Interview mit Virologe Hendrik Streeck„2G ist weder sozial noch medizinisch sinnvoll“
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Der Bonner Virologe Hendrik Streeck
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Es war zuletzt etwas ruhiger geworden um den Bonner Virologen Hendrik Streeck.
Jetzt äußert er sich im Interview mit Burkhard Ewert zur 2G-Regel und dem Ausschluss von Getesteten, zu Long Covid und den unterschiedlichen Blicken auf Aids und Corona.
Herr Streeck, Daten aus anderen Ländern deuten darauf hin, dass der Biontech-Impfstoff nach einigen Monaten stark an Wirksamkeit verliert und auch Geimpfte in relevantem Ausmaß erkranken oder zumindest infiziert werden. Was ist da dran? Und was bedeutet es?
Vielfach liegt ein Missverständnis vor, was dieser Impfstoff kann und was nicht. Sonst würde dieser Umstand nicht für Überraschung sorgen. Es ist anzunehmen, dass in der ersten Phase der mRNA-Impfstoff sehr gut Infektionen verhindert, weil mRNA ein sehr immunaktivierender Faktor ist. Wenn wir hoch dosiert mRNA als Impfstoff bekommen, gehen die Alarmglocken im Immunsystem quasi richtig an – da hat das Virus keine Chance. Mit der Zeit lässt diese erste, unmittelbare Wirkung nach, aber dafür sind dann Antikörper und T-Zellen vorhanden. Diese schützen zum Teil vor der Infektion, aber vor allem vor einem Ausbreiten des Virus im Rachen und Körper. Es schützt sehr gut vor einem schweren Verlauf, aber nicht unbedingt vor der Infektion. So funktioniert dieser Impfstoff. Es ist nicht ungewöhnlich, dass man auch bei Geimpften den Virus im Rachen nachweisen kann, aber das Immunsystem ist dann vorbereitet. Und diese Wirkung ist nach wie vor außerordentlich gut.
Zur Person
Prof. Dr. Hendrik Streeck (42) leitet das Institut für Virologie der Universität Bonn. Nach seiner Promotion arbeitete er neun Jahre lang in den USA, unter anderem an der Harvard Medical School und in der HIV-Forschung.
Nach Deutschland zurück kam er 2015 mit Unterstützung eines Programms, das deutsche Top-Forscher wieder an heimische Universitäten holen sollte. Streeck wurde Professor für medizinische Biologie an der Universität Essen und gründete das Institut für HIV-Forschung.
Streeck ist Kuratoriumsvorsitzender der Deutschen Aids-Stiftung und stammt aus Göttingen. (ew)
Wenn Geimpfte zunehmend infiziert sind, müssten sie dann nicht wie potenzielle Überträger behandelt werden? Oder, andersherum, Ungeimpfte nicht anders als sie?
Die Daten zeigen, dass auch Geimpfte das Virus übertragen können, im Einzelfall sogar in hohem Maße, aber in der Summe doch deutlich geringer als Menschen, die nicht geimpft worden sind. Da bleibt durchaus ein Unterschied. Richtig ist aber, dass wir mit dem Virus werden leben müssen, so oder so, ob geimpft oder nicht. Es besteht immer noch bei einigen Menschen der Wunschgedanke, dass man das Virus loswerden könnte. Das ist aber nicht möglich. Das ist eine Tatsache. Punkt. Was wir erreichen können, ist, dass selbst sehr hohe Infektionszahlen keine schweren Folgen mehr haben werden. Wovon ich wenig halte, ist es deshalb auch, wenn man 2G anordnet, also nur Geimpfte oder Genesene in bestimmte Bereiche lässt. Das ist weder sozial noch medizinisch sinnvoll. 2G mag in der Theorie einen Effekt haben. Es wird aber in der Realität nicht bewirken, was man auf dem Rechenschieber sehen mag. Es ist doch nicht so, dass Menschen, die nicht geimpft oder genesen sind, nur noch frustriert alleine zu Hause sitzen und kein soziales Leben mehr haben. Wir würden lediglich mehr unkontrollierte und unkontrollierbare Ausbrüche im privaten Bereich haben, die dann auch nicht getestet werden.
Macht eine dritte Impfung Sinn? Bleiben Sie bei Ihrer bisherigen Skepsis?
Es gibt keinen belastbaren Hinweis, dass die Wirkung von zwei Impfungen derart nachlässt, dass sie das Hauptziel des Schutzes vor einem schweren Verlauf prinzipiell nicht mehr gewährleisten. Eine Booster-Impfung erhöht die Zahl der Antikörper – aber es gibt keine Daten, die zeigen, dass deren Anzahl vorher zu niedrig gewesen wäre für einen guten Schutz. Bei Patienten mit hohem Risiko, also mit schlechtem Immunsystem, zum Beispiel Personen in Alten-oder Pflegeheimen hingegen mag ein Booster sinnvoll sein.
Für wie relevant halten Sie Long Covid?
Ich plädiere dafür, sich diesem Thema ohne Aufgeregtheit zu widmen. Unter Long Covid summiert man inzwischen etwa 200 Symptome. Allerdings können wir Long Covid nicht messen, nicht testen, nicht empirisch nachweisen. Es gibt bisher keinen Biomarker dafür. Am häufigsten genannt wird das Symptom der Müdigkeit – es macht 70 Prozent aus. Müdigkeit ist aber nicht gut wissenschaftlich feststellbar, sondern subjektiv und suggestiv. Sie wird bei dem einzelnen Patienten gegeben sein und muss ernst genommen werden. Aber wie häufig folgt sie unmittelbar aus der Erkrankung? Und wie häufig hört jemand davon, fühlt sich müde und sucht dann nach einer für ihn plausibel erscheinenden Erklärung? Es gibt Long Covid, richtig. Studien deuten darauf hin, dass nach Corona-Infektionen etwa 1,65-mal häufiger als bei anderen schweren Lungenerkrankungen länger anhaltende Folgen zurückbleiben, ohne dass wir den Grund benennen können. Nur sind es in der absoluten Summe deutlich weniger Fälle, als es den Anschein hat, zumindest als direkte Folge der Erkrankung. Der Komplex muss noch intensiver erforscht werden.
Wie revolutionär ist die mRNA-Methode? Gibt es bald auch Impfstoffe oder Behandlungen gegen andere Krankheiten?
Es ist erstmal toll, wie enorm schnell der Impfstoff jetzt hergestellt werden konnte. Aber ich glaube, wir haben erstens noch gar nicht in allen Details verstanden, wie hier die Immunität genau entsteht. Zweitens sind mRNA-Impfstoffe auch gegen die HIV-Infektion im Affenmodell untersucht worden. Hier hat es keinen Durchbruch gegeben. Daher bleibt diese Frage noch offen, ebenso wie das Potenzial anderer Genverfahren. Science und Fiction sind hier noch sehr nahe beieinander. Ein Beispiel: Krebs mit der Genschere aus Zellen zu schneiden ist vielleicht in der Petrischale möglich, aber noch nicht im komplexen System eines Körpers. Im Gegenteil, wenn man einen Fehler macht, kann man mit dieser Technologie Krebs sogar verursachen. Die Potenziale sind riesig, bis auf weiteres aber noch Zukunftsmusik.
In der Pandemie wurde mit Tests auch viel Geld verdient, ebenso mit Masken, mit Kitteln, mit medizinischer Technik und mit Impfstoffen. Wie sieht es bei Ihnen aus – sind jetzt alle Labordirektoren reich?
Ich kann das nicht für andere beantworten, jeder hat seinen eigenen Vertrag. Einige Kollegen mögen gut verdient haben, wenn sie Altverträge haben oder an ihren Laboren direkt beteiligt sind. Bei mir in Bonn ist das allerdings nicht der Fall. Die Tests werden staatlich bezahlt und abgerechnet.
Sie sind auch Kuratoriumsvorsitzender der Aids-Stiftung und Experte für HIV – hätten Sie sich manchmal gewünscht, dass ähnlich energisch gegen Aids wie gegen Corona vorgegangen worden wäre?
Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, wie gut gegen eine Infektion vorgegangen werden kann, wenn der politische Wille da ist. Dann sind die Gelder da, dann ist der Druck da. Bei Aids war das leider so nicht der Fall, trotz mehr als 35 Millionen Aids-Toten weltweit. Gegen Corona sind acht Impfstoffe weltweit lizensiert, über 30 waren in der klinischen Testung. Bei HIV sind es überhaupt nur acht in dieser Phase in mehr als 30 Jahren gewesen, und am Ende hat keiner die Hoffnungen erfüllt. Meine Befürchtung ist, dass auf Aids auch deshalb eine geringere Aufmerksamkeit liegt als auf Corona, weil die Krankheit im Wesentlichen in weniger entwickelten Regionen der Welt grassiert.