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„Einfrieren“-Debatte bei „Maybrit Illner“„Das Ziel soll heißen, Putin zu besiegen – und das ist möglich“

Lesezeit 4 Minuten
Amira Mohamed Ali (BSW), Moderatorin Maybrit Illner, Paul Ronzheimer, Lars Klingbeil (SPD), Sabine Adler und der zugeschaltete Leonid Wolkow diskutieren im ZDF über Russlands Krieg gegen die Ukraine.

Amira Mohamed Ali (BSW), Moderatorin Maybrit Illner, Paul Ronzheimer, Lars Klingbeil (SPD) und der zugeschaltete Leonid Wolkow diskutieren im ZDF über Russlands Krieg gegen die Ukraine.

SPD-Chef Klingbeil verteidigt Rolf Mützenich. Ein Nawalny-Vertrauter findet die Debatte derweil „sinnlos“ – und fordert einen anderen Fokus.

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil sieht derzeit keine Basis für Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über ein Ende des Ukraine-Krieges. „Ich selbst glaube gerade nicht, dass man sich mit Wladimir Putin an einen Tisch setzen kann“, sagte Klingbeil am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“. Jene, die darüber entschieden, seien die Ukrainerinnen und Ukraine, fügte der SPD-Chef hinzu. Russland führt seit über zwei Jahren einen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

In der Sendung ging es unter anderem über umstrittene Einlassungen von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zu einem Einfrieren des Ukraine-Kriegs. Klingbeil nahm Mützenich gegen harte Kritik auch der Koalitionspartner Grüne und FDP in Schutz. Mützenich sorge dafür, dass die SPD-Fraktion geschlossen hinter der Ukraine-Politik von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stehe.

Klingbeil verteidigt Mützenich: „Ich finde, man kann diese Debatten aushalten“

Der Fraktionsvorsitzende habe in seiner Rede im Bundestag klar gesagt, dass die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland weiter militärisch unterstützt werden, es aber auch möglich sein müsse, über die Frage von Frieden zu reden. „Und ich sage Ihnen, diesen Wunsch und diesen Bedarf gibt es. Und ich finde, man kann diese Debatten aushalten und man kann sie auch führen“, betonte Klingbeil. Es sei kein Widerspruch, über die Lieferung von Waffen und zugleich Diplomatie zu reden.

Dafür gab es Kritik von „Bild“-Journalist Paul Ronzheimer. „Wenn Olaf Scholz seine Politik ernst meinen würde, hätte er sich davon erstens distanziert und zweitens klargemacht, dass für ihn eine Debatte des Einfrierens nicht infrage kommt. Das hat er nicht getan. Er hat sich weggeduckt.“ In der Ukraine herrsche „Erschütterung“ über die Äußerungen von Mützenich.

„Maybrit Illner“: Ronzheimer kritisiert Kanzler Scholz – „Erschütterung“ über Mützenich

Neben Klingbeil und Ronzheimer waren auch BSW-Vorsitzende Amira Mohamed Ali, Deutschlandfunk-Journalistin Sabine Adler und Leonid Wolkow, Vertrauter des gestorbenen Kremlkritikers Alexej Nawalny, in der Sendung zu Gast. Kritik an der deutschen Debatte ums „Einfrieren“ kam dabei auch von Wolkow. „Den Begriff ‚Einfrieren‘ finde ich ein bisschen sinnlos, weil man kann etwas nicht einseitig einfrieren und Putin ist natürlich für keinen Waffenstillstand oder sowas überhaupt bereit“, erklärte er.

Wichtiger sei es, das Ziel zu definieren. „Putin ist nicht gleich Russland“, das müsse man verstehen, forderte Wolkow – und das Ziel anders formulieren: „Es soll heißen, Putin zu besiegen“. Ganz Russland zu besiegen sei „kaum möglich“, das Land sei zu groß und verfüge über Atomwaffen, erklärte Wolkow. Putin zu besiegen, sei hingegen ein erreichbares Ziel, wenn man die Ukraine militärisch unterstütze, klügere Sanktionen gegen Putin und den Kreml verhänge und die öffentliche Meinung in Russland beeinflusse.

Nawalny-Vertrauter Leonid Wolkow bei „Maybrit Illner“: „Putin ist nicht gleich Russland“

Die deutsche Unterstützung für die Ukraine bleibe konstant und nachhaltig, versicherte SPD-Vorsitzender Klingbeil unterdessen. „Es wird ganz sicher keine Situation geben, wo im Bundeskanzleramt, im Élysée-Palast oder im Weißen Haus über Gebiete in der Ukraine nachgedacht wird“, betonte Klingbeil. Die Ukraine entscheide, ob und wann es zu Verhandlungen komme.

Klingbeil rief zugleich zum Ende des koalitionsinternen Streits über die Unterstützung der Ukraine auf. Die Ampel-Koalition habe hier seit Beginn des Krieges wahnsinnig viel gemacht. Es sollte wieder über Gemeinsames und nicht über Trennendes geredet werden. Es müsse Schluss sein mit den internen Debatten der vergangenen Tage, die außerhalb Berlins keiner verstehe.

Lars Klingbeil verbittet sich Belehrungen über frühere Russlandpolitik der SPD

Der SPD-Chef verbat sich zugleich Belehrungen über die frühere Russlandpolitik seiner Partei. Die SPD habe diese aufgearbeitet, übrigens als einzige Partei. Ihre aktuellen Beschlüsse hätten mit der alten Russlandpolitik nichts mehr zu tun. „Ich teile diese Kritik null“, machte der Parteichef deutlich.

Zuspruch für Mützenich gab es derweil auch von BSW-Politikerin Mohamed Ali. „Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass Rolf Mützenich mit dem, was er da gesagt hat, nur in die SPD gewirkt hat“, erklärte sie. „Ich glaube, dass er da auch vielen Menschen in der Bevölkerung aus dem Herzen gesprochen hat.“ Erneut sprach Mohamed Ali zudem gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine aus.

BSW-Politikerin Mohamed Ali verteidigt Rolf Mützenich

Mützenichs Rede hatte in der Vorwoche für scharfe Kritik gesorgt. Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang hatte von einem „Rückfall in die alte Russlandpolitik der Sozialdemokratie“ gesprochen. Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann nannte die Äußerung Mützenichs „sozialdemokratische Appeasement-Politik“

Mit dem Begriff Appeasement wird eine Politik der Zugeständnisse und der Zurückhaltung gegenüber Aggressoren beschrieben. Er wird unter anderem für das Agieren vor allem Großbritanniens gegenüber den Expansionsplänen des deutschen Nazi-Diktators Adolf Hitler vor dem Zweiten Weltkrieg verwendet. (das/dpa)