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„Ziemlich tote Dinge“Skurriler Debüt-Roman über eine Tierpräparatorin

Lesezeit 3 Minuten
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Makaberer Charme: Tierpräparator Thomas Winkler zeigt sein Atelier. In "Ziemlich tote Dinge" ist die Taxidermie ein Leitmotiv. 

„Wenn sie mit Milo zusammenblieb, würde ich sie nie verlieren, auch wenn ich sie nicht so haben könnte, wie ich es mir wünschte.“ Die Frau, zu der man in inniger Liebe verbunden ist, heiratet den Bruder – dank dieser Konstellation sind schon ganze Königreiche untergegangen. Nun ist Jessa nicht Teil eines Imperiums, aber zumindest Tierpräparatorin in dritter Generation.

Verlassenes Nest

Irgendwo in einem verlassenen Nest in Florida muss sie den Laden schmeißen, nachdem ihr an Krebs erkrankter Vater sich das Leben genommen hat.

ArnettK_Ziemlich tote Dinge

Das Cover

Die burschikose Tochter war sein erklärter Liebling – im Guten wie im Schlechten: Ihr brachte er nicht nur das Handwerk bei, sondern arrangierte es auch so, dass sie seine Leiche finden muss. Und zu allem Überfluss legt er ihr in einem Abschiedsbrief nahe, dass sie nun den Rest der Familie zusammenhalten solle. Was schon unter normalen Umständen kein leichtes Unterfangen war.

Schwierige Beziehungen

Denn Brynn, die Frau ihres Herzens, hatte Jessas Bruder Milo ein paar Jahre nach der Hochzeit verlassen. Um deren gemeinsame Tochter Lolee und Sohn Bastien, dessen Vaterschaft nie ganz geklärt wird, kümmerte sich fortan die Schwiegerfamilie mehr oder minder gemeinsam.

Und während die beiden großen und die zwei kleinen Geschwister versuchen, im Orbit der Trauer um Brynn eine ertragbare Position zu finden, löst die Kugel, die der Vater sich in den Kopf jagt, eine Kettenreaktion aus, an deren Ende seine Witwe verrückt zu werden scheint.Anders zumindest können sich Jessa und Milo nicht erklären, dass ihre Mutter, die sonst nie einen Fuß in den Laden gesetzt hatte, die noch vom Vater ausgestopften Tiere im Schaufenster in erotischen, bisweilen sogar schwer anrüchigen Dioramen drapiert.

Faustdicke Überraschungen

Für ihr Roman-Debüt „Ziemlich tote Dinge“ kreierte die amerikanische Autorin Kristen Arnett wunderbares Südstaaten-Kleinstadt-Panoptikum. Jeder kennt jeden, und dennoch lauert hinter jeder Ecke eine faustdicke Überraschung. Etwa in der Gestalt der gestylten Galeristin Jessica, die in der Mutter eine Künstlerin und in der Tochter eine potenzielle neue Lebensgefährtin sieht. Als Letzteres nicht funktioniert, greift Jessica ganz undamenhaft zu drastischen Mitteln.

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Spätestens an diesem Punkt des Romans beginnt Arnett virtuos mit morbider Skurrilität und psychologischer Tiefe zu jonglieren. Während bei Jessa Verlust und Trauer bislang in Bindungsängste, ruppiges Sozialverhalten und selbstvergessene Sauftouren mündeten, verhelfen sie etwa dem schwierigen Teenager Bastien zu Selbstbewusstsein und der Kraft für den Abschluss mit der Vergangenheit.

Auch wenn alle Figuren den Umgang mit den präparierten Schönheiten unterschiedlich betreiben, erkundet jede auf ihre eigene Weise, wie viel Leben, wie viel Liebe in diesen „ziemlich toten Dingen“ stecken kann.Denn so hat es Jessa Morton von ihrem verstorbenen Vater gelernt: „Aus den Überresten von Totem setzten wir Leben zusammen.“