- Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) über den deutschen Vorsitz im UN-Sicherheitsrat, die Ohnmacht der Macht, den brüchigen Weltfrieden – und die SPD und deren Frage nach der Kanzlerkandidatur.
Noch mit Anzug und Krawatte, aber Heiko Maas hat auch schon die Laufschuhe an. Nach diesem Interview in seinem Büro im Auswärtigen Amt und einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates als Videokonferenz zwei Stunden später geht der deutsche Außenminister in den Urlaub. Außerhalb Deutschlands, aber innerhalb Europas. Mit dem SPD-Politiker sprachen Kristina Dunz und Holger Möhle.
Herr Minister, ständig Streit mit Russland und China, kaum Lösungen bei den großen Krisen und Konflikten, viele Blockaden. Deutschland hat noch vier Tage den Vorsitz im Sicherheitsrat. Ist es überhaupt erstrebenswert, ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat zu sein?
Maas: Mit einem eigenen ständigen Sitz kann man die Kräfteverhältnisse im UN-Sicherheitsrat und damit auf der Welt beeinflussen. Deutschland, Brasilien, Japan und Indien bemühen sich als G4-Gruppe seit geraumer Zeit um eine Reform des Sicherheitsrates. Die Zusammensetzung des Rats entspricht immer noch den Realitäten des Jahres 1945, als die UN gegründet wurden.
Es würde die Weltordnung jedenfalls deutlich besser abbilden, wenn weitere Staaten ständig in diesem Gremium beteiligt würden, als dies jetzt der Fall ist. Deshalb wird die Bundesregierung von ihrem Ziel eines ständigen Sitzes für Deutschland, das auch im Koalitionsvertrag formuliert ist, nicht ablassen, obwohl es in den vergangenen Jahren wenig Fortschritte für eine Reform des Sicherheitsrates gegeben hat. Der Stillstand bei vielen drängenden Fragen und in großen Konflikten, den wir permanent erleben, ist ein Hinweis darauf, dass es in dieser Zusammensetzung nach unserer Einschätzung nicht weitergehen kann.
Wäre Deutschland bereit, Afrika im Rennen um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat den Vortritt zu lassen?
Maas: Die vier Länder einschließlich Deutschland, die sich als G4 zusammengeschlossen haben und die aufgrund ihrer globalen Bedeutung jeweils einen permanenten Sitz anstreben, werden das zusammen mit Afrika auf den Weg bringen. Da geht es nicht darum, wer zuerst einen Sitz hat, sondern das muss ein Paket sein – und alle zusammen.
Ist der UN-Sicherheitsrat, der über die Weltordnung wachen soll, ein mächtiges oder ein ohnmächtiges Gremium?
Maas: Beides trifft zu. Er ist nach wie vor das Gremium, in dem wir die großen Kriege unserer Zeit beenden könnten. Er ist aber zugleich auch das Format, in dem dies nicht mehr gelingt. Es gibt ständig Blockaden. Wir haben vier Monate gebraucht, um im Sicherheitsrat eine Resolution zur Corona-Pandemie zu verabschieden, eine Sache, die alle Staaten auf diesem Erdball angeht. Ich glaube trotzdem weiter an dieses Gremium.
Es ist der richtige Ort, Konflikte und Krisen nicht nur zu beenden, sondern ihnen auch vorzubeugen. Der Sicherheitsrat muss künftig viel stärker präventiv arbeiten und nicht erst auf den Plan treten, wenn es schon die ersten Toten gegeben hat.
Warum hat der Sicherheitsrat nicht die Kraft, Sanktionen gegen Staaten und Einflussmächte zu verhängen, die etwa den Krieg in Libyen mit Waffen und Söldnern anheizen?
Maas: Weil Staaten wie Russland und China ein Vetorecht haben und dies auch einsetzen. Es gibt ein Waffenembargo, das von der EU-Mission IRINI auf dem Seeweg überwacht wird. Und es gibt einen Sanktionsausschuss, der das kontrolliert.
Deutschland, Frankreich und Italien haben vereinbart, dass wir den Schmuggel nicht länger hinnehmen und in einem ersten Schritt EU-Sanktionen gegen jene Unternehmen auf den Weg bringen, die Waffen im Auftrag von Dritten nach Libyen schaffen. Wenn das nicht ausreicht, müssen wir auch zu Sanktionen gegen jene Staaten bereit sein, die das Waffenembargo unterlaufen.
Deutschland ist selbst weltweit viertgrößter Exporteur von Rüstungsgütern. Warum stellt die Bundesregierung die Lieferung an die Türkei, die in den Kriegen in Syrien und Libyen mitmischt, nicht komplett ein?
Maas: Die Türkei bekommt keine Waffen aus Deutschland mehr, die sie im Syrien-Krieg einsetzen könnte. Wir liefern nur noch maritime Güter…
…U-Boote…
Maas: … die Türkei ist ein Nato-Verbündeter. Die Regierung in Ankara hat im Bündnis Aufgaben übernommen, durch die die gesamte Allianz geschützt wird. Was die Türkei im Syrien-Krieg macht, ist für uns nicht akzeptabel. Wir haben deshalb zahlreiche Anträge der Türkei auf Export deutscher Rüstungsgüter nicht mehr genehmigt, was gegenüber einem Nato-Verbündeten schon ein sehr weitgehender Schritt ist.
Russland unterstützt Rebellen-General Khalifa Haftar in Libyen und Machthaber Baschar al-Assad in Syrien. Es raubt Land und führt einen hybriden Krieg in der Ostukraine. Ist Russland Partner, Gegner oder Konkurrent?
Maas: Russland hat selbst in der Hand, wie es wahrgenommen wird. Momentan ist das Verhältnis in vielen Dossiers schwierig. Aber wir wissen auch, dass wir Russland brauchen, um Konflikte wie in Syrien, Libyen und in der Ukraine zu lösen. Das wird nicht gegen Russland, sondern nur mit Russland gehen.
Deutschland hat eine Vermittlerrolle in Libyen übernommen, ebenso vermitteln wir zusammen mit Frankreich in der Ukraine. Russland muss aber auch seinen Beitrag liefern, was in der Ukraine nur sehr schleppend passiert. Im Sicherheitsrat hat Moskau humanitäre Hilfe für 1,5 Millionen Menschen in Syrien verhindert, weil es nur noch einen einzigen Zugang zu den notleidenden Menschen zugelassen hat.
Haben Sie als deutscher Außenminister noch die Illusion von Frieden, wenn Sie mit Sergej Lawrow verhandeln?
Maas: Sergej Lawrow ist ein sehr erfahrener Außenminister. In Verhandlungen vertritt er die Interessen der Russischen Föderation sehr konsequent, aber man kann mit ihm auch immer wieder Lösungen finden.
Wäre es gut, wenn Russland wieder in die G8 aufgenommen würde?
Maas: Der Grund für den Ausschluss Russlands waren die Annexion der Krim und die Intervention in der Ostukraine. Solange wir dort keine Lösung haben, sehe ich dafür keine Chance.
Und wenn US-Präsident Donald Trump zum G7-Gipfel Russland und weitere Staaten noch dazu bitten will?
Maas: Russland kann selbst den größten Beitrag dazu liefern, dass solche Türen wieder geöffnet werden. G7 und G20 sind zwei vernünftig aufeinander abgestimmte Formate, wir brauchen nicht noch G11 oder G12.
Haben Sie die Krim schon abgeschrieben?
Maas: Nein. Wir arbeiten im Normandie-Format an einer Lösung für die Ostukraine und der Umsetzung der Minsker Vereinbarung. Wir vergessen aber nicht, dass auch die Krim zur Ukraine gehört. Wir können nicht achselzuckend zur Kenntnis nehmen, dass im 21. Jahrhundert in Europa Grenzen einfach so verschoben werden. Von uns gibt es keine Signale an Moskau nach dem Motto: Wenn die Ostukraine geregelt ist, dann ist auch die Krim geregelt.
US-Präsident Donald Trump lässt die Europäer, vor allem Deutschland, zunehmend spüren, dass sie nicht mehr so wichtig sind. Ist das Verhältnis noch zu reparieren?
Maas: Die Vereinigten Staaten bleiben für uns der wichtigste Partner außerhalb Europas. Die USA sind mehr als nur das Oval Office im Weißen Haus. Deshalb bemühen wir uns, das transatlantische Verhältnis bei allen Meinungsunterschieden zukunftsfest zu machen. Dass die Kommunikation schwieriger geworden ist und das Weiße Haus Entscheidungen trifft, ohne vorher mit seinen Partnern in Europa zu sprechen, haben wir gelernt. Aber wir brauchen die USA auch in Zukunft. Übrigens auch umgekehrt.
Glauben Sie daran, dass ein US-Präsident nach Trump die Europäer und die Amerikaner in der Nato wieder miteinander versöhnen kann?
Maas: Wer jetzt in Europa alles auf einen Wechsel im Weißen Haus setzt, sollte sich darauf einstellen, dass es selbst in diesem Fall nicht mehr so gemütlich sein wird früher. Die US-amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik hat sich verändert, und zwar nicht erst seit Trump Präsident ist.
Die Rolle als Weltpolizist, die die USA ja einmal für sich beansprucht haben, wollen sie in dem bisher gekannten Ausmaß nicht mehr übernehmen. Europa muss künftig stärker selbst sehen, was es für seine eigene Sicherheit machen kann.
Ihre Partei, die SPD, steht in Teilen skeptisch bis ablehnend zur nuklearen Teilhabe der Nato. Stellt die SPD dies im kommenden Wahljahr zur Debatte?
Maas: Die SPD debattiert ja gerade darüber. Bei der nuklearen Teilhabe geht es um eine internationale Verpflichtung Deutschlands. Es geht aber auch um europäische Sicherheit, vor allem für unsere osteuropäischen Nachbarn, die sich von Russland noch ganz anders bedroht fühlen als der Westen oder Süden Europas. Deshalb bleibe ich dabei: Wer verlässlicher Teil der europäischen Sicherheitsarchitektur sein will, muss dies auch bei der nuklearen Teilhabe gewähren.
Hat der Wechsel zu Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken die SPD beruhigt oder belebt?
Maas: Im Moment beobachte ich in der SPD jedenfalls keine kriegsähnlichen Zustände. Niemand stellt die große Koalition mehr in Frage. Ich sehe jedenfalls keinen, der gerade sagt, es ist in der gegenwärtigen Situation verkehrt, eine große Koalition zu haben. Wir haben ein gewaltiges Investitionsprogramm auf den Weg gebracht, die Grundrente kommt, wir diskutieren über zwölf Euro Mindestlohn…
…also alles super mit der neuen SPD-Doppelspitze…
Maas: Der zehnfach vorhergesagte Tod der großen Koalition ist jedenfalls nicht eingetreten. Wir regieren gut!
Ein Außenminister hätte an sich gute Karten für eine eigene Kanzlerkandidatur. Wir haben dazu von Ihnen noch nichts gehört?
Maas: Die SPD wird nicht den Fehler machen, zur gegenwärtigen Zeit, wo das Land mit Corona voll beschäftigt ist, eine Kandidatendebatte zu führen. Wir haben einen klasse Vize-Kanzler. Es gibt viele, die ihm zutrauen, kanzlertauglich zu sein. Ich auch. Die SPD muss jetzt aber vor allem Vertrauen zurückgewinnen und nicht die falsche Debatte zum falschen Zeitpunkt führen.
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Muss die SPD überhaupt einen Kanzlerkandidaten aufstellen?
Maas: Diese Bundestagswahl wird anders als alle anderen Wahlen zuvor. Erstmals tritt eine amtierende Kanzlerin nicht mehr an. CDU und CSU müssen erst noch entscheiden, wer ihr Kanzlerkandidat wird. Ich kann der SPD nur empfehlen, mit dem größtmöglichen Selbstbewusstsein in die nächste Bundestagswahl zu gehen – und natürlich mit einem Kanzlerkandidaten.
Es ist nicht zu tun, käme einer Selbstverzwergung gleich. Wir dürfen nur die alten Fehler nicht machen: Bei den letzten Wahlkämpfen war oft schon die Nominierung des Kandidaten der Anfang vom Ende. Das können wir entschieden besser. Und die Terminfrage, wann wir über den Kanzlerkandidaten entscheiden, kriegen wir dann auch noch hin.