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Angriff auf IsraelWenn der Terror Beifall findet – erhöhter Schutz auch in NRW

Lesezeit 4 Minuten
09.10.2023, Hamburg: Ein Polizist mit Maschinenpistole bewacht mit anderen nach dem Angriff der Hamas auf Israel die jüdische Synagoge in Hamburg.

Erhöhte Wachsamkeit vor jüdischen Einrichtungen im ganzen Bundesgebiet: Ein Polizist bewacht die Synagoge in Hamburg.

Während die überwältigende Mehrheit der Menschen in Deutschland geschockt reagiert, rechtfertigen einige Fanatiker die Hamas-Attacke – und feiern sie sogar öffentlich.

In Israel tötet, verletzt und entführt die Hamas Hunderte Menschen – und im Berliner Stadtteil Neukölln werden die Morde gefeiert. Am Samstagnachmittag verteilen Mitglieder des anti-israelischen Netzwerks Samidoun Süßigkeiten; ein Bild davon stellen sie auf Instagram ein. Am Abend gehen pro-palästinensische Demonstranten auf die Straße; wegen „wiederholter israelfeindlicher und gewaltverherrlichender Ausrufe“ löst die Polizei die Versammlung später auf. Nachts wird dann ein Streifenwagen von einer Brücke aus mit Steinen attackiert. Einen Polizisten, melden die Beamten auf Twitter, verletzten die Scherben der Windschutzscheibe.

All das passiert an einem einzigen Tag auf einer einzigen Straße in Berlin: der Sonnenallee. Ist die Neuköllner Verbindungsachse eine No-go-Area für Juden? „Ich kann mir nicht vorstellen, mit einer Israel-Flagge die Sonnenallee abzuschreiten“, antwortet Sigmount A. Königsberg, Antisemitismusbeauftragter der Jüdischen Gemeinde Berlin. Von No-go-Areas wolle er aber trotzdem nicht sprechen, sagt der 62-Jährige – „weil es impliziert, dass es nur um bestimmte Problemviertel geht und an anderen Orten alles in Ordnung wäre. Es gibt in ganz Berlin keinen Ort, der für Juden sicher ist.“

Auch wenn die Sonnenallee ein Brennpunkt ist: Die meisten Übergriffe auf Juden finden nicht in Neukölln statt, zitiert Königsberg Zahlen der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus. Schwerpunkte seien die Stadtteile Mitte und Charlottenburg – „ganz einfach, weil hier die meisten Berliner Juden leben“. Heißt: Selbst wenn man bestimmte Orte meidet, ist man als Jude in Berlin bedroht. Es reicht, aus der eigenen Haustür zu treten.

NRW verstärkt Schutz jüdischer Einrichtungen

Auch in Nordrhein-Westfalen sind die Sicherheitsbehörden alarmiert und verschärfen den Schutz von jüdischen Institutionen. „Wir werden diese Einrichtungen stärker ,bestreifen‘“, sagte Innenminister Herbert Reul (CDU) am Montag dem WDR-Radio. „Wir müssen jetzt erstmal dafür sorgen, dass unseren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern nichts passiert.“ Bundesweit sei man sich einig, dass es aktuell eine abstrakte höhere Gefahr für jüdische Einrichtungen gebe, erklärte Reul. „Aber konkret haben wir keinerlei Hinweise.“

Für Montagabend war in Duisburg-Hochfeld eine Demo unter dem Motto „In Solidarität mit Gaza“ angekündigt, organisiert von den Gruppen „Palästina Solidarität Duisburg“ und „Samidoun“. Dieses Netzwerk soll die Hass-Demonstration organisiert haben, bei der am Wochenende in Neukölln antisemitische Parolen skandiert wurden.

Bisher, so der NRW-Verfassungsschutz, reagierten extremistische palästinensische Gruppierungen in Deutschland noch „relativ zurückhaltend“. In einzelnen Stellungnahmen werde die aktuelle Gewalt der Hamas aber als „normaler“ Teil des Nahostkonfliktes relativiert.

Sicher ist: Die langen Arme jener militanten Organisationen, die den Staat Israel mit Terror überziehen, reicht bis nach NRW. Die Hamas hat ihren deutschen Hauptsitz zwar in Berlin, der Verfassungsschutz zählte aber im vergangenen Jahr etwa 150 Mitglieder und Unterstützer in NRW, organisiert vor allem in der Palästinensischen Gemeinschaft in Deutschland (PGD). Die Hamas betrachte Deutschland als „Rückzugsraum“, so das NRW-Innenministerium. Ihre hiesigen Anhänger unterstützten die Organisation vor allem propagandistisch und finanziell, sie agierten hier aber nicht militant.

Neben Hamas-Anhängern beobachtet der NRW-Verfassungsschutz etwa 350 Unterstützer der schiitischen Hisbollah. Diese Organisation hatte am Wochenende aus dem Libanon Raketen auf israelische Ziele abgefeuert. Die Behörde hat zudem Unterstützer des so genannten „Palästinensischen Islamischen Jihad“ (PIJ), die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) sowie die Gruppierung „Samidoun“ im Blick.

Die Grünen-Fraktionschefin im Landtag, Verena Schäffer, erklärte, israelbezogener Antisemitismus sei durch nichts zu rechtfertigen. Das Bejubeln des Hamas-Terrors sei völlig inakzeptabel. „Die Sicherheitsbehörden müssen die angekündigten antisemitischen Versammlungen genau beobachten und gegen antisemitische Straftaten konsequent vorgehen“, so Schäffer.

Union diskutiert Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft

Auch auf Bundesebene haben Politiker verschiedener Parteien die Solidaritätsbekundungen mit dem Hamas-Angriff scharf kritisiert und Konsequenzen gefordert. „Wenn solche Terrorakte auf der Straße gefeiert werden, muss man als Rechtsstaat ganz klar dagegen vorgehen“, so SPD-Chefin Saskia Esken im ARD-„Morgenmagazin“.

Aus der Union kamen derweil Forderungen, Beteiligten mit doppelter Staatsbürgerschaft die deutsche Staatsangehörigkeit zu entziehen. Hier sei der Rechtsstaat gefragt, sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann. Er kündigte an, das Parteipräsidium werde über die Frage beraten. CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter betonte, es könne nicht sein, „dass in einem Land, das den Holocaust verursacht und über sechs Millionen Juden auf dem Gewissen hat, das Vorgehen der palästinensischen Terroristen gerechtfertigt wird“.

Nach Ansicht der parlamentarischen Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Irene Mihalic, sollen auch Vereinsverbote geprüft werden. Neben der Solidarität mit Israel und dem Schutz jüdischer Einrichtungen sollte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) auch islamistische und antisemitische Vereine stärker in den Fokus nehmen. (mit dpa/epd)