Bei Markus Lanz ging es am Dienstabend im ZDF um das in Deutschland derzeit beherrschende Thema: die umstrittene Fußball-WM in Katar.
Habeck bei Lanz„Ich nehme an, jetzt muss man die 'One Love'-Binde tragen“
Zu Gast bei Markus Lanz waren Wirtschaftsminister Robert Habeck, Robert Kistner (Sportjournalist der „Süddeutschen Zeitung“) und Golineh Atai (Nahost-Expertin des ZDF). Lanz interessierten weniger die sportlichen Aspekte der WM im umstrittenen Wüstenstaat als die Haltung der FIFA, insbesondere das Verbot der „One Love“-Armbinde.
Der Fußball-Weltverband hatte mit Beginn der Wettbewerbe entschieden, dass das Tragen des Stückes Stoff, das ein Zeichen für Diversität und Toleranz setzen sollte, geahndet wird. Die Verbände aus Deutschland, England, Wales, Belgien, Dänemark, den Niederlanden und der Schweiz reagierten empört. England verzichtete in seinem ersten Spiel auf die Binde, und auch der DFB hatte erklärt, sich dem Verbot beugen zu wollen – wenn auch unter Protest.
Kapitän Manuel Neuer wird nun wohl am Mittwochabend gegen Japan mit der offiziellen FIFA-Armbinde auflaufen. Das hatte Entrüstung in Deutschland über das „Einknicken“ vor der FIFA hervorgerufen. Nationalkicker Thomas Müller wies die Kritik an den Spielern unterdessen zurück. Der DFB erwägt nun sogar einen Gang vor den Internationalen Sportgerichtshof Cas.
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Thomas Kistner bei Markus Lanz: FIFA verfolgt hinterhältige Taktik
Thomas Kistner sagt direkt zu Beginn der Diskussion zur FIFA-Entscheidung und der Reaktion der nationalen Verbände: Sein erster Gedanke sei gewesen „Warum überrascht mich das nicht?“. Es sei eben die klassische Art auch der deutschen Funktionäre, mit solchen Fragen umzugehen. Monatelang würde die Weltverbesserungsidee wie eine Fahne vor sich hergetragen. Bei Gegenwind aber knicke man ein.
Für ihn sei klar gewesen, dass die FIFA aus dem „Hinterhalt“ heraus agieren würde, also in diesem Fall erst zu Beginn der WM. So habe der Weltverband eine monatelange Debatte vermieden. Ein anderes Beispiel sei der Alkoholausschank gewesen. Über diesen sei seit fast zwölf Jahren gesprochen worden. Die FIFA habe stets gesagt, dies werde erlaubt sein. Auch diese Entscheidung sei erst drei Tage vor der WM kassiert worden. Selbst der Ausfall von ein „paar Millionen“ Sponsorengeldern von Budweiser störe die FIFA im Zweifel nicht.
Thomas Kistner: Gianni Infantino mit „Sprechdurchfall“
„Was wäre passiert, wenn Manuel Neuer diese Binde getragen hätte?“, fragt Lanz den Sportjournalisten. „Also ich denke, es wäre gar nichts passiert“, meint Kistner, denn die FIFA könne ja nicht ihren eigenen Wettbewerb zerstören. Dies sei der Fall, wenn einzelne Spieler wie DFB-Kapitän Manuel Neuer zu Beginn des Spiels gegen Japan eine Gelbe Karte und in der Folge möglicherweise einen Platzverweis kassieren würden. Außerdem seien die Sanktionen überhaupt nicht klar. Kistner schlägt als Lösungsmöglichkeit vor, man könnte in jedem Match einfach anderen Spielern die Binde geben, die nicht so gelbgefährdet seien.
FIFA-Chef Gianni Infantinos einstündigen Monolog als Antwort auf seine Kritiker kurz vor Beginn der WM bezeichnet Kistner als „Sprechdurchfall“. Er lässt durchblicken, dass er Infantino für korrupt hält. Nicht umsonst wohne Infantino inzwischen in Katar, da gebe es unter Umständen direkte Abhängigkeiten. Vermutlich würde der FIFA-Chef am liebsten den Friedensnobelpreis für seine Rede bekommen, ätzt Kistner.
Markus Lanz: Wegen „One Love“ sanktionierte Mannschäften wären „Weltmeister der Herzen“
„Knickt die FIFA vor Katar ein?“, will Lanz von Atai wissen. Das bestätigt die Nahost-Expertin. Sie sieht eine allgemeine Verschärfung des politischen und gesellschaftlichen Klimas in den arabischen Staaten. So sei Regenbogen-Spielzeug in Saudi-Arabien und Kuwait beschlagnahmt worden und bestimmte Netflix-Serien seien als unerwünscht deklariert worden. Atai meint, wenn alle betroffenen Nationen gemeinsam durchgezogen hätten, wäre die FIFA machtlos gewesen. Markus Lanz stellt fest, dass die möglicherweise wegen „One Love“ sportlich sanktionierten Mannschaften mit Sicherheit „Weltmeister der Herzen“ geworden wären. Kistner meint, das einzige, was der DFB jetzt noch zum Imagegewinn machen könne, wäre, nun einfach am Mittwoch mit Binde aufzulaufen.
Atai stellt das Verhalten des DFB in Kontrast zur Aktion der iranischen Nationalspieler, die sich der Nationalhymne verweigert hätten. Diese Sportler hätten ernsthafte Konsequenzen zu befürchten, sowohl für sich selber als auch für ihre Familien. Allerdings sei die Reaktion im Iran selber nicht so eindeutig. „Weltmeister der Herzen“ seien die Nationalspieler im Blick der Bevölkerung zumindest nicht. Dazu seien sie in der Vergangenheit zu regimenah gewesen.
Robert Habeck gibt dem DFB wenig versteckten Hinweis
Robert Habeck wird aus Berlin zugeschaltet, und Lanz will als erstes wissen, wie er das „Einknicken“ des DFB bewertet. „Ich kann der Diskussion auch nichts Neues hinzufügen“, meint der Wirtschaftsminister. „Ich nehme an, jetzt muss man die Binde tragen“, positioniert er sich. Wäre er Medienberater des DFB oder auch Manuel Neuer, würde er es drauf ankommen lassen, so Habeck. Lanz versucht, Habeck dies als Aufforderung des Vizekanzlers an den DFB in den Mund zu legen. Dieser relativiert lachend, erinnert aber an den Protest Colin Kaepernicks gegen Rassismus in der NFL, der zu einer großen Bewegung geworden sei.
Habeck schlägt selber den Bogen vom Sport zu seinem Aufgabenbereich und sagt, es gebe auch keine unpolitische Wirtschaftsentscheidung mehr. Dann spricht Lanz Habeck folgerichtig auf seine Verbeugung vor dem Emir von Katar an, als es im Frühjahr um Flüssiggas ging. Der Wirtschaftsminister weicht der Frage nach dem Symbolgehalt des Bildes aus und sagt, so groß sei Deutschland Abhängigkeit von Katar nun auch nicht.
Lanz hakt an dieser Stelle nicht weiter zum Schlagwort „Scheinheiligkeit“ nach und lässt Habeck stattdessen ausführlich erläutern, wie die Energieversorgung in Deutschland für den Winter gewährleistet wird und wie es gelingen konnte, die Gasspeicher schneller als erwartet zu füllen. Im weiteren Verlauf des Talks geht es um wirtschaftspolitische Fragestellungen. Die Diskussion wird zu einem Zwiegespräch zwischen Lanz und Habeck, Kistner und Golineh Atai kommen nicht mehr zu Wort. (cme)