Roman der Augsburger PuppenkisteWarum „Herzfaden“ nicht zu überzeugen weiß
- Die Jury des Deutschen Buchpreises setzte den Roman „Herzfaden“ auf die diesjährige Shortlist.
- Unser Autor hat den Roman mit dem Untertitel „Roman der Augsburger Puppenkiste“ gelesen und ist wenig überzeugt.
- Zu wenig wurde die Rolle im Dritten Reich hinterfragt, zuviel auf die Poesietube gedrückt.
Kaum ein Babyboomer, der nicht Erinnerungen an die Augsburger Puppenkiste hat – Urmel, Jim Knopf, der losgelassene Löwe oder der kleine König Kalle Wirsch, holzköpfige Helden einer ganzen Generation und darüber hinaus. Diese Zielgruppe hat Thomas Hettche, selber Jahrgang 1964, ganz sicher im Visier gehabt, als er „Herzfaden“ verfasste, zur Marketing-Sicherheit trägt der Untertitel „Roman der Augsburger Puppenkiste“ bei.
In einer Rahmenhandlung verirrt sich ein namenloses Mädchen hinter den Kulissen des Theaters, macht Bekanntschaft mit den Marionetten und ihrer Schöpferin Hannelore „Hatü“ Marschall. Diese erzählt der 12-Jährigen die Entstehungsgeschichte der Traditionsbühne. Wie ihr Vater Walter Oehmichen eingezogen wird, aber noch während des Krieges erste Marionetten herstellt und mit der Familie beginnt, Stücke aufzuführen. Wie er nach dem Krieg das Theater eröffnet und man sich durch schwere Zeiten und Wirtschaftswunder kämpfen muss – bis zum endgültigen Durchbruch nach ersten Fernsehausstrahlungen.
Rolle im Dritten Reich bleibt unbeleuchtet
Als dies erzählt Hettche („Pfaueninsel“) aus der Sicht „Hatüs“, der Leser begleitet sie vom achtjährigen Mädchen bis zur jungen Mutter, die, typisch für die 60er Jahre, unbeholfene Gespräche mit dem Vater über die Nazi-Zeit zu führen versucht. Und so bleibt Walter Oehmichens Rolle während des Dritten Reichs leider im Ungefähren.
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Als Oberspielleiter des Stadttheaters und gleichzeitige Landesleiter der Reichstheaterkammer für Schwaben darf er zwar mal ein ungeliebtes Textbuch von Johannes von Guenthers „Kreidekreis“ auf den Boden werfen und überlegen, ob man nicht stattdessen die Fassung von Klabund aufführt, ohne das anzukündigen. Doch als er nach 1945 nicht entnazifiziert wird, stellt auch Hettche keine weiteren Fragen.
Die Generation seiner beiden Töchter lernt zwar zwischen den „Guten“ (den Verfolgten und Verfemten) und den Bösen (den Ex-Nazis) zu unterscheiden, Oehmichen jedoch scheint hier wie durch Magie von einer Kategorisierung ausgenommen.
Auf die Poesietube gedrückt
Stattdessen trägt der Autor großflächig und mit breitem Pinsel, aber altbekannten Versatzstücken Zeitkolorit auf. Die von anderen Autoren wie Michael Ende, Max Kruse oder auch Antoine de Saint-Exupéry erdachten Figuren und Geschichten dominieren immer wieder beide Handlungsstränge. Und all dies in einem Ton, bei dem übermäßig auf die Poesietube gedrückt wird. „Der Herzfaden ist der wichtigste Faden einer Marionette.“ Er mache, so schreibt Hettche salbungsvoll, „uns glauben, sie sei lebendig, denn er ist am Herzen der Zuschauer festgemacht.“ Die Jury des Deutschen Buchpreises störte dies nicht und setzte den Roman auf die diesjährige Shortlist.
Thomas Hettche. Herzfaden. Roman der Augsburger Puppenkiste. Kiepenheuer & Witsch, 288 S., 24 Euro
Lesung in Köln: 23.11., 19.30 Uhr im Literaturhaus