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Deutsche BischofskonferenzRekord bei Kirchenaustritten – Mehrheit für Reformen

Lesezeit 4 Minuten
KR Georg Bätzing

„Reformen dürfen vor der Lehre nicht halt machen“, sagt Limburgs Bischof Georg Bätzing.

Fulda – Zu Beginn der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda hat der Vorsitzende Georg Bätzing die katholischen Oberhirten auf liberale Reformen eingeschworen. „Immer nur Nein stimmen ist sicher nicht der richtige Weg“, sagte der Limburger Bischof gestern mit Blick auf das Scheitern einer wichtigen Reforminitiative zur katholischen Sexualmoral. Bei der vierten Synodalversammlung der deutschen Katholiken Anfang dieses Monats in Frankfurt hatte der Text die notwendige Zweidrittelmehrheit der Bischöfe verfehlt.

Mehrheit der Synodalversammlung unterstütze Reformen

Der dem konservativen Lager zugerechnete Bischof Stefan Oster hatte daraufhin erklärt, die unterschiedlichen Positionen zu den angestrebten Reformen erschienen ihm „inzwischen kaum mehr versöhnbar“. Bätzing entgegnete gestern: „Jeder muss sich am eigenen Schopf greifen und sagen: Wo kann ich denn auf andere zugehen?“

Rekord bei Kirchenaustritten in NRW deutet sich an

In Nordrhein-Westfalen zeichnet sich ein neuer Rekord bei den Kirchenaustritten ab: Laut Landesjustizminister Benjamin Limbach (Grüne) traten allein in der ersten Jahreshälfte 2022 insgesamt 111234 Bürgerinnen und Bürger aus einer Kirche aus. Im gesamten Jahr 2021 wurde von den Justizbehörden der bisherige Rekord von 155322 Austritten gezählt.

Das NRW-Justizministerium nennt in seiner Antwort auf eine Anfrage der FDP-Landtagsabgeordneten Angela Freimuth und Dirk Wedel Zahlen, aus denen hervorgeht, wie dramatisch die Mitgliederentwicklung in den Kirchen ist. 2012 registrierten die Amts- und Landgerichte noch rund 53000 Austritte. Diese Zahl könnte sich bis zum Ende dieses Jahres vervierfachen.

Aus der Antwort der Regierung geht auch hervor, dass Austrittswillige oft lange auf einen Termin warten müssen: „Bei kleineren Amtsgerichten beträgt die Wartezeit zwischen einem Tag und wenigen Wochen, wobei teilweise auch ohne Terminvergabe Kirchenaustrittserklärungen entgegengenommen werden“, heißt es. In „mittelgroßen“ Amtsgerichten vergingen bis zu zwei Monate, vereinzelt sogar mehr als drei Monate.

In Köln gab es im ersten und zweiten Quartal dieses Jahres insgesamt 10 536 Kirchenaustritte. Das sind 1367 mehr als im Vorjahreszeitraum. Wie das Kölner Amtsgericht auf Nachfrage mitteilt, sei die Nachfrage nach Austrittsterminen weiterhin hoch, die Wartezeit betrage einige Wochen.“ (mk/ebu)

Der Vorsitzende der Bischofskonferenz räumte ein, dass es unter den 69 Mitgliedern eine konservative Minderheit gebe, die Reformen nicht mittrage. Eine „sehr deutliche Mehrheit“ von zwei Dritteln bis drei Vierteln der Bischöfe unterstütze den Reformkurs jedoch. Diese Mehrheit sage ausdrücklich: „Wir müssen uns bewegen. Es braucht Reformen, und diese Reformen dürfen vor der Lehre nicht haltmachen.“

Zeitgeist wandelt sich

In diesem Zusammenhang kritisierte Bätzing auch Traditionalisten im Vatikan, die den deutschen Reformern vorwürfen, nur einem liberalen Zeitgeist hinterherzulaufen. Auch angesichts des Rechtsrucks bei der Parlamentswahl in Italien – für Bätzing „eine echte Gefahr für das Zusammenhalten in Europa“ – frage er sich: „Ist es überhaupt noch Liberalität, Diversität, Pluralität, der wir uns annähern müssen als Kirche, oder sind es nicht andere Zeichen, die heute für einen Zeitgeist stehen, dem wir gewaltig wehren müssen?“ Bätzing nannte „autoritäres Verhalten, autokratisches Regieren, Demokratie-Kritik bis hin zur Demokratiefeindlichkeit. Wenn ich so manche Stimme aus Rom höre, dann glaube ich, sie sollten sich um diesen Zeitgeist einmal kümmern.“

Rom-Reise im November

Mit dem seit 2019 laufenden Prozess „Synodaler Weg“ streben die deutschen Katholiken Reformen in den Bereichen katholische Sexualmoral, Position der Frau in der Kirche, Umgang mit Macht und Zölibat an. Der Vatikan verfolgt diese Erneuerungsversuche äußerst kritisch und hat klargestellt, die Deutschen seien „nicht befugt“, die Leitungsstrukturen oder gar die Lehre der Kirche zu verändern. Die deutschen Bischöfe reisen im November nach Rom, auch um Gespräche über den Synodalen Weg zu führen.

Bätzing kündigte zudem an, dass die weitere Aufarbeitung des Skandals um sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche auf ein breiteres Fundament gestellt werden solle. Betroffene sollten ebenso stärker einbezogen werden wie Experten. Der bisherige Missbrauchsbeauftragte, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, hat angekündigt, sein Amt nach zwölf Jahren aufgeben zu wollen.

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Die Reformbewegung „Wir sind Kirche“ appellierte gestern an die Bischöfe, sich Reformen nicht weiter zu verschließen. „Sind sich die deutschen Bischöfe und Weihbischöfe bewusst, dass sie durch ihr Handeln oder Nichthandeln eine wesentliche Verantwortung tragen für das Weiterbestehen des Christentums in unserem Land und in unserer Kultur?“, fragte Sprecher Christian Weisner. Allein im vergangenen Jahr hatten in Deutschland 359338 Katholiken ihrer Kirche den Rücken gekehrt, so viele wie noch nie. (dpa/afp)