dass Kardinäle später sagen, da haben wir uns geirrt?
Ich würde immer sagen: Der Gewählte ist unter Führung des Heiligen Geistes Papst geworden. Er ist Erster unter Gleichen. Die Kirche wird von Petrus und mit Petrus geleitet, deshalb haben wir Brüder das Recht und auch die Pflicht, dem Papst offen zu sagen, wenn uns eine bestimmte Entwicklung Sorgen macht. Das muss der Papst bedenken, so wie ich mich umgekehrt fragen muss, ob ich selbst die Dinge richtig sehe: Was will mir Gott vielleicht mit einer bestimmten Entscheidung des Papstes sagen?