Die Verschiebung eines kompletten Prüfungstages ist beispiellos in der Geschichte des Zentralabiturs.
BeispiellosSo erleben Schüler und Eltern die Abi-Panne in NRW
„Was machen wir denn jetzt?“, fragt eine verunsicherte Schülerin im Stufenchat des Abijahrgangs eines Essener Gymnasiums am Dienstagnachmittag. Die Antwort kam prompt: „Geht euch einfach betrinken und vertraut.“ Darauf ein anderer Schüler: „Ja Digga, irgendwann brauchen wir auch mal die Info, die sind doch geisteskrank alle.“ Ein weiterer Schüler nahm es offenbar locker: „Hä, ist doch egal. Zwei Tage mehr Zeit zum Lernen.“
Die Panne beim Runterladen der Abiturprüfungen für den Mittwoch in Biologie, Chemie, Ernährungslehre, Informatik, Physik und Technik verursachte große Verunsicherung unter Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern, die sich auf ihre erste Abiklausur vorbereitet hatten.
Vor allem die späte Nachricht, dass die Prüfungen nun doch verschoben werden mussten, sorgte für Ärger. „Die Nachricht vom Ministerium kam erst um 20.33 Uhr“, sagt Julia Gajewski, Chefin der Gesamtschule Bockmühle und im Vorstand der Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule (GGG) in NRW. „Wir wurden von Stunde zu Stunde hingehalten, das finde ich schwierig.“
So könne man Schüler und Lehrer nicht behandeln. Nach Ansicht der Schulleiterin wäre es besser gewesen, ein Zeitlimit bis 18 Uhr zu setzen, um dann zu entscheiden und „Nägel mit Köppen zu machen“. Die Kommunikation seitens des Ministeriums sei nicht gut gelaufen. „Das erinnert mich an die Corona-Zeit“, sagt Gajewski, als ebenfalls die Anweisungen oftmals auf den letzten Drücker bei den Schulen eintrafen. „Wir sind den ganzen Tag hingehalten worden.“
Schüler wurden per Mail und Telefon über Absage der Abi-Prüfungen informiert
Dadurch konnten die Lehrkräfte ihre Prüflinge erst am Abend per Rundmail und Telefon darüber informieren, dass die Klausuren verschoben werden. „Wir drücken euch weiterhin die Daumen und wünschen Euch eine erfolgreiche Vorbereitung sowie einen guten Start mit den ersten Klausuren am Donnerstag“, spendete die Leitung eines Essener Gymnasiums Trost.
Die meisten Schüler wussten zu dem Zeitpunkt aber wohl schon Bescheid. „Leute, macht euch nicht in die Hose, wenn Ministerium sagt, ist verschoben, ist das Ding durch“, schrieb ein Abiturient in den Stufenchat.
Verschiebung der Abi-Prüfung verursache noch mehr Stress
Die kurzfristige Verschiebung eines kompletten Prüfungstages ist in der Geschichte des Zentralabiturs in NRW, das 2007 eingeführt wurde, wohl beispiellos. Das bringe bei vielen Abiturienten und Abiturientinnen die Prüfungsvorbereitung durcheinander und sorge für zusätzlichen Druck, weiß Regina Bier, Oberstufenleiterin an der Essener Gesamtschule. „Ein Schüler schreibt nun an zwei Tagen hintereinander, am Donnerstag und Freitag, eine Abiklausur. Der hat jetzt noch mehr Stress.“
Ab 12 Uhr am Mittwoch sollten die Klausuren digital zur Verfügung stehen. „Wir haben es ab 13 Uhr versucht, aber da ging schon nichts mehr“, sagt Gajewski. Dann habe sie gehört, dass es einige Schulen geschafft haben, andere aber nicht.
Die versprochene Mail des Ministeriums an die Schulleitungen, die bis 18 Uhr eintreffen sollte, war auch um 19 Uhr noch nicht da. Um 19.07 Uhr kam die Nachricht, dass man ab 19.30 Uhr erneut einen Download versuchen sollte. Danach würde eine Entscheidung getroffen. Die endgültige Absage erreichte die Schulen dann gegen halb neun.
Schüler kritisieren Ministerium scharf
Von den Schülern kommt heftige Kritik am Schulministerium. Die Landesschülervertretung (LSV) spricht von Katastrophe und Chaos: „Schon wieder müssen wir Schüler:innen das Versagen der Landesregierung ausbaden“, sagt Phil Robin Weber vom LSV-Vorstand. Für die angehenden Abiturienten bedeute der neue Prüfungstermin nicht nur mehr Stress durch fehlende Lernpausen, sondern im Zweifelsfall auch eine schlechtere Note.
Statt sich auf externe Dienstleister zu verlassen, hätte das Ministerium „rechtzeitig eigene, erprobte Plattformen und Verteilsysteme etablieren müssen – schließlich gibt es in NRW seit 2007 das Zentralabitur“, sagte LSV-Vorstandsmitglied Sebastian Dahlmann.
Abi-Panne sei eine Zumutung
Auch Eltern sind erbost: „Das ist eine Zumutung, und das muss besser werden“, meinte Christian Beckmann, Vorsitzender der Landeselternkonferenz (LEK). Die LEK hofft, dass die technischen Probleme behoben werden können, so dass auch große Datenmengen wie Videos das System nicht mehr überfordern, und die Kommunikation besser wird.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in NRW sprach von einer „extrem peinlichen Abi-Panne“. Die Fehler müssten schnell behoben, die weiteren Prüfungen sichergestellt werden. „Es ist absolut nicht nachzuvollziehen, dass die Absage und die Verschiebung erst nach 20 Uhr kommuniziert wurde und die Lehrkräfte in der Warteschleife immer weiter vertröstet wurden“, sagte GEW-Landeschefin Ayla Çelik. Für solche Situationen müsse es klare Kommunikation und einen belastbaren „Plan B“ geben.
Bitter sei die Verschiebung der Prüfungen für die Schülerinnen und Schüler. Celik: „Sie haben sich wie 100-Meter-Sprinter auf den Punkt vorbereitet – und erfahren jetzt, dass das Rennen um zwei Tage verschoben wird.“ Dass die Verlegung auf den 21. April auch noch auf das Ende des Ramadans fällt, sei für gläubige muslimische SchülerIinnen und deren Familien eine böse Überraschung.
Die zweiwöchige Klausurenphase sollte am Mittwoch starten mit den Leistungs- und Grundkursen in Bio, Physik, Chemie, Technik und Informatik. Am Donnerstag sind Schülerinnen und Schüler mit Leistungskursen aus den Gesellschaftswissenschaften, Kunst, Musik, Religion oder Sport an der Reihe.
Weitere wichtige Termine sind die Prüfungen in Deutsch (26. April), Englisch (28. April) und Mathe (3. Mai). Die schriftlichen Prüfungen enden am 5. Mai mit Französisch. Zwischen dem 8. Mai und 20. Juni finden die mündlichen Abiturprüfungen statt.