Strategiechef Simon Schmidbaur spricht im Rundschau-Interview über die Ziele des Erzbistums Köln, die Frage nach der Wirksamkeit – und über Geld
Erzbistum-Strategiechef Simon Schmidbaur„Unser Auftrag ist nicht, einfach den Niedergang zu verwalten“
Mit einem Fragebogen lässt das Erzbistum Köln die Beiträge katholischer Einrichtungen und Institutionen zu vier „strategischen Zielen“ unter dem Oberbegriff der „Evangelisierung“ erheben. Auch Kolumba oder das Historische Archiv sollen Auskunft über messbare Wirksamkeit und Wachstum geben. Welche Ziele Kardinal Rainer Maria Woelki damit verfolgt, darüber sprach Raimund Neuß mit Simon Schmidbaur, Bereichsleiter Strategie beim Erzbistum.
Wenn Betriebswirte das Neue Testament lesen, müssen ihnen die Haare zu Berge stehen. Da streut zum Beispiel ein Sämann sein kostbares Saatgut einfach überall hin und wartet mal, was draus wird. Und jetzt, hört man, bürsten Sie mit Fragebögen das Erzbistum auf betriebswirtschaftliche Effizienz?
Um Himmels willen, nein. Ich bin Theologe und deswegen fallen mir natürlich eher die Gleichnisse vom klugen Verwalter oder von den anvertrauten Talenten aus dem Lukas-Evangelium ein! Ich habe auch ein paar Jahre lang als Unternehmensberater gearbeitet, das ist richtig. Aber dass wir Seelsorge betriebswirtschaftlich beurteilen würden – das ist ein Missverständnis. Wir alle müssen uns allerdings fragen, ob das, was wir tun, wirksam ist, ob es geeignet ist, die Ziele zu erreichen, die wir uns vornehmen. Aber da geht es nicht um betriebswirtschaftliche Ziele, um Profit. Sondern darum, Menschen mit dem Evangelium zu erreichen.
Sie haben verschiedenen Institutionen im Erzbistum Fragebögen zugestellt. Was müssen die Empfänger genau ausfüllen?
Die Empfänger sollen die nicht einfach in einen Umschlag stecken und zurückschicken. Es ist ganz anders. Wir haben etwa 20 Funktionsbereiche, mit deren Zuständigen wir mehrstündige Interviews planen. Diese Gespräche sollen im Herbst abgeschlossen sein, also relativ zügig. Zur Vorbereitung gibt es Vorgespräche – und dann haben wir diese Bögen mit der Bitte ums Ausfüllen übergeben, die im Grunde als Leitfaden, als Gesprächsgrundlage dienen.
Und was fragen Sie da?
Das Erzbistum hat vier strategische Ziele: Nachfolge leben, also das Leben aus dem Glauben heraus zu gestalten. Missionarisch Kirche sein, also nicht unter uns bleiben, sondern eine Idee zu entwickeln, wie wir Menschen neu erreichen. Diakonisch wirken, also als Kirche da zu sein, wo vielleicht niemand sonst mehr ist, wo es um existenzielle Fragen geht. Und: generationengerecht handeln. Im Sinne der Schöpfungsverantwortung – und auch der finanziellen Nachhaltigkeit. Und es gibt drei Kriterien, um zu beurteilen, wie wir die erreichen: Das Proprium, also was können so nur wir als Kirche tun. Die Wirksamkeit und die qualitative Veränderung. Das gehen wir in den Fragebögen durch, das werden wir in den Interviews besprechen: Was trägt mein jeweiliger Bereich dazu bei?
Quantitative Wirksamkeit, also doch Zahlen …
Ja, aber doch nicht als Selbstzweck. Solche Zahlen sind ein Hilfsmittel, um die Wirksamkeit unserer inhaltlichen Angebote zu prüfen. Wir setzen keine Zielkennzahlen, geben keine Werte vor. Ganz im Gegenteil. Wir haben in den Bögen das Modell der sogenannten Wirkungstreppe eingebaut. Da stehen nicht die Zahlen im Fokus, sondern die Einschätzung, ob Zielgruppen Angebote nutzen und ob sie dann auch wirken. Einfachste Wirkung zum Beispiel: die angesprochenen Menschen erwerben neue Fähigkeiten. Größtmögliche: Wir verändern die Gesellschaft.
Bis zum Jahr 2030 muss das Erzbistum rund 100 Millionen Euro einsparen. Wenn Sie von Generationengerechtigkeit im Sinne finanzieller Nachhaltigkeit sprechen, geht es doch darum, wer bekommt überhaupt noch was.
Das Ganze ist der Versuch, zwei Dinge zu tun. Einerseits eine positive Idee von Kirche für heute und morgen zu entwickeln: Was wollen wir eigentlich, und wie tun wir das? Und das Zweite ist ja natürlich auch Verantwortung übernehmen dafür, dass wir im Moment mit einem Rückgang an Gläubigen und Kirchensteuermitteln konfrontiert sind. Und da geht es gewiss nicht darum, austauschbar ökonomische Maßstäbe anzulegen, sondern es geht beispielsweise darum, sehr wohl in den Blick zu nehmen, was von dem, was wir tun können, so nur wir als Kirche tun. Und ist es deswegen vielleicht besonders wert, auch in Zukunft von uns mit Nachdruck betrieben zu werden. Aus unserer Verantwortung müssen wir uns fragen: Setzen wir die Mittel wirklich dort ein, wo sie die größte Wirkung entfalten? Wir wollen also gerade nicht den Rasenmäher ansetzen und einfach überall kürzen. Unser Auftrag ist es auch nicht, einfach den Niedergang zu verwalten. Wir dürfen die Augen nicht vor der Entwicklung, vor den Kirchenaustritten etwa, verschließen, aber es geht auch darum, eine Trendumkehr, den Perspektivwechsel erst einmal im Kopf hinzubekommen. Auch heute glaubwürdig, einladend, dienend Kirche zu sein.
Wenn ich fürs Diözesanmuseum Kolumba oder fürs Diözesanarchiv arbeiten würde, dann würde ich mich fragen: Aha, auf Grundlage dieser Fragebögen und Interviews werden dann am Ende Mittel verteilt. Und wie soll meine Institution da mithalten? Ich fange doch nicht an, Museumsbesucher für Bibelkurse zu werben.
Das würde voraussetzen, dass es die Zielsetzung für alle ist, Menschen zu Glaubenskursen zu bewegen. Es geht doch um die spezifischen Beiträge der einzelnen Funktionsbereiche. Die sehen bei Kolumba anders aus als bei der Caritas. Aber gestützt auf die Fragebögen und in den Interviews werden solche Institutionen überhaupt erst in die Lage versetzt, den eigenen positiven Beitrag, zu unseren gemeinsamen Zielsetzungen besprechbar zu machen. Zum Beispiel spricht Kolumba Menschen an, die wir mit anderen Angeboten nie erreichen würden.
Und wie soll Kolumba das belegen?
Das eine ist, dass Kolumba einmal inhaltlich das eigene Tun beschreibt. Und ja, dann gibt es auch harte Kennzahlen: Wie viele Menschen besuchen Kolumba? Dann wieder: Was für Rückmeldungen bekommen wir nach Führungen und Veranstaltungen? Es gibt in unseren Interviewleitfäden zunächst bewusst offene Felder, um Gedanken aufzuschreiben, inhaltlich und qualitativ zu beschreiben. Auf der Grundlage dieser Reflexion kommen wir dann ins Gespräch.
Wie viele Fragebögen gibt es und wie viele Interviews sind angesetzt?
Ungefähr 20. Es geht um die großen Funktionsbereiche, die einen entsprechenden Anteil am Haushalt des Erzbistums haben. Über kurz oder lang wird sich diese Frage übrigens auch in den Pastoralen Einheiten vor Ort stellen: Welche Schwerpunkte wollen wir heute ganz konkret bei uns vor Ort setzen?
Wenn ich Pfarrer wäre und das lese, hätte ich jetzt eine Heidenangst. Wenn ich da in Interviews meine Schwerpunkte begründen müsste und dabei nicht überzeuge, wenn anderen bessere Antworten einfallen als mir, dann bekommen wir künftig weniger Geld.
Darum geht es gerade nicht! Wir entscheiden hier nicht, welche Einheit wieviel Geld bekommt. Sondern wir entscheiden grundsätzlich, wieviel Geld fließt in verschiedene Aufgabenbereiche. In die kategoriale Seelsorge etwa in Krankenhäusern, in die Kitas, in die Caritas, in Bildung und Kultur und so weiter. Und eben in die Gemeinden. Ein anderes Thema ist, dass wir an einem einfachen und gerechten System für die Zuweisungen von Kirchensteuermitteln an die einzelnen Gemeinden arbeiten. Aber der Prozess, in dem wir jetzt stecken und in dem wir die Wirksamkeit unserer Angebote prüfen, hat nichts damit zu tun, dass die Pastoralen Einheiten untereinander um Geld konkurrieren sollen. Wir verteilen die Mittel fair und geben dann, das ist neu, den Gemeinden vor Ort die Möglichkeit, damit zu wirtschaften und eigene Schwerpunkte zu setzen.
Das heißt aber auch: Ihr vor Ort müsst einfach sehen, wie Ihr mit den im Zweifel weniger werdenden Mitteln zurechtkommt.
Wir lassen die Gemeinden damit nicht allein, wir unterstützen sie, damit sie informierte Entscheidungen treffen können. Früher gab es zum Beispiel zentrale Flächenvorgaben für pfarrliche Gebäude. Heute sagen wir: Im Zweifel können die Menschen vor Ort in der Pastoralen Einheit am besten entscheiden, ob sie ein Gebäude aufgeben können oder ob es weiter gebraucht wird, weil es keinen anderen Treffpunkt gibt. Wir setzen Rahmenbedingungen, und wir setzen die pastoralen Einheiten vor Ort in die Lage, selbst Entscheidungen zu treffen, was zukünftig die Schwerpunkte sein sollen, sowohl im Hinblick auf die Standorte als auch inhaltlich.