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Gercke-GutachtenWoelkis erste Bilanz fällt emotional und persönlich aus

Lesezeit 6 Minuten
Woelki zerknirscht

Kardinal Rainer Maria Woelki

Köln – Konsequenzen aus dem Gutachten des Kölner Juristen Björn Gercke zum Umgang mit sexualisierter Gewalt wollte das Erzbistum am Dienstag im Kölner Maternushaus vorstellen. Der Auftritt von Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki und Generalvikar Markus Hofmann ging weit über die Ankündigung acht konkreter Schritte (siehe nächste Seite) hinaus: Woelki zog eine erste, teilweise sehr emotionale persönliche Bilanz.

Was sagt Woelki zur Frage eigener Schuld?

Erstmals räumte Woelki moralische Schuld im Fall des Düsseldorfer Pfarrers O. ein. Woelki hat einen Missbrauchsvorwurf gegen O. 2015 nicht an die Glaubenskongregation gemeldet, weil O. schwer krank und nicht mehr zu befragen war. Mit Blick auf das Gercke-Gutachten betonte Woelki zwar, dass seine Entscheidung rechtlich korrekt gewesen sei. Aber er frage sich, ob er „alles Menschenmögliche“ zur Aufklärung getan habe. „Und das habe ich nicht getan. Ich hätte nicht nach Rom melden müssen, aber ich hätte es tun können und auch tun sollen.“

Als „beschämendes Beispiel für meine persönliche Unzulänglichkeit“ führte er zudem den Fall eines Priesters an – offenbar der als Autor religionspädagogischer Bücher bekannte Pfarrer F. –, den er 2018 suspendiert hatte. Der Priester hatte in den 1990er Jahren Missbrauchsdelikte verübt. Dennoch hatte die Glaubenskongregation 2013 entschieden, ihm sei wieder die öffentliche Feier von Gottesdiensten zu gestatten. 2018 nahm Woelki neue Ermittlungen auf: Zu spät, wie er jetzt meint.

„Ich weiß, dass ich handeln. muss. Ich weiß, dass ich Fehler mache“, sagte Woelki. Seinen Rücktritt will er dem Papst aber nicht anbieten: „Die Probleme würden nach meinem Weggang bleiben. So ein Rücktritt wäre nur ein Symbol, das höchstens für eine kurze Zeit hält.“

Wieviel hat Woelki vor 2011 gewusst?

Am 20. September 2014 trat Woelki sein Amt als Kölner Erzbischof an und begann 2015 die Untersuchung aller zurückliegenden Missbrauchsfälle. Er berichtete über Gespräche mit Betroffenen: „Das kann ich nicht vergessen.“ „Systembedingte Vertuschung“, Ignoranz und Chaos hätten „Menschenleben zerstört oder vielleicht sogar gekostet“. Woelki: „Das hätte nie passieren dürfen.“

Erstmals sei er als Erzbischof von Berlin (seit 2011) „bewusst und konkret, existenziell“ mit der Thematik konfrontiert gewesen, so Woelki. Wirklich erst damals? Von 1990 bis 1997 war er Geheimsekretär von Joachim Kardinal Meisner, von 2003 bis 2011 Weihbischof. Weder in der einen noch in anderen Funktion war er nach eigenen Angaben mit derartigen Angelegenheiten näher befasst. Der anspruchsvolle Titel „Geheimsekretär“ sei historisch zu erklären – „ich war der Kaplan“. Und Weihbischöfe seien nicht verantwortlich in Personalentscheidungen einbezogen. Er habe damals nur knappe Informationen erhalten, etwa dass ein Geistlicher suspendiert sei. Ob er nicht hätte nachfragen können? Das übergeht Woelki. Der in Münster lehrende Kirchenrechtler Thomas Schüller, der seit 30 Jahren Missbrauchsopfer betreut, hält diese Einlassungen nicht für glaubwürdig. Er selbst habe als Referent für den früheren Limburger Bischof Franz Kamphaus gearbeitet und „alle Fälle in der Post und am Telefon“ mitbekommen. Schüller erinnert an Meisner, der „nichts geahnt, nichts geahnt“ haben wollte – „nun heißt es: nichts gewusst, nichts gewusst“. Überdies sei es falsch, die Weihbischöfe nicht eng einzubinden. Sie hielten ja den Kontakt in die Gemeinden.

Was sagt Woelki zum Münchner Gutachten?

Das Gercke-Gutachten ist bereits die zweite vom Erzbistum in Auftrag gegebene Studie zum Umgang mit sexualisierter Gewalt. Eine erste Ausarbeitung der Münchner Kanzlei Westphal Spilker Wastl wird wegen rechtlicher Bedenken nicht veröffentlicht, liegt aber ab Donnerstag im Maternushaus aus (Voranmeldung erforderlich). Woelki hat sie nach eigenen Angaben immer noch nicht gelesen.

Sehr deutlich wurde Woelki, als er sich an Kritiker wandte, die von ihm verlangt hatten, das Münchner Gutachten zu veröffentlichen, weil das Zurückhalten dem Ruf der Kirche schade. Er verglich solche Forderungen mit dem Vertuschen von Missbrauchsfällen: Wieder gehe es darum, „das Ansehen der Kirche über die Aufklärung zu stellen“. Man habe von ihm verlangt, das geltende Recht zu ignorieren.

Namen nannte er nicht, aber ein Prominenter darf sich wohl gemeint fühlen: Georg Bätzing, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, hatte die Vorgänge in Köln als „Desaster“ bezeichnet und angemerkt, man hätte das Gutachten veröffentlichen und danach juristisch darüber diskutieren sollen. Dazu gibt es von der Bischofskonferenz keinen Kommentar.

Was plant Woelki in rechtlicher Hinsicht?

Die Glaubenskongregation hat 2020 ein „Vademecum“ zum Umgang mit Missbrauchsfällen veröffentlicht, nach dem nur in wenigen Ausnahmefällen auf Voruntersuchungen verzichtet werden kann. Woelki will dieser bisherigen Handreichung in Köln Gesetzeskraft verleihen. Er forderte auch die Deutsche Bischofskonferenz auf, ihre einschlägige „Ordnung“ der schärferen römischen Norm anzupassen. „Wir sind dran“, heißt es dazu bei dem Gremium.

Ferner, so Woelki, habe er jegliche Aktenvernichtung gestoppt, auch da, wo das Kirchenrecht sie vorgibt. Er verlangt zudem Rechtsänderungen auf weltkirchlicher Ebene. Missbrauch dürfe nicht mehr nur als Zölibatsbruch eingeordnet werden – eine berechtigte, von Kirchenrechtlern schon lange erhobene Forderung, so Schüller. Ein dem Papst vorliegender Entwurf für ein neues kirchliches Strafrecht setze sie auch um.

Was passiert mit bisherigen Amtsträgern?

Mit den freigestellten Weihbischöfen Dominik Schwaderlapp und Ansgar Puff sowie dem freigestellten Offizial (Chefrichter) Günter Assenmacher hat Woelki gesprochen. Das sei sehr unterschiedlich verlaufen – man darf raten, wie: Die Bischöfe hatten öffentlich Fehler eingestanden, Assenmacher schweigt. Alle drei bleiben vorerst Domkapitulare.

Bleibt die große Frage, was mit einem verstorbenen Hauptverantwortlichen passiert: Kardinal Meisner. Beim Requiem für seinen Vorgänger 2017 hatte Woelki kein Wort zu den Missbrauchsfällen gesagt. Das sieht er heute als Fehler. Wie mit dem Andenken an Meisner und seiner Meisner-Stiftung zur Förderung des Priesternachwuchses verfahren wird, ist unklar.

Das sind die acht nächsten Schritte

Folgende Maßnahmen leitet das Erzbistum ein oder setzt sie sogar schon um , so Generalvikar Markus Hofmann:

1 Eine Unabhängige Kommission wird für die Aufarbeitung zuständig, nicht mehr das Erzbistum selbst, das nur zwei der sieben Kommissionsmitglieder stellen wird. Den Rest entsenden das Land NRW und die Betroffenen. Das Erzbistum wird die frühere Ermittlungsrichterin Erika Nagel entsenden und lässt sich von ihr ab sofort beraten. Es schaltet zudem einen unabhängigen Kirchenrechtler als Berater statt des eigenen Offizialats (Gerichts) ein.

2 Fünf Millionen Euro stellt das Erzbistum für Anerkennungsleistungen bereit, aufgebracht weitgehend durch freiwillige Abgaben von Klerikern. Eine weitere Million fließt in einen bundesweiten Fonds für Opfer aus Ordenseinrichtungen.

3 Die Kontrolle schuldig gewordener Geistlicher und Laien wird verschärft – unter anderem durch regelmäßige Besuche eines Zweierteams.

4 Die Stabstelle Intervention erhält vier (bisher drei) Stellen. Für Hinweisgeber wird die Möglichkeit anonyme Meldungen geschaffen.

5 In der Präventionsarbeit werden Abläufe gestrafft. Ihre Effizienz wird im Verbund der NRW-Bistümer untersucht.

6 Der Betroffenenbeirat, den das Erzbistum als erstes deutsches Bistum gegründet hat, wird mit Erzbischof und Generalvikar über das Gercke-Gutachten beraten. Im Laufe des Jahres steht die Wiederbesetzung des Gremiums an – nun entsprechend den Standards der Deutschen Bischofskonferenz, die es bei der Erstbesetzung noch nicht gab.

7 Personalakten und Interventionsakten werden manipulationssicher. Ein digitales System,das zur Zeit eingeführt wird, garantiert, dass nichts mehr ohne Nachweis hinzugefügt, geändert oder gelöscht werden kann. Aktenvernichtungen, zum Teil ohne Beleg, haben dazu beigetragen,dass sich viele ältere Fälle nicht mehr aufklären lassen (siehe Grafik).

8 Die Priesterausbildung wird reformiert. Das Erzbistum will verstärkt Dozentinnen einsetzen. Studienleiter für Seminaristen und Diakone war bisher ein Geistlicher, nun könnte eine Frau diese Position übernehmen. Standard sind bereits eine psychologische Begutachtung der Bewerber und ein Vorbereitungsjahr mit sozialen Einsätzen. (rn)