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Zum letzten Mal „Kunst“ in KölnIm „Theater in Bauturm“ geht eine Ära zu Ende

Lesezeit 4 Minuten
Bauturm

In dieser Konstellation wird jetzt im Bauturm gespielt (v.l.): Gerhardt Haag, Klaus Wildermuth und Ulrich Marx. 

Köln – Der Tisch, an dem Gerhardt Haag und ich im Café Fleur sitzen, um über den Bauturm-Dauerbrenner „Kunst“ zu sprechen, gehört in gewisser Hinsicht auch zum Stück. „Genau hier, jeder immer am selben Platz, haben Axel Siefer, Heinrich Cuipers und ich regelmäßig die Textproben gemacht“, erklärt Gerhardt Haag – fußläufig zum Theater, aber weit genug weg, um nicht unentwegt unterbrochen zu werden. Denn Haag leitete bis 2016 das Theater im Bauturm, gründete dort 2011 das africologne-Festival (dessen Künstlerischer Leiter er bis heute ist) und blieb dem Haus als Schauspieler in der Paraderolle des Serge in „Kunst“ verbunden.

Das Schauspiel verzichtete, der Bauturm griff zu

Jetzt stehen die allerletzten Vorstellungen an: Nach einem Vierteljahrhundert geht mit der 529. Vorstellung an Silvester die Dernière von Yasmina Rezas Tragikomödie über die kleine Bühne an der Aachener Straße.

Das dritte Drama Rezas wurde 1994 zum kometenhaften Erfolg – Heinrich Cuipers entdeckte es begeistert in Düsseldorf. „Ich habe es sofort gelesen und war auch hin und weg“, erzählt Gerhard Haag, Axel Siefer (seinerzeit schon im ewigen „Kontrabass“ zu sehen) fackelte nicht lange: „Das machen wir!“ Als das Schauspiel Köln sein bereits gesichertes Abspielrecht nicht nutzte, griff das Team zu. Im August 1996 feierte „Kunst“ Premiere, im Winter gab es dafür den „Kölner Theaterpreis“.

Wie für geschaffen für dieses Trio

Es war, als sei das Stück für die Drei gemacht. „Wir haben entschieden, dass wir es ohne Regie machen, denn wir hatten das Gefühl, sie hat über unsere Beziehung geschrieben!“, erinnert sich Gerhardt Haag, „Es war auch keine Sekunde die Frage, wer welche Rolle spielt!“ Haags Kunstliebhaber Serge kauft sich für gewaltige 200 000 Mark ein „weißes Bild mit weißen Streifen“ und kommt nicht damit zurecht, dass sich sein intellektueller Freund Marc (Siefer) darüber ereifert; Yvan (Cuipers) versucht zu vermitteln. Wie ein Katalysator treibt das Bild die drei langjährigen Freunde in eine Beziehungskrise.

1_KUNST_Alte Besetzung_1996_(c) Archiv Theater im Bauturm

Die Ur-Besetzung (v.l.): Axel Siefer, Ulrich Kolpers und Gerhardt Haag. 

Auch hinter der Bühne ging es auf und ab, gab es ab dem Jahr 2000 längere Strecken in fester Besetzung mit Klaus Wildermuth (Marc) und Ulrich Marx (Yvan) – in dieser auch schon über zehnjährigen Konstellation wird die letzte Runde gespielt. Denn so, wie Serge im Stück konstatiert „wir sind am Ende einer 20-jährigen Beziehung“, sei es 2010 „aus Gründen“ auch im Leben gewesen, erklärt Haag.Was hat die Inszenierung für ihn bedeutet? „Es war in meiner schauspielerischen Arbeit das größte Geschenk“, sagt Haag; auch, mit einer Rolle alt werden zu können. Dabei erlebt er im altvertrauten Text immer noch Überraschungen: „Plötzlich verstehe ich, ach, so ist das gemeint!“

Eine Komödie, die eine Tragödie in sich birgt

Von einem ist er überzeugt: „Kunst“ ist ein Jahrhundertwurf, die beste Stückvorlage, die ich kenne für Schauspieler. Denn es funktioniert auf der oberflächlichen Ebene als Komödie, ist aber letztendlich eine Tragödie – es geht darum, wie schwer es ist, sich auf eine wirkliche Freundschaft einzulassen, wie bedürftig wir sind.“

Ab 28. Dezember

Das Theater im Bauturm zeigt „Kunst“ vom 28. bis 30. Dezember jeweils um 20 Uhr. Die Vorstellungen an Silvester beginnen um 17 und 20.30 Uhr. Dauer 115 Min., keine Pause. Aachener Straße 24-26, 50674 Köln, Karten-Tel. 0221/52 42 42. Es gilt 2G mit Maskenpflicht am Platz. (SK)

Frappierend aktuell wirkt Rezas Stück mit Blick auf die Preis-Hysterie des Kunstbetriebs. Mit dem neuen Währung wurden aus den 200 000 Mark 50 000 Euro – bis jemand die Truppe nach einer Vorstellung im Museum eines Mäzenaten dezent darauf hinwies, dass dies rein gar nichts für moderne Kunst sei – „seitdem sind es 200 000 Euro“. Denn natürlich geht es in „Kunst“ auch um Serges Prestige als Sammler; auf diese Wunde legt Marc den Finger: „Ich finde ja, alle im Stück haben immer recht“, sagt Haag, das müsse das Publikum erkennen.

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Nach 25 Jahren mit rund 60 000 Zuschauern ist für Gerhardt Haag, der nach der letzten Vorstellung in seinen 73. Geburtstag hineinfeiern wird, die Zeit reif für den Abschluss. „Manche Stellen im Stück passen einfach nicht mehr zu unserem Alter.“

Wohl aber („mit ein bisschen Hineinkneifen“) die Originalkostüme. Die würde Haag bei Interesse sogar dem Theatermuseum Wahn überlassen. Nicht aber das gelegentlich weiß ausgebesserte corpus delicti: „Das Bild kommt zu mir, das nehme ich mit!“