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„Dummheit des russischen Kommandos“Militärblogger kritisieren Putins Sonderoperation

Lesezeit 4 Minuten

Militärblogger Igor Strelkow.

Angeblich unwahre Informationen über die „Sonderoperation“ der Ukraine können mit bis zu 15 Jahren Haft verurteilt werden, schon eine Ein-Personen-Demo mit einem weißen Blatt Papier führt zu Festnahme, nach der jüngsten Umfrage des Levada-Center stehen 82 Prozent der 1632 Teilnehmer hinter Präsident Wladimir Putin.

Dennoch mehrt sich in Russland Kritik am Verlauf der „Sonderoperation“. Kritik von ungewohnter Seite: nicht aus der liberalen Opposition, sondern von ganz rechts – in der Regel im nach wie vor in Russland zugänglichen Netzwerk Telegram.Keine einzige größere Ortschaft in Donbass hätten die russischen Truppen bisher „befreien“ können, schrieb Militärblogger Igor Strelkow am Montag auf Telegram.

Strelkow nennt russische Taktik „durchsichtig“

Von einer Einkesselung der Stadt Sewjerjodonezk seien die Russen noch weit entfernt. Strelkow resümmierte: Die russische Taktik sei so durchsichtig, dass den Ukrainern die Reaktion leicht falle. Russische Soldaten kämpften bis zur Erschöpfung nach Spielregeln, die der Feind setze. „Die fortgesetzte Unzufriedenheit russischer Militärblogger mit dem russischen Kriegserfolg könnte Unzufriedenheit in Russland selbst nähren“, schreibt die renommierte US-Denkfabrik „Institute fort the Study of War“ (ISW) dazu: „Vor allem, wenn Russland seine Rekrutierungsbemühungen vorantreibt und schlecht ausgebildetes Kanonenfutter an die Front schickt.“

Rekrutierung

Das ISW berichtet über Massenproteste in der okkupierten Stadt Donezk gegen die dortige Zwangsaushebung von Soldaten. Der ukrainische Militärgeheimdienst geht von einer „verdeckten Mobilisierung“ auf russischer Seite aus. Nach Angaben des Generalstabs in Kiew hat Russland 2500 Reservisten zusammenbekommen, die in den Ukraine-Krieg geschickt werden sollten von Moskauer Seite ist dazu naturgemäß nichts zu hören. Das ISW berichtet, mittlerweile würden selbst Schiffsbesatzungen in den Krieg geschickt.

Fallschirmjäger, also Eliteeinheiten, müssten zusammen mit Söldnern kämpfen – laut ISW eine „schockierende“ Entscheidung, die klar zeige, dass die kampffähigen Reserven Russlands erschöpft seien. Die Rekrutierungsbemühungen dürften nicht gerade durch die Telegram-Postings von Angehörigen erleichtert werden, die nach ihren wohl mit dem Kreuzer „Moskwa“ untergegangenen wehrpflichtigen Söhnen suchen – offiziell räumt Russland ja nach wie vor nur einen Toten ein.

361.000 Abonnenten können Strelkows Philippika auf Telegram zur Kenntnis nehmen. 2,1 Millionen folgen dort dem von Youtube verbannten Juri Podoljaka, dessen Videos über angebliche ukrainische Kriegsverbrechen und das Massaker von Butscha als angebliche ukrainische „Provokation“ gelegentlich auch das deutschsprachige Publikum erreichen. Ein ganz strammer russischer Nationalist also.

„Dummheit des russischen Kommandos“

Er habe lange geschwiegen, erklärte Podoljaka am Freitag, aber nun sei seine Geduld am Ende. Podoljaka bezog sich auf die verheerende russische Niederlage bei Bilohoriwka, wo die ukrainische Armee eine russische Einheit mit über 500 Soldaten und rund 80 Fahrzeugen bei einer Flussüberquerung in die Falle gelockt und zerschlagen hatte. Durch „Dummheit, ich wiederhole, durch die Dummheit des russischen Kommandos“ sei „mindestens eine Bataillonsgruppe verbrannt, möglicherweise zwei“. Er machte sich über Kreml-Aussagen lustig, die „Sonderoperation“ verlaufe planmäßig, verwies auf den „katastrophalen“ Mangel an Drohnen, Nachtsichtgeräten und anderer Ausrüstung und räumte ein, es gebe keinen Krieg ohne Probleme. Aber wenn sich drei Monate lang nichts ändere, dann hätten er „und Millionen andere russische Bürger“ Fragen an die Militärführung. Und ja, Podoljaka sprach ausdrücklich und eigentlich verbotenerweise von „Krieg“ (Wojna).

Die „New York Times“ wies in diesem Zusammenhang noch auf zwei weitere russische Blogger hin. Einer, auf Telegram unter dem Pseudonym Starshe Eddy bekannt, warf russischen Kommandeuren „nicht Idiotie, sondern direkte Sabotage“ vor. Ein anderer, Wladlen Tatarski, kommentierte das Desaster von Bilohoriwka: „Solange wir nicht den Namen des militärischen Genius erfahren, der eine Bataillonsgruppe in den Fluss gekippt hat, und er sich öffentlich verantwortlich zeigt, werden wir keine Militärreform bekommen.“

Mängel bei der Ausrüstung

Zurück zu Podoljaka: Er thematisiert Mängel bei der Ausrüstung. Ein unverkennbarer Hinweis darauf sind Online-Spendensammlungen für die Ausstattung russischer Soldaten. Wieso bat Telegram-Blogger „Fighterbomber“, ein russischer Luftwaffenveteran, am 26. April um Unterstützung für den Kauf abhörsicherer Funkgeräte? Wieso mussten russische Veteranen schon kurz nach Kriegsausbruch beginnen, Geld etwa für medizinisches Material und die von Podoljaka erwähnten Nachtsichtgeräte zu sammeln?

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Am 16. April verkündete Blogger Konstantin Kusnezow zum Beispiel, nun seien 60 Millionen Rubel (knapp 900.000 Euro) zusammengekommen, und damit könne man nicht einmal fünf Prozent der Anfragen bedienen. Ähnliche Spendenaufrufe gab es auch auf ukrainischer Seite – aber ist der mächtige russische Staat nicht in der Lage, seine Armee angemessen auszustatten? Sam Cranny-Evans und Olga Ivshina, zwei Mitarbeiter des britischen Royal United Service Institute, sehen Korruption als das Hauptproblem: Zwar verspreche Russland jedem Soldaten eine Mindestausstattung – tatsächlich aber lande das Material häufig nicht bei den Berechtigten, sondern werde von Vorgesetzten im Internet verhökert.