Hier kochte Helga BeimerBonner Haus der Geschichte zeigt „Die Küche der Nation“
- Die Küche, die nun im Haus der Geschichte zu bewundern ist, ist die zweite von Mutter Beimer, 2005 kam das neue Stück in die Dauerserie.
- Das Haus der Geschichte zeigt Mutter Beimers Küche, ergänzt um das Original-Drehbuch der letzten Folge.
- Filmrequisiten spielen in der Sammlung des Hauses eine große Rolle.
Bonn – Welche Gefühle sie wohl haben wird, wenn sie am Mittwoch wieder in ihrer alten TV-Küche aus der „Lindenstraße“ im Bonner Haus der Geschichte steht? Marie-Luise Marjan, die fast 35 Jahre in der Serie die Mutter Beimer spielte, antwortet als Vollblutschauspielerin: „Da denke ich: Jetzt geht’s weiter. Neue Szene in der Folge 1759, wir sind mitten in der Corona-Zeit.“ Was kocht Mutter Beimer für die Familie? „Gemüse, um die Widerstandskräfte zu stärken, um das Immunsystem zu aktivieren.“ Essen habe immer eine Rolle gespielt, erzählt Marjan. In den Anfängen habe sie ganze Menues gekocht, „später hieß es immer im Drehbuch: ‚Nach dem Essen’. Da waren nur noch Krümel auf dem Teller“.
Und dann gab es die berühmten Spiegeleier. Die aß Mutter Beimer, wenn sie Kummer hatte. „Helga Beimer hat ein Problem, isst erst einmal ein Spiegelei, um das Problem zu lösen“, erzählt Marjan, „später wussten die Zuschauer schon, wenn ich nur die Pfanne aus dem Schrank holte: Helga hat wieder ein Problem“. „Ich weiß nicht, wie viele Eier ich oder meine Stand-by-Hausfrau oder der Stand-by-Hausmann hinter der Kulisse in die Pfanne gehauen haben.“
An dem Küchentisch wurde Seriengeschichte geschrieben. „Das war wie an jedem Tisch in jeder Familie: Da wurde vieles besprochen und entschieden. Die Sorgen der Kinder, die Arbeitslosigkeit des Mannes – der Achim war zweimal arbeitslos in der Serie“, erzählt sie.
„Wir sind sehr froh, dass wir uns die Küche von Mutter Beimer sichern konnten“, sagt Harald Biermann, Vertreter des Präsidenten der Stiftung Haus der Geschichte, „viele andere Museen haben auch Teile bekommen“. So ging der Biergarten des Restaurants „Akropolis“ an die Stiftung Haus der Geschichte NRW, das Technik Museum Speyer hat die Küche von Else Kling und das „Café Bayer“, die Deutsche Kinemathek Berlin beherbergt unter anderem Helga Beimers und Anna Zieglers Bademäntel.
Als Ende 2019 die letzte Klappe für Deutschlands berühmteste und längste Soap – die in München spielte, aber vom WDR in Köln-Bocklemünd gedreht wurde – nach fast 35 Jahren und 1758 Folgen fiel, startete der Run auf die Requisiten. „Uns war sofort klar, dass wir tätig werden müssen. Das war ein Teil der bundesrepublikanischen Fernsehgeschichte und ein Seismograf der Bundesrepublik.“
„Die Lindenstraße ist ein fortgesetzter Erfolg“, sagt Biermann, „und, was für uns besonders wichtig ist, ein Gradmesser der Befindlichkeit der deutschen Gesellschaft“. In Hans W. Geißendörfers Soap gab es den ersten Kuss zwischen homosexuellen Männern, der im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde, das Thema Transsexualität wurde schon früh in der Serie angesprochen – das Haus der Geschichte zeigt das aufgepolsterte Kleid von Marek Zöllig, der zu den Mädchen Sunny mutierte und in der Serie von Martin Walde gespielt wurde. Aids, Veganismus, politische Themen, etwa Wiedervereinigung, Rechtsradikalismus und NSU-Terror, eigentlich alles, was in der Gesellschaft eine Rolle spielte, sei zeitnah in der Soap verhandelt worden.
Er sei kein Küchenexperte, schmunzelt Biermann, aber die Grün-Türkise Farbe und der Terracotta-Ton, als charakteristisches Kolorit der 2000er Jahre (vielleicht in Anspielung an die Toskana-Sehnsucht der Deutschen), würden die Küche als typisch deutsch erscheinen lassebn, Richtung Landhausstil.
Was geschieht nun mit dieser sperrigen Neuerwerbung? Das Haus der Geschichte zeigt Mutter Beimers Küche, ergänzt um das Original-Drehbuch der letzten Folge mit schriftlichen Anmerkungen von Marjan dem Kleid von Sunny Zöllig und Stücken aus dem „Akropolis“-Restaurant, bis Ende 2021 im Foyer. Danach wandert das Ensemble erst einmal ins Depot, um irgendwann zu einem thematisch passenden Zeitpunkt wieder als Zeitzeugnis aufzutauchen.
„Lindenstraße“ in Zahlen
1758 Folgen Lindenstraße, 42 AutorInnen verfassten die Drehbücher; 7 ÄrztInnen führten die Arztpraxis; 7 bespielbare Außensets; 21 Geburten gab es in der Serie; 183 durchgehende Hauptrollen; 37 Hochzeiten wurden gefeiert; 1 Kilometer Kulissenwände in den Studios; 150 Meter betrug die Länge der Straße; 7032 Drehtage; 52 740 Sendeminuten; 28 RegisseurInnen insgesamt; 2500 Quadratmeter Studiofläche in 2 Studiohallen;
55 Todesfälle;
8-12 Wochen wurde im Voraus gedreht: 4 Mal wurden Vorspann und Abspann neu gedreht; erster Drehtag: 30.09.1985; letzter Drehtag: 20.12.2019; letzte Folge: 29.03.2020. (wdr)
Im Depot schlummern noch weitere Stücke aus der „Lindenstraße“, etwa das Schreibtischinventar von Dr. Dressler inklusive Wählscheibentelefon, die Kittelschürze von Else Kling, Kleidung und Accessoires von Amelie von Marwitz, der Grande Dame der „Lindenstraße“. Und, als skurrilstes Exponat, die künstliche Beinwunde, die sich der Obdachlose Harry, gespielt von Harry Rowohlt, zugezogen hatte.
Filmrequisiten spielen in der Sammlung des Hauses der Geschichte eine große Rolle. So waren zum Beispiel in der Ausstellung „Inszeniert. Deutsche Geschichte im Spielfilm“ 2017 etliche Stücke aus dem Film „Das Leben der Anderen“ zu sehen. „Mediengeschichte ist bei uns ein ganz relevanter Bereich“, erklärt Biermann und zählt wichtige Sammlungsstücke auf: Das erste Pult von „Hart aber Fair“, die Besucherbücher von Sandra Maischberger, die spacigen Rednerpulte aus dem großen politischen Duell der Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder und Edmund Stoiber, dazu die Merkzettel von Stoibers Wahlkampfmanager Michael Spreng, Sabine Christiansens emblematisches Kostüm in Hellblau. Sie alle schlummern im Depot und warten auf ihren Einsatz.
Haus der Geschichte Bonn; bis 31. Januar 2021. Eintritt frei.