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FDP-VorsitzenderLindner kann nicht mehr Nein sagen

Lesezeit 5 Minuten
Christian Lindner

Christian Lindner, Parteivorsitzender der FDP und Fraktionsvorsitzender im Bundestag

  1. Der FDP war über Jahre vorgeworfen worden, eine „Umfaller“-Partei zu sein.
  2. Von diesem Image wollte Lindner die Liberalen unbedingt befreien.
  3. Jetzt hat er ein Problem.

Berlin – Christian Lindner nennt die Entscheidung eine „Investition in langfristige Glaubwürdigkeit“. Am 19. November 2017 um kurz vor Mitternacht lässt er die Koalitionsverhandlungen mit Union und Grünen platzen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) macht den Grünen nach Ansicht einer verärgerten FDP zu große Zugeständnisse.

Der erhoffte Aufbruch mit Jamaika ist passé. Das erscheint Lindner aber für seine Partei allemal ungefährlicher als ein Eintritt in die Regierung mit einem schwachen Verhandlungsergebnis.

Der FDP war über Jahre vorgeworfen worden, eine „Umfaller“-Partei zu sein

Seine damalige Begründung, „es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren“, dürfte bis in alle Ewigkeit in Porträts über ihn vorkommen. Der FDP war über Jahre vorgeworfen worden, eine „Umfaller“-Partei zu sein. Von diesem Image wollte der junge Parteichef - Lindner war damals 38 Jahre alt und bereits vier Jahre im Amt - unbedingt befreien.

Er hatte die Liberalen zurück in den Bundestag gekämpft und direkt auf 10,7 Prozent gebracht. Auf keinen Fall wollte er Vertrauen verspielen. Doch viele, die auf die FDP gesetzt haben, waren enttäuscht bis entsetzt, dass er die Chance, die Partei auch wieder direkt an die Macht zu bringen, nicht nutzte.

Auch eine Regierungspartei darf mal etwas falsch machen

Sie sind bis heute davon überzeugt, dass man mit dem Umkehrschluss von Lindners legendärem Satz Macht erfolgreich verteidigen kann: „Es ist besser falsch zu regieren, als nicht zu regieren.“ Auch eine Regierungspartei dürfe mal etwas falsch machen - wenn sie es denn korrigiert. Hauptsache, sie regiert. Diese Devise hört man zumindest oft in der Union, die mit Merkel seit 2005 das Kanzleramt hält.

In den vergangenen drei Jahren war viel „Hätte“, „Wenn“ und „Aber“ zu hören. Hätte sich Lindner damals etwas zurückgenommen, wäre jetzt er und nicht Olaf Scholz der Bundesfinanzminister, der die milliardenschweren Corona-Hilfen verteilt - und jetzt auch noch die Kanzlerkandidatur für seine Partei übernimmt.

Die damals regierungsmüde SPD hätte sich in der Opposition regenerieren können

Jamaika hätte vermutlich Schwung in die deutsche Politik gebracht und den Durst der Bürger nach etwas Neuem, Spannendem, Unkonventionellem mehr gestillt als die dritte große Koalition unter Angela Merkel. Die damals regierungsmüde SPD hätte sich in der Opposition regenerieren können. Vielleicht läge sie dann in den Umfragen nicht deutlich unter 20 Prozent. Und die FDP nicht unter sechs Prozent.

Bei Parteianhängern kommt so langsam wieder die Sorge vor einem Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde bei der nächsten Bundestagswahl auf. Das Trauma von 2013, als die FDP aus der Regierung an der Opposition vorbei ins parlamentarische Aus stürzte, sitzt tief. Auch bei Lindner, der wohl am besten weiß, wie schwer der Weg zurück war.

Man kann auch falsch Opposition machen

Dem 41-Jährigen sind in der zweiten Hälfte der aktuellen Legislaturperiode einprägsame Fehler unterlaufen. Man kann auch falsch Opposition machen. Etwa, wenn man jungen „Fridays for Future“ - Aktivisten erklären will, dass der Klimawandel doch eher von „Profis“ bekämpft werden müsse.

Das, was sich in das Gedächtnis vieler Wähler aber regelrecht eingebrannt haben dürfte, ist die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten im Februar - mit Hilfe der AfD. Merkel nannte das „unverzeihlich“. Kemmerich trat wenig später zurück.

Linder gewann die Vertrauensfrage

Lindner hatte es versäumt als Parteichef diesen Tabubruch zu verhindern. Er hat aber anschließend eine transparente Schadenbegrenzung betrieben. Und er stellte in der Partei die Vertrauensfrage, die er gewann. Aber seit dem Kemmerich-Wahl-Knall sinken die Umfragewerte der FDP.

Das liege auch an der hohen Zufriedenheit mit den Regierungen in Bund und Ländern und mit einem starken Auftreten des Staates in der Corona-Krise, heißt es in Lindners Umfeld. Liberale Positionen würden von der Bevölkerung nicht sonderlich unterstützt. Die FDP habe zwar mit ihrer Mahnung an Profil gewonnen, die Bürgerrechte zu achten und in Punkto Corona-Pandemie nach Vorbild der schwarz-gelben NRW-Landesregierung in einen modifizierten Alltag zu wechseln.

Zugewinne bei Umfragen sind nicht zu erwarten

Im bürgerlichen Publikum sei diese Position aber so umstritten, dass größere Zugewinne bei Umfragen kurzfristig in der Führung nicht erwartet würden. Chancen würden in den Themen Schaffung von Arbeitsplätzen, solide Staatsfinanzen, Digitalisierung und Bildung gesehen.

Der FDP-Parteitag im September dürfte ein Gradmesser werden, wie es um Lindner als Parteichef steht und wie selbstbewusst die Liberalen unter ihm sind. Seine „One-Man-Show“ war von den verunsicherten Liberalen dankbar angenommen worden, als sie nach dem Wiedereinzug ins Parlament noch keinen Plan hatten.

Lindner will seine Vorschläge für den Kurs der FDP konkretisieren

Aber so langsam muss er ein Team präsentieren, um nicht als unmodern und entrückt und unsympathisch zu gelten. Lindner wolle seine Vorschläge für den Kurs der FDP konkretisieren, heißt es. Dazu gehörten auch „Ideen zur Team-Aufstellung“.

Sein Ziel sei, weiter Politik zu machen, und er habe mit der FDP noch einiges vor, sagte Lindner im Juli als Reaktion auf die schlechten Umfragewerte. Es wurden ihm auch Fragen gestellt, ob er womöglich zurücktrete. Er wolle nach der nächsten Bundestagswahl am liebsten in Regierungsverantwortung weitermachen, betonte er.

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Die Frage ist, ob die FDP überhaupt gebraucht werden wird. Aber wenn, ist Lindner jetzt schon klar, dass er kein zweites Mal Koalitionsverhandlungen platzen lassen kann. Er könne nicht noch einmal eine Regierungsbeteiligung ausschlagen - auch nicht Jamaika oder eine Ampel, heißt es in Führungskreisen anderer Parteien. Denn seine „Investition in langfristige Glaubwürdigkeit“ 2017 habe nicht genügend Rendite abgeworfen. Nein sagen kann Lindner demnach nicht mehr.