Das Rheinland ist auch wegen seiner weitgefächerten Ausstellungslandschaft beliebt. In der neuen Serie „R(h)ein ins Museum“ wollen wir einige Beispiele vorstellen. Welf Grombacher hat sich zum Auftakt in Krefeld umgeschaut.
R(h)ein ins Museum„Die große Verführung“ in Krefeld zeigt eine großartige Designsammlung
„Richte dich zweckmäßig ein“, lautet gleich das erste der „Zehn Gebote zur Wohnungseinrichtung“, die jetzt in großen Lettern im Kaiser Wilhelm Museum in Krefeld an der Wand prangen. Im zweiten heißt es dann: „Zeige in deiner Wohnung deinen Geist“. Und sind uns Menschen von heute diese Forderungen nicht in Fleisch und Blut übergegangen, auch, wenn der forsche Imperativ uns vielleicht ein wenig schmunzeln lassen mag. Wenn da im sechsten Gebot etwa geschrieben steht: „Du sollst nicht pimpeln! … lass die überflüssigen Zierätchen und Ornamentchen weg …“
„Kultur verbreiten“
Die „Zehn Gebote“, die der Dichter Ferdinand Avenarius (1856-1923) in seiner Zeitschrift „Der Kunstwart“ im Jahr 1900 veröffentlichte, treffen die Aufbruchstimmung der Reformbewegung ganz gut, aus der heraus auch das von Karl Ernst Osthaus gegründete „Deutsche Museum für Kunst in Handel und Gewerbe“ entstanden ist. Neben dem sehr viel bekannteren „Folkwang Museum“ die zweite Museumsgründung des 1874 in Hagen geborenen Mäzens, der als reicher Bankierssohn seine Erbschaft von seinerzeit drei Millionen Mark (was heute etwa 30 Millionen Euro entspräche) dazu nutzte, um „Kultur und Geschmack in weiten Kreisen zu verbreiten“ und „die Gestaltung des gesamten modernen Lebens durch das schaffende Genie“ zu fördern, wie er es so schön formulierte.
Sah er ohne Kunst doch „die wichtigsten Fragen des sozialen Lebens“ als unlösbar an. Während nach seinem frühen Tod 1921 die Folkwang-Sammlung mit Gemälden von Gauguin, Cézanne und Van Gogh nach Essen ging, wo sie den Grundstock des Folkwang Museums bildet, wurde die Sammlung Angewandter Kunst, die zwischen 1909 und 1919 auf mehrere tausend Objekte angewachsen war, 1923 „zu unerhört günstigen Bedingungen“ von 150 00 Mark auf Initiative des damaligen Krefelder Museumsdirektors Max Creutz vom umtriebigen Museumsverein angekauft.
Sammlung zeitgenössischen Designs
Dieses 100-jährige Jubiläum hat das Kaiser Wilhelm Museum jetzt zum Anlass genommen, um die Osthaus-Sammlung zu restaurieren, systematisch zu inventarisieren, zu digitalisieren, und in der Ausstellung „Die große Verführung“ der Öffentlichkeit einen Einblick in diesen Kernbestand des Hauses zu gewähren. Und was soll man sagen: Selbst Kunstinteressierte, die sich bereits mit dem Folkwang-Impuls beschäftigt haben, vermag diese zauberhafte Zusammenstellung, die lange vergessen war und erst in den 1980er und 1990er Jahren wiederentdeckt wurde, zu überraschen. Bahnbrechend als Museum ohne eigenes Haus konzipiert, trug Osthaus, der 1899 bei Justus Brinkmann im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe hospitiert hatte, unterstützt durch Künstler wie Peter Behrens, Henry van de Velde, Richard Riemerschmid und Jan Thorn Prikker eine Kollektion von Glas, Keramik, Grafik, Tapeten und Textilien zusammen „zur Geschmacksbildung und kulturellen Erziehung der Deutschen“.
Eine Mustersammlung zeitgenössischen Designs, vielleicht sogar die erste weltweit, um die heimische Industrie in die künstlerische Reformbewegung einzubinden. In enger Kooperation mit dem 1907 gegründeten Deutschen Werkbund und inspiriert durch die Arts And Crafts Bewegung in England, wurde er so zu einem Pionier und nahm die Gedanken des Bauhauses schon vorweg.
Osthaus war einer der größten Förderer von Walter Gropius, der für ihn 1911 eine Architekturausstellung seines Deutschen Museums kuratierte. Und als 1925 nach der Schließung in Weimar diskutiert wurde, wohin das Bauhaus ziehen soll, war auch Hagen eine Option. Wie aber stellt man sich ein Museum ohne Haus vor? Um seine Idee einer „Volksbildungsstätte“ zu verwirklichen und seine alle „sozialen Gegensätze überbrückende Weltmission der Kultur“ voranzutreiben, konzipierte Osthaus „ganz ohne Vorbild“, wie er stolz konstatierte, Wanderausstellungen.
Modernes Buchgewerbe
In den vier Jahren vor dem Ersten Weltkrieg insgesamt 200 zu Themen wie „Reklame und kaufmännische Drucksachen“ (1909), „Modernes Deutsches Buchgewerbe“ (1911) oder „Tapeten, Linoleum und Linkrusta“ (1911). Gegen eine Gebühr von 40 bis 120 Mark Plus Fracht konnten die vom Deutschen Museum konzipierten Ausstellungen ausgeliehen und in Museen, Handelskammern, Rathäusern oder Handelshochschulen gezeigt werden. Bis nach Amerika schaffte es 1912/13 die Schau „German Applied Arts“, die in sieben Städten zu sehen war.
4000 Objekte
Aus dem mehr als 4000 Objekte umfassenden Konvolut des Deutschen Museums haben die Kuratorinnen Magdalena Holzhey und Ina Ewers-Schultz für die aktuelle Ausstellung in Krefeld mehrere Hundert ausgewählt und sich vom Berliner Büro Schroeder Rauch einen eindrucksvollen Parcours bauen lassen, der das funktional-flexible Ausstellungsdesign des Deutschen Museums aufnimmt.
Dass sie dabei aus dem Vollen schöpfen konnten, offenbart schon der erste Blick. Kirchner und Pechstein gestalteten Plakate Bis hoch über die Köpfe der Besucher hängen in einer barocken Tapetenhängung wunderbare Plakate übereinander, während in der Mitte des Saales riesige Bildtapeten von Josef Maria Olbrichs Warenhaus Tietz in Düsseldorf und Alfred Messels Warenhaus Wertheim einen stimmungsvollen Eindruck der Aufbruchsstimmung vermitteln. Die Ausstellung ist Spiegel der beginnenden Konsumkultur und entfaltet einen ganz eigenen Zauber. Mit viel Liebe wurden die Exponate gruppiert. Von Ernst Ludwig Kirchner und Max Pechstein gestaltete Plakate sind zu sehen und von Josef Hoffmann für die Wiener Werkstätten entworfene Briefumschläge. Dias der von Gropius kuratierten Typensammlung moderner Industriebauten. Sowie von Peter Behrens gestaltete Ladeninterieurs.
Die Form der Präsentation und die Art, wie mit den Beständen des Hauses gearbeitet wird, unterstreicht, warum das Kaiser Wilhelm Museum erst 2022 als „Museum des Jahres“ ausgezeichnet wurde.
Bis 28. April, Di-Do, So 11-17 Uhr, Fr, Sa 11-18 Uhr, Joseph-Beuys-Platz 1