- In der Krise sollte Bundeskanzler Scholz direkt mit Russland über die Wiederaufnahme der Gaslieferungen verhandeln.
- Das fordert die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht im Interview.
Osnabrück – Frau Wagenknecht, die explodierenden Energiepreise bringen viele Bürger in finanzielle Nöte. Sie haben jüngst die Bundesregierung als „dümmste Regierung Europas“ betitelt, weil sie mit den Sanktionen einen Wirtschaftskrieg gegen Russland führe, der uns mehr als Russland schade. Glauben Sie das wirklich?
Die Sanktionspolitik und die durch sie ausgelöste Energiepreisexplosion haben bei uns katastrophale Folgen. Der Schaden für Russland ist gering, der Gaskonzern Gazprom macht Rekordgewinne. Auf den Krieg haben die Sanktionen keine Auswirkung, sie verfehlen ihr Ziel, Druck in Richtung eines schnellen Kriegsendes auszuüben. Deshalb sollten wir diese Politik nicht fortsetzen.
Das ist eine ziemlich russlandfreundliche Haltung…
Das stimmt doch nicht. Wenn ich sage, wir müssen den Wirtschaftskrieg mit Russland beenden, relativiere ich damit nicht die Kriegsverbrechen des Aggressors Russland. Aber wir helfen der Ukraine nicht, indem wir unseren industriellen Mittelstand und den Wohlstand der Menschen in unserem Land zerstören.
Ausstieg aus Sanktionen, stattdessen Verhandlungen
Dann schlagen Sie doch mal Alternativen zu Sanktionen vor…?
Ich glaube, es braucht diplomatische Initiativen – und Druck auf Russland und die Ukraine. Keine Seite kann den Krieg militärisch gewinnen – in dieser Situation muss man verhandeln und kompromissbereit sein. Ich wünsche mir, dass die Bundesregierung und andere europäische Regierungen einen Friedensplan vorlegen, ein Ausstiegsszenario, statt endlos Waffen zu liefern. Europa muss hier endlich eigenständig handeln, denn Washington hat wenig Interesse an einem schnellen Kriegsende. Immerhin profitieren die USA wirtschaftlich und politisch von der aktuellen Situation.
Was erwarten Sie von Kanzler Scholz?
Die Bundesregierung sollte aus den meisten Wirtschaftssanktionen aussteigen und mit Russland über eine Wiederaufnahme der Gaslieferungen verhandeln. Dafür müssen die beschädigten Pipelines schnell repariert werden. Die deutsche Industrie braucht preiswerte Energie, sonst werden das viele Unternehmen nicht überleben oder ihre Produktion ins Ausland verlagern. Da die Regierung keine bezahlbare Alternative zum russischen Gas gefunden hat – amerikanisches Fracking-Gas oder Flüssiggas vom Golf sind extrem teuer und stehen auch nicht ausreichend zur Verfügung – muss Kanzler Scholz mit dem Kreml reden.
Sollte Bundeskanzler Scholz also etwa nach Moskau reisen, wie etwa Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder?
Schröder kam damals mit der Botschaft zurück, dass Putin verhandeln will. Ich finde, das muss Scholz aufgreifen. Wir brauchen Verhandlungen über einen Waffenstillstand in der Ukraine und über unsere künftige wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Das könnte Sie auch interessieren:
Wenn die Bundesregierung so viele Fehler macht, müssen die Bürger dann gegen diese Regierung protestieren?
Um eine Veränderung der Politik zu erreichen, braucht es starken Protest. Wir sehen das an Frankreich, wo die Regierung die Strompreise niedrig hält und die Sprit-Preise abgesenkt hat, – aus Angst vor einem Wiederaufflammen der Gelbwestenbewegung. Die Ampel lässt die Menschen mit den rasant steigenden Energiekosten bisher weitgehend allein.
Brauchen wir eine neue Protestpartei im Land? Wollen Sie diese anführen?
Eigentlich sollte die Linke diese Aufgabe übernehmen. Ich bedaure, dass sie das nicht tut.