- Auch den zweiten Mann im Staat treibt die Flutkatastrophe um.
- Er glaubt nicht, dass der Bund mehr Kompetenzen zum Schutz der Bevölkerung braucht – wohl aber, dass diese die Wahrheit über die Folgen des Klimawandels verträgt.
Mehr Tempo im Kampf gegen den Klimawandel: Das fordert auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU). Im Gespräch mit Tobias Schmidt plädiert der 78-Jährige aber zugleich für Offenheit gegenüber der Atomkraftnutzung.
Der Starkregen hat schwerste Verwüstungen angerichtet. Hatten Sie persönlich Sorge, Ihr Haus in Offenburg werde überschwemmt?
Bei Starkwetterlagen kann es nahezu jeden Ort treffen. Es hilft nichts, wir müssen uns darauf einstellen, dass es häufiger zu solchen Katastrophen kommt und die Vorkehrungen wesentlich verbessern. Jede Gemeinde, jeder Landkreis muss sich stärker wappnen. Die Behörden und alle Helferinnen und Helfer haben nach der Flut getan, was sie konnten, trotzdem gab es diese erschreckend hohe Zahl an Opfern und Vermissten.
Müssen wir die Kompetenzen zum Bevölkerungsschutz neu ordnen?
Die Erstzuständigkeit beim Katastrophenschutz liegt bei den Ländern, bei Kommunen und Landkreisen, und das ist gut so. Natürlich kann der Bundesinnenminister bei überregionalen Krisen helfen, auch das Technische Hilfswerk und die Bundeswehr werden eingesetzt. Aber mit zentralistischen Systemen lässt sich keinesfalls schneller oder besser auf diese Ereignisse reagieren. Manches kann im Zusammenspiel von Bund und Ländern sicher noch besser werden. Aber deswegen unser föderales System in Frage zu stellen, das halte ich – wie schon im Kampf gegen die Corona-Pandemie – für falsch. Vor Ort kann einfach schneller gehandelt werden. Die unmittelbare Zuständigkeit von den Ländern auf den Bund zu verlagern, macht daher keinen Sinn.
Muss das Warnsystem nicht dringend verbessert werden?
Würden sich denn alle sofort in Sicherheit bringen, wenn sich eine Bundes-Warn-App meldet? Wohl kaum. Auch das Radio hat nicht jeder immer angestellt. Vielleicht sind die guten alten Sirenen mitunter wirksamer, vermutlich müssten sie vielerorts reaktiviert werden, gerade in kleineren Gemeinden. Es gibt einen weiteren Punkt: Zu Zeiten des Kalten Krieges gab es zum Beispiel die „Aktion Eichhörnchen“, die Bürger waren angehalten, einen Vorrat an Grundnahrungsmitteln und Konserven anzulegen. Heutige Haushalte sind vielfach noch nicht einmal darauf vorbereitet, einen halben Tag ohne Strom auszukommen. Privat für Katastrophenfälle vorzusorgen, das ist auf jeden Fall ratsam. Denn die richtige Vorsorge hilft, im Ernstfall die Ruhe zu bewahren und nicht in Panik zu geraten.
Mahnung an Stiko
Sollten Kinder gegen Corona geimpft werden? So schnell wie möglich, findet Wolfgang Schäuble und macht seinem Ärger über die Stiko Luft, die Kinderimpfungen (noch) nicht empfiehlt. „Es steht dem Bundestagspräsidenten nicht an, die Ständige Impfkommission zu kritisieren. Allerdings darf ich sie an ihre Verantwortung erinnern“, sagte Schäuble im Gespräch mit unserer Redaktion. Kinder erkrankten nicht so oft an Corona, aber auch sie könnten bei einer Infektion unter Spätfolgen leiden oder das Virus weitergeben. „Wenn die europäische Zulassungsbehörde zwei Corona-Impfstoffe für sicher und wirksam auch für Kinder ab zwölf Jahren erklärt, spricht aus meiner Sicht sehr viel dafür, die Vakzine auch für diese Gruppe breit zu nutzen“, so Schäuble.„Ich wünsche mir persönlich als Großvater, dass meine Enkel möglichst bald geimpft werden können.“
Schneller raus aus der Kohle, ein höherer Benzinpreis. Zu all dem sagt Unionskanzlerkandidat Armin Laschet „Nein“. Hat er die Dringlichkeit noch immer nicht erkannt?
Moment! Es gibt einen Konsens über den Kohleausstieg. Auf die Braunkohlereviere am Niederrhein und vor allem in der Lausitz kommen harte Veränderungen zu. Ich sehe keinen Sinn darin, in einem politischen Überbietungswettbewerb jetzt die Jahreszahl für das Kohle-Aus wieder in Frage zu stellen.
Ist in Sachen Klimaschutz nicht eher ein Unterbietungswettbewerb der Wahlkämpfer zu beobachten? Wer traut sich denn, konkrete Maßnahmen anzukündigen?
Ich finde auch, wir sollten den Menschen – ob Wahlkampf oder nicht – klar sagen, dass die notwendigen Schritte allen etwas abverlangen werden. Den Eindruck zu erwecken, die anstehenden strukturellen Veränderungen beträfen den Einzelnen nicht, das ist nicht die Wahrheit. Die Menschen können die Wahrheit aber durchaus ertragen, auch im Wahlkampf. Daher schadet Ehrlichkeit nicht.
Wäre es ehrlich, einen Anstieg des CO2 -Preises anzukündigen?
Eine höhere CO2 -Bepreisung habe ich immer für richtig gehalten. Das muss auch schneller vorangehen. Über höhere Kosten für Treibhausgasemissionen den Markt zur CO2 -Vermeidung zu treiben, das ist genau der richtige Weg. Und wenn dann das Autofahren teurer wird, sollte uns das nicht schrecken – wobei soziale Härten natürlich ausgeglichen werden müssen. Die Frage ist ja längst nicht mehr, ob wir mehr tun müssen, um den Klimawandel zu bremsen, sondern welche Instrumente wir einsetzen. Wenn wir unsere Wirtschaft schädigen, werden wir jedenfalls so gut wie nichts zur weltweiten Treibhausgasreduzierung beisteuern, weil uns dann niemand folgt. Da stört mich auch so manches Diskussionsverbot bei Fridays for Future. Als Greta Thunberg etwa die Atomkraft als fast CO2 -neutrale Energiequelle ansprach, wurde sie von ihrer Bewegung zurückgepfiffen.
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Sollte die nächste Bundesregierung also über eine AKW-Laufzeitverlängerung nachdenken?
Es macht wenig Sinn, die Debatte in Deutschland aufzumachen. Die Entscheidung ist 2011 nach Fukushima gefallen. Wir sollten jedoch zur Kenntnis nehmen, dass nicht überall auf der Welt, auch nicht überall in Europa, so schnell aus der Kernkraft ausgestiegen wird. Es wird auch nicht jedes Land den deutschen Weg gehen. Wir sollten uns als Hochtechnologieland vor allem nicht von der internationalen Forschung zur Kernenergie abkoppeln. Auch der Ansatz, CO2 aus der Atmosphäre zu filtern und zu speichern, sollte weiterverfolgt werden. Auch darüber wollen manche Klimaschutzaktivisten nicht reden. Ich bin sehr für die offene Auseinandersetzung um die besten, um innovative Lösungen, die Debatte dürfen wir nicht aus ideologischen Gründen abwürgen.
Die Fridays-for-Future-Aktivisten sehen die Demokratie gefährdet, wenn sich die Politik weiter hinter dem „Machbaren“ verschanze und das Notwendige einfach nicht tue.
Die Parteien müssen natürlich für das eintreten, was sie für notwendig halten. Aber es muss zwischendurch auch dafür gesorgt werden, dass möglichst vieles in konkreten Schritten umgesetzt wird, hier kommt die Machbarkeit ins Spiel. Es geht um das Bohren verdammt dicker Bretter, und das in einem immer rasanteren Tempo. Es kommt auf die Umsetzung an. Das „Machbare“ ist deswegen kein negativer Begriff, kein Wegducken vor der Notwendigkeit, mehr und schneller zu handeln. Demokratie heißt eben, die Mehrheit vom Notwendigen zu überzeugen. Und dazu gehört für mich dann auch, den Mut zu haben, die Kosten zu benennen. Es gibt nichts umsonst. Was scheinbar keinen Preis hat, mit dem wird auch nicht sparsam umgegangen. Das gilt für Rohstoffe genauso wie für das restliche CO2 , das wir ausstoßen können, bevor es zu warm wird.