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NRW-Schulministerin Feller im Interview„Ich werde den Schulen zuhören“

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Dorothee Feller LIST

Dorothee Feller (CDU)

DüsseldorfIm neuen Landeskabinett gehört die Führung des Schulministeriums wohl zu den interessantesten Personalien: Dorothee Feller (CDU), bislang Regierungspräsidentin in Münster, ist die neue Schulministerin und damit Nachfolgerin der wegen ihrer Coronapolitik umstrittenen FDP-Politikerin Yvonne Gebauer (FDP). Im Interview mit Matthias Korfmann und Stephanie Weltmann sprach die 56-jährige Feller darüber, was sie besser machen will und welche Schwerpunkte sie setzt.

Frau Feller, das Amt der Schulministerin ist herumgereicht worden wie eine heiße Kartoffel. Wieso haben Sie zugegriffen?

Bildung ist eines der wichtigsten Themen, denn es geht um die Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen. Was kann es Schöneres geben, als sich darum zu kümmern? Ich habe Respekt vor diesem Amt und weiß, dass es nicht einfach wird. Aber ich freue mich darauf.

Ihre Vorgängerinnen standen sehr unter Druck. Was macht Sie zuversichtlich?

Zur Bezirksregierung Münster mit ihren 1.700 Beschäftigten gehört eine große Schulabteilung. Ich weiß also, worüber in den Schulen und bei den Schulträgern diskutiert wird. Als Regierungspräsidentin habe ich immer wieder das Gespräch mit den Akteuren vor Ort gesucht und werde das auch als Schulministerin weiterhin tun. Ich gehe diese Arbeit positiv an und freue mich über das Vertrauen, das von vielen Seiten in mich gesetzt wird.

Ein Vorwurf von Lehrer-, Eltern und Schulleiterverbänden gegenüber ihrer Vorgängerin war schlechte Kommunikation. Werden Sie das besser machen?

Ich habe Lehrer-, Eltern und Schülerverbände schon angeschrieben und ihnen signalisiert, dass ich großes Interesse an einem konstruktiven, offenen und ehrlichen Austausch habe. Wir werden nicht immer einer Meinung sein. Aber ich kann und werde gut zuhören, und die Rückmeldungen aus den Schulgemeinden in meine Entscheidungen einfließen lassen.

Schließen Sie also aus, dass Sie am Freitagabend eine Schulmail verschicken mit Vorschriften, die am Montag schon gelten?

Als eine meiner ersten Amtshandlungen habe ich im Schulministerium einen Corona-Koordinierungsstab eingerichtet, an dem auch das Gesundheitsministerium beteiligt ist. So erfahren wir früh, welche Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie wirksam und geboten sind und können gemeinsam entscheiden. Ich möchte, dass die Schulträger und Schulen genauso wie die Schülerinnen, Schüler und ihre Eltern genügend Zeit haben, um sich auf etwaige Veränderungen vorzubereiten. Die Pressekonferenz zum Start des Schuljahres werden wir aus diesem Grund auf Ende Juli vorverlegen. Und die Schulen erfahren die Neuigkeiten natürlich vor der Presse.

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Welche sind Ihre wichtigsten Ziele?

Wir haben uns im Zukunftsvertrag viele Ziele vorgenommen. Dazu gehört zum Beispiel die Einführung der Eingangsbesoldung A13, also eine gerechte Bezahlung für alle Lehrerinnen und Lehrer, und dass mehr Lehrkräfte in die Schulen kommen. Trotz Corona muss ein guter und sicherer Start ins neue Schuljahr gelingen. Auch die Beschulung ukrainischer Schülerinnen und Schüler ist eine besondere Herausforderung. Schließlich ist es mir eine Herzensangelegenheit, dass wir gerade sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen gute Bildungschancen eröffnen. Aus gesellschaftlicher Verantwortung und weil wir dringend gut ausgebildete Fachkräfte brauchen, können wir es uns nicht leisten, diese Potenziale liegenzulassen.

Fangen wir beim Personal an: CDU und Grüne wollen 10.000 zusätzliche Lehrkräfte in die Schulen bringen. Woher sollen die kommen?

Das ist eine der größten Herausforderungen und ein wichtiger Arbeitsauftrag von Dauer. Langfristig helfen uns vor allem mehr Studienplätze, aber wir müssen auch zeitnah Lösungen finden. Wir prüfen zum Beispiel, welche Qualifikationen Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger mitbringen müssen, um unsere Schulen zu unterstützen.

Wann wird es die ersten Stellen geben?

Eine vollständige Trendwende wird nicht von heute auf morgen gelingen, aber wir gehen sofort an die Arbeit, um zusätzliches Personal für unsere Schulen zu gewinnen.

Und wie werden diese Lehrer auf die Schulen verteilt?

Eines der Instrumente dafür kann der schulscharfe Sozialindex sein, mit dem wir personelle Ressourcen gezielt solchen Schulen zuteilen können, die zum Beispiel aufgrund ihrer Lage in einem bestimmten Stadtteil vor besonderen Herausforderungen stehen. Zum kommenden Schuljahr werden wir bereits fast 6.000 Stellen unter Berücksichtigung des Schulsozialindex‘ verteilen. Künftig sollen es noch mehr sein.

Ihre Vorgängerin, Yvonne Gebauer, ist ja insbesondere über die Coronapolitik an den Schulen gestolpert. Schließen Sie Corona-bedingte Schulschließungen im Winter aus?

Oberstes Ziel ist es, die Schulen offenzuhalten, denn wir wissen, wie sehr ein Schul-Lockdown unsere Schülerinnen und Schülern, aber auch deren Familien belastet.

Die Stadt Solingen lief bei Ihrer Amtsvorgängerin vor eine Wand, als sie versuchte, ein eigenes Corona-Schutzkonzept für die Schulen einzuführen. Wie würden Sie reagieren?

Wenn vor Ort gute Konzepte entwickelt werden, bin ich für einen Austausch darüber offen. Ich bin keine Freundin davon, stur nach Aktenlage zu entscheiden, sondern suche das Gespräch. Als Schulministerin ist für mich entscheidend, dass die Bildungschancen der Schülerinnen und Schüler gewahrt bleiben, denn aus der Schulpflicht leitet sich zugleich ein Recht auf Bildung ab.

Wird es für die Schulen im Herbst genügend Masken, Tests und Luftfilter geben?

Über den Bestand an Masken und Tests verschaffen wir uns gerade einen aktuellen Überblick. Die Lieferverträge laufen noch, sodass wir bei Bedarf jederzeit nachbestellen können. Aber: Für die Maskenpflicht haben wir aktuell keine gesetzliche Grundlage. Und bei Luftfiltern gilt, was viele Experten sagen: Regelmäßiges Lüften ist unersetzlich.

Eine akute Herausforderung nach den Ferien ist auch die Beschulung ukrainischer Kinder. Der Städtetag NRW fordert mehr Unterstützung. Gibt es die von Ihnen?

Mancherorts stehen Städte bereits vor der Herausforderung, die Kinder von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern zu unterrichten. Nun kommt eine große Zahl ukrainischer Kinder und Jugendlicher hinzu, die bei uns Schutz vor einem schrecklichen Krieg suchen. Um die zu uns geflüchteten Schülerinnen und Schüler gut bei sich aufnehmen zu können, brauchen unsere Schulen natürlich Unterstützung. Ein Konzept hierfür gibt es schon seit dem Frühjahr. Gemeinsam mit den Schulen und Schulträgern wollen wir überlegen, wie das Land noch besser unterstützen kann, etwa bei der Einstellung ukrainischer Lehrkräfte.

Sind Gebäude außerhalb von Schule denkbar, wie in der Pandemie gefordert?

Wir wollen keine reinen Flüchtlingsklassen weit weg von einer Schule, sondern wir wollen die jungen Menschen von Beginn an integrieren. Das ist unser Grundsatz. Wie wir diesen Grundsatz mit den Gegebenheiten vor Ort pragmatisch und gut übereinander bekommen, müssen wir mit den jeweiligen Schulträgern unter Einbindung der Bezirksregierungen klären.

Fachkräfte fehlen auch für den Ausbau des Ganztags. Laut einer aktuellen Studie wird NRW den Rechtsanspruch ab 2026 aus Personalnot nicht stemmen können. Sehen Sie genauso schwarz?

Es muss unser Anspruch sein, das zu schaffen. Deshalb werde ich mich schnellstmöglich mit allen Beteiligten an einen Tisch setzen. Wir dürfen die Debatte aber nicht zu eng führen, sondern wollen in die vielfältigen Ganztagsangebote zum Beispiel auch Handwerkerinnen und Handwerker einbinden und einen Schwerpunkt beim Sport legen. Ich bin Marathonläuferin und weiß, wie wichtig Bewegung ist. Gerade in der Pandemie haben wir gesehen, wie sehr Kindern und Jugendlichen auch der Sport gefehlt hat.

Handwerker im Ganztag – das wird Unternehmen mit Nachwuchssorgen freuen. Teilen Sie die Einschätzung, dass das System Schule zu sehr aufs Abitur abzielt?

Wir brauchen im Moment sicher keine Strukturdebatten. Nichtsdestotrotz müssen wir uns als Gesellschaft fragen, wieso viele Eltern ihre Kinder am liebsten aufs Gymnasium schicken, obwohl ihnen eine andere Schulform empfohlen wurde. Der Weg über die mittlere Reife und eine Ausbildung ist ein genauso guter wie über Abitur und Studium. Wir müssen früher anfangen, die Kinder für die vielfältigen Möglichkeiten etwa im Handwerk zu begeistern. Hier kann die Berufliche Orientierung in den Schulen einen wichtigen Beitrag leisten.