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Durchsuchungen im Rhein-Erft-KreisWestliche Chips – auch für russische Raketen?

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HANDOUT - Das undatierte und am 23.06.2017 vom russischen Verteidigungsministerium veröffentliche Handout-Foto zeigt den Start zweier Lenkwaffen von Typ Kalibr von einem russischen Kriegsschiff im östlichen Mittelmeer aus.

Vollgepropft mit westlicher Elektronik: Abschuss russsicher Kalibr-Marschflugkörper. Ermittler versuchen zu klären, wie Russland immer noch an solche Bauteile kommt – und ob eine Kerpener Firma hierbei eine Rolle spielt.

Staatsanwaltschaft Köln und das Zollkriminalamt prüfen, ob Firmen im Rhein-Erft-Kreis EU-Sanktionen gegen Russland umgangen haben. Der Verdacht: Via Türkei seien Elektronikbauteile dorthin geliefert worden.

Wegen möglicher Verstöße gegen Russland-Sanktionen der EU lassen die Staatsanwaltschaft Köln und das Zollfahndungsamt Essen die Geschäftsräume von drei Gesellschaften in Kerpen und Hürth und die Wohräume von drei Beschuldigten im Rhein-Erft-Kreis durchsuchen. Die Kölner Behörde ermittelt seit Wochen in dem Fall. „Gegenstand der seit Januar diesen Jahres laufenden Ermittlungen sind Geschäftsbeziehungen (Verkauf, Ausfuhr und Lieferung von Waren aus dem IT- und Elektrobereich) einer Kerpener Gesellschaft mit einem Unternehmen mit Sitz in der Türkei, die den Verdacht der Umgehung von EU-Wirtschaftssanktionen gegen Russland begründen“, erklärte Staatsanwältin Stephanie Beller der Rundschau. Betroffen sei ein Geschäftsvolumen von 15,5 Millionen US-Dollar.

Britisches Institut erhob schwere Vorwürfe

Hintergrund: Russische Waffen, beispielsweise auf ukrainische Wohngegenden abgefeuerte Raketen, funktionieren nicht ohne den Einsatz westlicher Mikroelektronik. Trotz der EU-Sanktionen hat Russland offenbar weiter Zugang zu solchen Bauteilen.

Bereits im Dezember hatten das britische Forschungszentrum „Royal United Servicces Institute“ (Rusi) und die Nachrichtenagentur Reuters Vorwürfe gegen ein Kerpener Unternehmen erhoben (die Rundschau berichtete). Die Firma habe bis Kriegsausbruch russische Geschäftspartner mit Mikroelektronik beliefert. Dann habe sie diese Geschäfte eingestellt – bald aber sei in russischen Zollunterlagen ein türkischer Handelspartner aufgetaucht, mitbegründet von einem Geschäftsführer und Gesellschafter der Kerpener Firma. Die türkische Firma habe genau die gleichen Waren nach Moskau verkauft wie zuvor die deutsche.

Insgesamt hatte Russland nach Angaben von Rusi und Reuters seit Kriegsbeginn bis Dezember für 2,6 Milliarden Dollar Elektronikkomponenten eingeführt, darunter für 777 Millionen Dollar Produkte von Firmen wie Intel, AMD und Infineon, deren Mikrochips das britische Institut in gegen die Ukraine eingesetzten russischen Waffensystemen gefunden hatte. Im Juni war Rusi-Analyst James Byrne davon ausgegangen, dass Russland solche Mikrochips jahrelang gehortet habe, die Vorräte aber nun zur Neige gingen. Die Türkei beteiligt sich nicht an den Russland-Sanktionen. Westliche Lieferanten müssen aber sicherstellen, dass ihre Waren nicht nach Russland weiterverkauft werden.

WDR-Magazin „Monitor“ berichtet über den Fall

Am Donnerstag griff auch das WDR-Magazin „Monitor“ den Kerpener Fall auf und zitierte das Kündigungsschreiben eines Mitgeschäftsführers, der sich darüber getäuscht fühle, dass Lieferungen der Kerpener an das türkische Unternehmen „in der Kenntnis erfolgt“ seien, dass von dort wiederum „Lieferungen nach Russland/Belarus getätigt werden würden“. Der jetzt beschuldigte Kerpener Unternehmer, der auch das türkische Unternehmen mit gegründet hatte, reagierte zunächst nicht auf eine Rundschau-Bitte um Stellungnahme. Im Dezember hatte er der Rundschau erklärt: „Wir lassen derzeit die Vorgänge genauestens prüfen, wir werden selbstverständlich mit den Behörden bei etwaigen Rückfragen zusammenarbeiten.“ Dabei blieb er auch gegenüber dem WDR und ergänzte: „Die bisherigen Prüfungen belegen, dass unsere verkauften Güter nicht sanktioniert waren/sind.“ Ob das wirklich so ist, müssen Staatsanwaltschaft und Zollkriminalamt jetzt prüfen. Staatsanwältin Beller: „Bislang wurden Unterlagen, Dokumente und EDV sichergestellt. Die Maßnahmen dauern an.“