AboAbonnieren

Interview mit Reinhard Bütikofer„Die EU hat nicht die Voraussetzungen zur Supermacht“

Lesezeit 6 Minuten
Reinhard Bütikofer (Bündnis 90 Die Grünen, Fraktion Die Grünen/EFA)

Reinhard Bütikofer (Bündnis 90 Die Grünen, Fraktion Die Grünen/EFA)

Der grüne EU-Politiker und China-Kenner Reinhard Bütikofer hält nichts vom Vorstoß für eine neue Strategie gegenüber Peking

Der frühere Grünen-Vorsitzende Reinhard Bütikofer (70) ist seit 2009 Mitglied des Europaparlaments und leitet dort die Delegation für die Beziehungen zu China. Im Gespräch mit Katrin Pribyl kritisiert er Emmanuel Macron – und plädiert für eine gemeinsame europäische Außenpolitik.

Seit Wochen debattiert die EU über China – ausgelöst durch die Äußerungen von Frankreichs Präsident Macron, der eine eigenständige Position der EU im Konflikt zwischen China und den USA zu Taiwan fordert. Sind Sie überrascht über die Aufmerksamkeit?

Nein, die Aufmerksamkeit ist verdient, denn die Debatte ist wichtig. Verschiedene Stränge verschlingen sich dabei miteinander. Zum einen ist China dabei, den Austausch mit Vertretern der EU-Mitgliedstaaten zu forcieren, weil man in Peking vom Europäischen Parlament und der EU-Kommission weniger angetan ist. Wir sind China zu kritisch. Ich sage: Wir sind nüchtern. Nun hofft die chinesische Führung auf mehr Zugeständnisse von anderen Gesprächspartnern.

Und zum anderen?

Akteure in Paris, Berlin, Madrid, Rom oder Warschau versuchen angesichts der nach wie vor unübersehbaren Verlockungen des großen chinesischen Marktes und unter dem Eindruck der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, ob sie vielleicht noch eine Scheibe China-Handel abschneiden können.

Sie verweisen auf die Besuche vieler EU-Politiker in China.

Sicher. Indes: Während derzeit eine lange Prozession nach Peking stattfindet, wird zugleich um die Gesamtorientierung der europäischen China-Politik gerungen. Vor vier Jahren kamen wir zu dem Ergebnis, dass China ein systemischer Rivale ist, also eine Macht, die nach autoritären Regeln unterwegs ist, die auch internationale Beziehungen so gestalten will, dass der Autoritarismus blüht. Man kann das nicht ignorieren. Das sagen etwa EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Außenministerin Annalena Baerbock als Realistinnen; Macron dagegen träumt.

Der Franzose beansprucht für sich trotzdem regelmäßig, die Stimme Europas zu sein.

Wenn er sich voll Hybris selbst zum Obereuropäer ernennt, ändert das nichts daran, dass Europa überwiegend anders tickt als er. Immerhin hat er durch seine abstrusen Äußerungen ein Schlaglicht geworfen auf Punkte, die wir besser zu klären haben. Das ist sozusagen ein Glück im Unglück.

Hat die EU Ihrer Meinung nach die richtigen Konsequenzen aus der Erkenntnis gezogen, China sei ein systemischer Rivale?

Sie hat gerade im ökonomischen Bereich in den letzten Jahren eine gestaltende Politik gemacht. Wir haben Schutzinstrumente aufgebaut, mit denen wir bis zu einem gewissen Grad unfairen chinesischen Investitions- und Handelspraktiken wirksam etwas entgegensetzen können. Wir haben die Global-Gateway-Initiative vom Stapel gelassen, mit der wir Ländern mit Bedürfnissen bei der Infrastruktur-Entwicklung ein Angebot machen, so dass sie nicht darauf angewiesen sind, sich Chinas harten Kreditbedingungen auszuliefern. Aber wir haben etwa durch das Chips-Gesetz auch industriepolitisch neue Seiten in dem Buch der EU-Wirtschaftspolitik aufgeschlagen. Frau von der Leyen hat, dafür kann man sie durchaus öfter loben, mit dem Begriff des „De-Risking“ ein Ziel formuliert, das sich abgrenzt gegen die irrige Vorstellung, man könnte oder sollte gegenüber China den Rollladen herunterlassen. Wir wollen nicht die Beziehung abschneiden, sondern deren Risiken vermindern. Alle 27 Hauptstädte würden davon profitieren, wenn sie sich bewusster einbinden in diesen Arbeitsprozess.

Nun meinen einige in Europa, man müsse sich in Sachen China von den USA distanzieren. Macron sprach von der Gefahr, dass die Europäer in der Taiwan-Frage Mitläufer werden...

Das war Unsinn. Wenn wir sagen, wir wollen nicht, dass China Taiwan überfällt, dann folgen wir damit unseren eigenen Werten und Interessen, weil wir solidarisch mit der taiwanesischen Demokratie sind und erhebliche politische und wirtschaftliche Probleme kriegen, wenn China die Insel unter den Stiefel tritt. 50 Prozent des Welthandels gehen durch die Straße von Taiwan. Wenn die zu ist, spüren wir das. Sich mit dem Thema zu befassen, heißt nicht nach der amerikanischen Pfeife zu tanzen. Mit unserem Wirtschaftsmodell haben wir uns auf den Austausch mit dem Rest der Welt eingestellt. Wenn wir uns nicht in ein europäisches Mauseloch verkriechen wollen, haben wir ein massives Interesse an Stabilität und Frieden in Asien.

Wie bewerten Sie Macrons Forderung, Europa in der Welt zu einem dritten Pol zu machen?

Im Sportunterricht wollte ich immer über 1,60 Meter hoch springen können, habe es aber nie geschafft. Der Wunsch ersetzt nicht das Können. Mit der „Supermacht“ EU ist es ähnlich. Sie hat einfach nicht die Voraussetzungen dafür, eine Supermacht zu sein. Schon mancher französische Präsidenten hat die begrenzte Grandeur seiner eigenen Nation durch Europa-Illusionen ausgleichen wollen. Aber Europa entwickelt seine Stärke nicht, indem im 21. Jahrhundert die ehemaligen Kolonialmächte gemeinsame Supermacht-Ambition entwickeln, sondern indem wir die Grundmelodie der letzten 70 Jahre – Multilateralismus, internationale Herrschaft des Rechts – weiterentwickeln. Die Idee der EU ist die der Partnerschaft auf Basis des gleichen Respekts. Ich finde das klug. Dasselbe Prinzip auch auf die internationale Ebene jenseits der EU zu erstrecken, ist ein Projekt, das zahlreiche Partner finden kann, weil viele sich angesichts wachsender Großmachtpolitik sorgen.

Warum tut sich Europa überhaupt so schwer, eine gemeinsame Außenpolitik gerade gegenüber China zu entwerfen?

Meine Gegenfrage: Seit wann versucht Deutschland, konsequent zu einer gemeinsamen europäische Außenpolitik gegenüber China beizutragen? Frühestens seit Angela Merkel aus dem Amt ist. Solange sie Kanzlerin war, folgte die deutsche China-Politik der Unterstellung, dass wir einen Löffel hätten, der lang genug ist, um auf alle Ewigkeit mit den Chinesen aus derselben Suppenschüssel zu essen. In Wirklichkeit ist unser deutscher Löffel zu kurz. Da ist dieser schöne Satz, wonach es in Europa nur zwei Arten von Ländern gibt: Kleine Staaten – und Staaten, die noch nicht verstanden haben, dass sie klein sind. Diese Erkenntnis muss uns dazu führen, einen europäischen Löffel zu schnitzen. Deshalb haben wir in der Ampel-Koalition verabredet, eine europäische China-Politik mitzumachen.

Haben Sie den Eindruck, dass das angekommen ist?

Wir sind noch nicht am Ziel aller Wünsche, aber auf dem Weg dahin. Da machen wir Fehler und da machen wir Fortschritte. Aber ich wehre mich dagegen, nur die Fehler zu sehen.

Olaf Scholz etwa reiste im vergangenen Jahr allein mit Wirtschaftsvertretern nach Peking. Wo steht er in der China-Frage?

Das ist nicht immer einfach zu sagen, weil der Kanzler so gerne schweigt. Es ist bekannt geworden, dass er erfreulicherweise mit Blick auf Taiwan europäischem Mainstream folgt: Dass wir entschieden dagegen sind, einseitige Veränderungen des Status Quo in der Straße von Taiwan vorzunehmen. Aber dass der Kanzler direkt nach dem Krönungsparteitag der Kommunistischen Partei Chinas für Xi Jinping nichts Dringenderes zu tun hatte als dem Parteikaiser seine Aufwartung zu machen, trug sicher dazu bei, dass andere Staats- und Regierungschefs nun auch nach Peking pilgern. Mit Alleingängen führt man schwer auf den Weg zur Gemeinsamkeit.