Hunderte Milliarden Euro jährlichWie die EU den „Green Deal“ finanzieren will
Straßburg – Es sind gigantische und vielleicht auch ein bisschen märchenhaft anmutende Summen. Hunderte Milliarden Euro sollen jährlich investiert werden, um die Europäische Union bis 2050 „klimaneutral“ zu machen. Kraftwerke müssen ersetzt, Windräder errichtet, Häuser gedämmt, Autos erneuert, Busse und Bahnen ausgebaut werden. Das sind nur wenige Beispiele. In einem historischen Kraftakt soll für den Klimaschutz binnen 30 Jahren die gesamte europäische Wirtschaft umgekrempelt werden.
Wer soll das bezahlen? Die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen hat am Dienstag erstmals ein Konzept vorgelegt, wie ihr „Green Deal“ in den nächsten zehn Jahren finanziert und auch sozial abgefedert werden soll. Denn für Hunderttausende Menschen in klimaschädlichen Branchen müssen neue Jobs gefunden werden, sonst ist es mit dem politischen Rückhalt für die Klimawende schnell vorbei. Hat von der Leyen eine Antwort darauf?
Die Zahlen: ein ziemliches Wirrwarr
Die Zahlen zum Investitionsbedarf sind ziemlich unübersichtlich. 2018 sprach die EU-Kommission von 290 Milliarden Euro pro Jahr für das Ziel der „Klimaneutralität“ bis 2050; jetzt nennt sie eine Summe von 260 Milliarden Euro jährlich, auf die aber noch etwas drauf kommen müsse. Merken kann man sich vielleicht diesen Dreiklang, den EU-Beamte diese Woche vorstellten: Nötig seien bis 2030 rund drei Billionen Euro, also 3000 Milliarden Euro; das jetzt vorgestellte EU-Programm für nachhaltige Investitionen soll eine Billion Euro umfassen; unter diesem Dach sieht ein „Mechanismus für den gerechten Wandel“ 100 Milliarden Euro für Regionen vor, für die die Klimawende besonders hart ist, vor allem Kohleregionen.
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Eine Billion und die Kraft des Hebels
Die fast unvorstellbar große Summe aus dem Investitionsprogramm soll nicht etwa komplett vom Steuerzahler finanziert werden. Sie kommt mit ebenfalls recht komplizierten Rechenmodellen zustande. Von den anvisierten 1000 Milliarden Euro sollen nach Angaben von EU-Beamten rund 500 Milliarden Euro aus dem EU-Gemeinschaftshaushalt kommen, dann 100 Milliarden Euro ergänzende Gelder von den EU-Staaten, 100 Milliarden für den „gerechten Wandel“ und 300 Milliarden, die mit Hilfe des bestehenden EU-Programms InvestEU von privaten Investoren aufgebracht werden sollen.
Das EU-Budget soll dafür nicht drastisch in die Höhe schnellen, vielmehr werden eingeplante Mittel konsequent auf das Ziel des „Green Deal“ ausgerichtet. Sie werden also teilweise neu „verpackt“. Zum Teil soll öffentliches Geld dafür eingesetzt werden, Kredite für Investoren abzusichern und Risiken abzupuffern. Fachleute sprechen von einem „Hebel“, der mit vergleichsweise wenig Steuergeld große Investitionssummen mobilisieren soll. Nach dem Prinzip funktionierte bereits der sogenannte Juncker-Plan, der seit 2014 nach Angaben der EU-Kommission knapp 460 Milliarden Euro Investitionen angestoßen hat.
Kritiker hegen massive Zweifel
Nicht nur die Grünen im EU-Parlament nennen das Finanzierungsmodell jedoch einen „Taschenspielertrick“. Auch der Wirtschaftsexperte Guntram Wolff von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Die Hebelzahlen halte ich für illusorisch. Man braucht viel mehr echtes Geld.“ Im übrigen sei die Umwidmung von EU-Haushaltsmitteln auch zum Teil „Windowdressing“, also schöner Schein. Auch Thilo Schaefer vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln äußerte Zweifel, ob das Modell des Juncker-Fonds übertragbar sei: „Ob das beim Just Transition Mechanismus funktionieren wird, ist unklar.“ Vor allem müsse erstmal ein EU-Haushaltsrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 vereinbart werden.
Hundert Milliarden für gerechten Wandel
Besonders wichtig ist der EU-Kommission der „Mechanismus für den gerechten Wandel“, der 100 Milliarden Euro in Regionen schleusen soll, für die der Umbau besonders hart wird. Das sei „ein Versprechen, dass die Europäische Union Ihnen bei diesem Übergang zur Seite steht“, sagt EU-Kommissionsvize Frans Timmermans. Nach EU-Angaben geht es um 108 Regionen in ganz Europa und mehr als 250 000 Beschäftigte vor allem in der Kohlebranche, im Torfabbau und bei der Gewinnung von Schieferöl.Werden diese Branchen dicht gemacht, brauchen die Menschen neue Arbeit oder soziale Unterstützung. Finanziert werden sollen Umschulungen, aber auch die Ansiedlung neuer Unternehmen oder die Sanierung alter Firmengelände.
Dafür in Frage kommen auch deutsche Kohlereviere. Allerdings müssten wohlhabende Staaten wie Deutschland zu möglichen EU-Hilfen wesentlich mehr eigenes Geld zuschießen als schwächere Länder wie etwa Griechenland. Politisches Ziel des Fonds ist, bisher eher skeptische Länder wie Polen zu überzeugen, die Klimawende mitzutragen. Das Land hat mit Sicherheit einen besonders weiten Weg: Rund 80 Prozent seines Stroms kommen aus der klimaschädlichen Kohle. (dpa)