Nostalgie Anno 2021Warum uns ABBA oder Hape Kerkeling dieses Jahr so gut getan haben
Köln – Zum Jahresende macht sich von jeher Nostalgie so breit, wie sie nur kann. Doch gefühlt war 2021 insgesamt das Jahr, in dem wir alle uns vor allem mit Vertrautem umschmeicheln und umsorgen lassen wollten. Da wurde Adele mit ihrem ersten Album seit vier Jahren wie eine Heilsbringerin gefeiert. Daniel Craig durfte nach x-mal verschobenem Kinostart ein letztes Mal als James Bond die Welt retten. Und Sebastian Pufpaff konnte „TV Total“ aus dem Medienschlaf zurückholen.
All das toppte natürlich das Comeback von ABBA, von dessen Ausmaßen die vier Schweden sicherlich selber mit am meisten überrascht gewesen sein dürften: In den USA wurden sie für ihr Lied „I still have faith in you“ zum allerersten Mal in ihrer Karriere für einen Grammy nominiert. In Großbritannien könnten sie einen Brit Award als Beste Band des Jahres gewinnen. Ihr Album „Voyage“ verkaufte sich in Deutschland mehr als alle anderen CDs (und zog an Helene Fischers „Rausch“ locker vorbei – vielleicht war das die „Strafe“ dafür, dass sie beim „Wetten-Dass“-Auftritt den Text von „S.O.S.“ versemmelte...).
Eine Art Klassentreffen
Für die Generation der Babyboomer (der Autor dieser Zeilen wurde zehn, als ABBA 1974 den Song Contest gewannen) geriet die Veröffentlichung dieses ersten Albums nach 40 Jahren Abstinenz zu einer Art Klassentreffen: Da fremdelt man zunächst ein wenig, ob der veränderten Optik der alten Freunde, im Fall von ABBA musste man sich ein wenig in die (nicht schlecht) gealterten Stimmen von Agnetha und Frida einhören. Doch nach ein, zwei Getränken ist man wieder auf der derselben Wellenlänge, tauscht Neuigkeiten aus und schwelgt in Erinnerungen.
Und wenn auch Drumherum um die Bekanntgabe eine Riesenwelle veranstaltet wurde, die Band selber präsentierte ihre Platte mit reichlich Understatement. Die Damen hielten sich, mit der Ausnahme eines Radioauftritts von Frida in der BBC, komplett aus der Öffentlichkeitsarbeit raus, Björn und Benny gaben eine überschaubare Anzahl von Interviews. Und garniert wurde das Ganze von gerade mal einer Hand voll von Fotos. Und so glaubt man ihnen gerne, dass eigentlich nur zwei Songs geplant und das komplette Album nur entstanden sei, weil man wieder so viel Spaß zusammen im Studio hatte. Und dieser Spaß übertrug sich auf die Hörer.
Kerkeling holte zum großen Rundumschlag aus
Hape Kerkeling dagegen, der nach sieben Jahren seine TV-Abstinenz beendete, holte zum großen Rundumschlag aus – und wurde mit genauso offenen Armen wie ABBA empfangen. Ob Katzen-Buch und -Hörbuch, Reiseserie, TV-Shows oder eine Platte mit deutschen Versionen holländischer Schlager – Kerkeling war Hans-Dampf in allen Mediengassen.
Auch wenn die Qualität der einzelnen Produkte dieses Bauchladens höchst unterschiedlich ist – der Erfolg gab und gibt ihm recht: Hier ist jemand zurückgekehrt, den Fernseh-Deutschland schmerzlich vermisst hat. Jemand, der (kluges) Vergnügen bereitet. Jemand, der sich (scheinbar) selbst nicht so ernst nimmt. Und jemand, der ebenfalls ein paar Corona-Kilos zu viel auf den Rippen hat. Der Mann der Corona-Stunde, das unterhaltsame, ja erholsame Gegenstück zu Lauterbach, Drosten und Streeck.
13,8 Millionen vefolgten „Wetten, Dass?!“
Und während die Veranstalter Land auf, Land ab den mangelnden Zuschauerzuspruch beklagen mussten, versammelte sich die TV-Nation im November zu einem samstagabendlichen Lagerfeuer, um (ein letztes Mal?) „Wetten, Dass?!“ zu schauen. 13,8 Millionen in der Spitze wohnten der (um ein Jahr verschobenen) Jubiläumsshow vor der Flimmerkiste bei. Ein Hauch von Früher, von der guten alten Fernsehzeit schwang in der Ankündigung des Abends mit und ließ in Millionen deutscher Wohnzimmer die Finger auf die Nummer zwei der Fernbedienung tippen.
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Eigentlich hätte es nett werden können, mit einem Müll trennenden Terrier, dem heiteren Melodienraten mit der Klobürste und dem Auftritt der ABBA-Jungs. Doch Thomas Gottschalk wirkte, als würde erselber eine Wette anbieten: Ihr könnt mich nachts um drei aus dem Schlaf wecken und ich moderiere Euch „Wetten Dass?!“. Aber so charmant und Wohlgefühl verbreitend das Konzept immer noch ist, Gottschalk wirkte von Kopf bis Fuß und mit dem, was ihm über die Lippen kam, wie aus der Zeit gefallen. Nach 15 Minuten hätte der Sender eigentlich das in sich zusammensinkende Logo einblenden und Gottschalk sich selber zum Verlierer erklären müssen.
Ein Stück vom Nostalgiekuchen
Allein, der 71-Jährige ließ sich weiter von Michelle Hunziker als einer Art hinreißender Moderationsrollator durch den Abend führen – und man selber blieb dabei. Denn man hatte sich ja in der Hoffnung zugeschaltet, ein sattes Stück vom Nostalgiekuchen naschen zu dürfen.In diesem Jahr, in den alle zwischen Lockdown und Verunsicherung pendelten, brauchten wir solche Momente, solche Spa-Behandlungen für die Seele. Und so wie es aussieht, werden wir auch im nächsten Jahr mehr Wellness in größeren Dosen benötigen. Mal schauen, welche Comebacks wir in den nächsten zwölf Monaten feiern und über welche wir den Kopf schütteln.