In der Serie „R(h)ein ins Museum“ stellt unser Autor Welf Grombacher einige Häuser vor, die überregionalen Ruf entwickelten – in der heutigen Folge das Museum Kurhaus Kleve.
R(h)ein ins Museum (3)Museum Kurhaus Kleve zeigt Retrospektive von Jürgen Vogdt
Als junger Mann besucht er in Düsseldorf eine Ausstellung und steht dort plötzlich vor dem „Stuhl mit Fett“ von Joseph Beuys. „Der erste Kulturschock meines Lebens“, wird der 1949 in Büderich geborene Jürgen Vogdt später sagen. „Ich hatte doch keine Ahnung. Nie Kunst gesehen. Zwei Stunden habe ich den Stuhl umkreist. Das waren meine ersten drei Semester.“
Als bekennender Autodidakt besuchte Vogdt nie eine Kunstakademie und konnte von seiner Malerei nie leben. Er arbeitete als Dekorateur, Modelleur, Graveur und Kunstlehrer. Gründete eine Werbeagentur und war zwei Jahre als Pressesprecher der Stiftung Museum Schloss Moyland aktiv. Nebenbei führte er ein Doppelleben und absolvierte sein „tägliches Zeichentraining“, wie er es gerne nannte, „so fleißig wie ein Pianist“.
Obwohl sein gesamtes Frühwerk bei einem Brand 1979 vernichtet wurde, hat der im Januar 2023 verstorbene Jürgen Vogdt Tausende von Zeichnungen hinterlassen. Gelagert in Schubladen, Schränken, Kisten und Mappen in seiner Rheinberger Scheune.
Jürgen Vogdt sah sich als Gescheiterten
Er selbst sah sich als „grandios gescheitert“, schreibt sein Künstlerfreund der Komponist Heiner Frost. Sein letzter Wille hieß: „Bevor man stirbt, die Tür zumachen und alles anstecken.“ So weit ist es zum Glück nicht gekommen. Im vergangenen Jahr fragte der Direktor des Museums Kurhaus Kleve, Harald Kunde, bei Frost an, ob sie nicht mal wieder bei Jürgen Vogdt vorbeischauen wollen. „Wieviel Zeit hast du? Wie weit willst du reisen?“, fragte Frost zurück, der zu diesem Zeitpunkt schon wusste, dass Vogdt nicht mehr lebte. Die Schau „Lebenslinien“ im Kurhaus Kleve ist so ein bewegendes Memento Mori und die späte Würdigung eines Künstlers, der zuletzt immer seltener in Ausstellungen zu sehen war.
Gezeigt werden 125 Zeichnungen und ein gutes Dutzend Gemälde aus dem Nachlass dieses „produktiven Vulkans vom Niederrhein“, wie Kenner ihn schon mal nannten. Keine „enzyklopädische Retrospektive“, betont Museumsdirektor Harald Kunde, dafür hätte die Zeit der kurzfristig ins Programm genommenen Ausstellung gar nicht ausgereicht, sondern eine „akzentuierte Werkschau unter der Maßgabe des Machbaren“. Der Eindruck ist trotzdem mehr als nur zufriedenstellend, zumal das zwar kleine, aber sehr persönliche Begleitbuch einen exzellenten Einblick in die Gedankenwelt des Künstlers gewährt.
Jürgen Vogdt: Anarchisches in der Kunst
Vogdts Blättern wohnt immer etwas Anarchisches inne. Sie verweigern sich dem fertigen Bild und feiern das Offene. Der Hintergrund bleibt weiß, auch bei den Gemälden fehlt oft eine Grundierung. Stift oder Pinsel folgen einem Gestus, der seinen Ursprung im Unbewussten hat. Ein „Funkenflug der Chiffren, Kürzel und Impulse“, schreibt Kunde im Katalog.
„Meine Arbeiten entstehen aus Ohnmacht“, äußerte Vogdt 1998 in einem Interview mit Gabriele Uelsberg. Jeden Tag eine kleine Attitüde, um beweglich zu bleiben. „Manisch fühle ich mich nicht, nur herausgefordert.“ Manchmal sieht man den fragilen Linien an, dass sie durch „blindes Zeichnen“ entstanden. Der Blick ruht auf dem Motiv. Nicht auf dem Papier. Mal ist eine Eistüte zu erkennen oder ein „Kopffüßler“, so wie Kinder sie in einem bestimmten Entwicklungsstadium malen.
Dann wieder verweigern sich die Linien jeder Interpretation und feiern Freiheit und Abstraktion. Es geht nicht um Endgültiges, sondern um spontane Formfindung und Unfertiges. Hier widersetzt sich einer den Erwartungshaltungen. Die lebenslange Bewunderung von Antoni Tapies und Cy Twombly sieht man den Bildern an. Ebenso wie die für Beuys, den Jürgen Vogdt als Person achtete, sich aber trotzdem von ihm fernhielt. „Ja, Joseph Beuys hatte alles, was ich gern hätte.“
Schon als Kind ärgerte Vogdt die „Spießigkeit des Kunstunterrichts“ und er begehrte dagegen auf. Später dann bewunderte er den befreiten Ansatz von Joan Miró und Emil Schumacher, bis er deren Virtuosität leid wurde.
Jedem von Jürgen Vogdts Blättern, zu denen er sich oft durch Literatur inspirieren ließ, sieht man diese Verweigerungshaltung an. Die rasch aufs Papier geworfenen zittrigen Striche bleiben ein skizzenhafter Versuch und überzeugen nicht immer. Anders die größeren Gemälde, die sich auch aufs Nötigste beschränken und doch in sich stimmig sind. Jedes einzelne Werk ist ein „Lebensnachweis“, wie Heiner Frost so treffend über seinen verstorbenen Freund im Katalog schreibt: „Einer wie Vogdt ist unzumutbar – am meisten für sich selbst.“
In der Kunst hat er einen Halt gefunden. Dafür hat er an keine Akademie gehen müssen. Leben zu lernen und Mensch zu bleiben, hat sie ihn auch ohne Studium gelehrt.
Bis 7. April, geöffnet Di bis So 11-17 Uhr, Kleve, Tiergartenstraße 41.
Und so geht's weiter
Als nächstes widmet sich das Museum Kurhaus Kleve in der Ausstellung „Schönheit und Verzückung“ vom 24. März an Jan Baegert (um 1465-nach 1535) und der Malerei des Mittelalters. Höhepunkt wird ein acht Meter breiter 3-D-Scan des Hochaltarretabels seines Vaters Derick Baegert aus der Propsteikirche St. Johann in Dortmund sein. (welf)