- Karl Haucke ist Sprecher des Betroffenenbeirates beim Erzbistum Köln.
- Ingo Schmitz hat mit ihm über den Umgang des Erzbistums mit der aktuellen Studie gesprochen.
Köln – Das Erzbistum hat in Rücksprache mit dem Betroffenenbeirat entschieden, die Missbrauchsstudie, mit der es eine Münchner Kanzlei beauftragt hatte, nicht zu veröffentlichen und sie stattdessen erneut in Auftrag zu geben. Wie stark war der Beirat in diese Entscheidung eingebunden?Um darauf eine Antwort geben zu können, müsste ich dabei gewesen sein. War ich aber nicht. Und ich sage Ihnen gern, warum: In einer Zeit, da die zuständigen Gremien in Berlin über die Reduzierung von Kontakten aus Corona-Gründen nachdenken, lädt das Erzbistum zu einer Sondersitzung des Betroffenenbeirates ein, deren Kernthema der „Weitergang der Unabhängigen Untersuchung“ sein soll. Eine solche Einladung zum Thema jahrzehntelangen Versagens des Erzbistums in Fragen der Vertuschung sexualisierter Gewalt, eine solche Einladung in Coronazeiten, bezeichne ich als fahrlässig. Die meisten Mitglieder des Betroffenenbeirates sind Hochrisikopatienten. Ich wollte die Dringlichkeit dieser Sitzung („Der Kardinal braucht Sie!“) nicht einsehen. Deshalb bin ich der Sondersitzung ferngeblieben. Meine Gründe habe ich innerhalb des Gremiums und gegenüber dem Erzbistum kommuniziert. Ich weiß auch nicht, ob ich hingegangen wäre, wenn man vorher wirklich gesagt hätte, was man von uns wollte: Nämlich die Verhinderung eines Gutachtens, das wir gar nicht kennen.
Es sei nicht gelungen, die Studie rechtssicher zu erarbeiten, so das Argument. Können Sie das nachvollziehen?
Rechtssicher, gerichtsfest, all solche Fachbegriffe haben eindrucksvolle Juristen – die übrigens nicht zur Sitzung angekündigt waren – den Sitzungsteilnehmern stundenlang um die Ohren gehauen, so meine Informationen von Mitgliedern des Gremiums. Niemand hat gefragt, ob Betroffene überhaupt an sowas wie „Rechtmäßigkeitskontrolle“ interessiert sind. Nach meiner Kenntnis geht es den meisten Betroffenen nicht darum, einen Bischof im Knast zu sehen.
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Wir wollen wissen, was geschehen ist und von wem zu verantworten ist. Wir wollen dieses Wissen einordnen können in die Zeitläufe und in unsere Biografien. Wir wollen Informationslücken schließen, um zumindest die Auseinandersetzung mit den Tätern hinter den Tätern für uns abschließen zu können. Interessant ist: Am Donnerstag hat die Münchner Kanzlei im Bistum Aachen Ihr Gutachten zum dortigen Umgang mit sexualisierter Gewalt vorgestellt. Und siehe da: Die Bistumsleitung dort war bereit, sich die erhobenen Vorwürfe in Anwesenheit der Presse anzuhören. Ebenso wie die Bewertungen auf dem Hintergrund des Selbstverständnisses der Kirche.
Hat der Beirat die Studie oder wenigstens Teile daraus zu sehen bekommen?
Nein. Keine einzige Zeile. Auch von dem Gutachten über die Studie wurde nichts vorgelegt. Ich habe, nachdem ich von dem Vorgang erfahren hatte, sofort beim Bistum um Einsichtnahme in die Münchner Studie gebeten. Die Antwort war das Angebot, am 18. März 2021 die Münchner Studie kennenzulernen, zusammen mit dem neuen Gutachten. Jetzt jedenfalls nicht. Übrigens habe ich auch bei Westpfahl, Spilker und Wastl um Einblick in die Studie gebeten. Aber die durften mir das nicht gewähren.
Der Betroffenenbeirat
Als eines der ersten deutschen Bistümer richtete die Erzdiözese Köln 2018 einen Beirat für von sexualisierter Gewalt Betroffene ein. Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki versprach damals eine „Begegnung mit den Betroffenen auf Augenhöhe“.
In die Krise geriet das Gremium durch eine „Gemeinsame Erklärung“, die Erzbistum und Beirat am 30. Oktober abgaben: Das Erzbistum beende seine Zusammenarbeit mit der Münchner Kanzlei Westpfahl, Spilker, Wastl, die ein Gutachten zum Umgang mit sexualisierter Gewalt erstellen sollte, stattdessen werde der Kölner Strafrechtler Björn Gercke beauftragt. Das Münchner Gutachten werde nicht veröffentlicht. Der Betroffenenbeirat stehe hinter dieser Entscheidung. Dessen Vorsitzender Patrick Bauer wurde mit einer Erklärung zitiert, in der er der Münchner Kanzlei schlechte Arbeit vorwarf.
Wenige Tage später trat Bauer zurück, distanzierte sich von seiner Erklärung und forderte die Veröffentlichung des Gutachtens. Nach seinen Angaben ist der Betroffenenbeirat bei dem Umgang mit dem Gutachten gespalten. Am Donnerstag erklärte der zweite Sprecher, Karl Haucke (Foto), seinen Rücktritt und sein Ausscheiden aus dem Gremium. Haucke (Jahrgang 1951) ist pensionierter Dozent der TH Köln. (EB)
Mitglieder des Beirats sind zurückgetreten. Wie beschreiben sie zurzeit die Stimmung im Beirat?
Der Betroffenenbeirat im Erzbistum Köln ist zutiefst gespalten. In welchem Zahlenverhältnis, darüber wird gestritten. Kardinal Woelki behauptet öffentlich und dem Gremium gegenüber, sein Weg im Umgang mit dem Gutachten habe im Beirat mehrheitliche Zustimmung; mein Wissen ist ein anderes: Die Mehrheit des Gremiums hat öffentlich beziehungsweise in einer Sitzung am 4. November, an der ich digital teilgenommen habe, beschrieben, dass sie sich durch das Vorgehen der Bistumsleitung instrumentalisiert sehe. Fest steht: Der Kardinal hat „seinen“ Beirat gerufen: „Ich brauche Euch.“ Fast alle sind gekommen. Und dann hat er das Gremium eben kaputtgebraucht. Er hat die Einrichtung, mit der er sich immer so gerühmt hat, geopfert aus kirchenpolitischen Gründen.
Was hat das alles mit Ihnen persönlich gemacht?
Es macht mich krank. Diese Instrumentalisierung ist für mich wie ein erneuter Missbrauch. Auch vor 50 Jahren hat man uns Vergewaltigungsopfern gesagt: „Der liebe Gott will es doch so. Es tut Dir doch gut. Du willst es doch auch.“ Eine neue Qualität ist es, abseits von körperlichem Missbrauch, Betroffene zur Durchsetzung kirchenpolitischer Ziele einzusetzen wie eine Kriegslist. Und zwar gremienweise. Man brauchte das Zertifikat „mit dem Betroffenenrat abgestimmt“, und das hat man mit dieser Überrumpelung erreicht. Wir wurden auf dem Altar der Vertuschungspolitik erneut geopfert.
Als das Bistum im März bekanntgab, die Veröffentlichung der Studie müsste aufgeschoben werden, gingen Sie fest davon aus, die Veröffentlichung werde kommen. Sie attestierten Kardinal Woelki den unbedingten Willen, die Verantwortlichen zu benennen.
Das war damals. Das war, bevor Kardinal Woelki uns in anderem Zusammenhang überrumpelt hat: Im September hatten wir ihm eine Botschaft an die Bischofskonferenz nach Fulda mitgegeben, er hat propagandistisch verbreitet, wie froh er über diesen Brief sei. Aber über unsere Sorgen wegen der Entschädigungszahlungen hat er nichts gesagt. Ich kann jemandem, der mich mehrfach für seine Zwecke benutzt hat, nicht weiterhin glauben, wenn er mir redliche Absichten vorgaukelt. Die „zweite Chance“, die ich dem Kardinal Woelki bei meinem Eintritt in den Beirat eingeräumt habe, hat er längst vertan.