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Quicklebendig unter GeisternDas neue Album von Bruce Springsteen im Redaktions-Check

Lesezeit 3 Minuten
Bruce Springsteen

Bruce Springsteen mit seiner Band

  1. „Letter to You“ führt zurück zu den Wurzeln und ist ein Tribut an gestorbene Weggefährten wie Danny Federici und Clarence Clemons.
  2. Entstanden ist ein ist ein bemerkenswertes Album, das Springsteen und die Band in Bestform zeigt: quicklebendig unter Geistern.

Köln – Auf seinen letzten Alben hat man die Druckwelle der E Street Band vermisst und beim opulenten Orchesterpop von „Western Stars“ zeitweise den eigenen Ohren misstraut. Bruce Springsteen als Crooner war gewiss nicht jedermanns Sache. Der „Boss“ freilich litt an einer Schreibblockade ausgerechnet im rockigen Kerngeschäft, die erst im letzten Jahr wundersam gebrochen wurde.

Zwar hatte die akustische Gitarre, die ihm ein italienischer Fan schenkte, zunächst monatelang in der Ecke gestanden. Doch als Springsteen sie dann im April 2019 endlich zur Hand nahm, komponierten sich die Songs für „Letter to You“ nach seinen Worten wie von selbst. Und als er daraufhin die E-Streeter um Nils Lofgren und Steven Van Zandt auf die Stone Hill Farm e inlud, stemmte man das Album live im Studio in unglaublichen vier Tagen.

Kritik an Trump bleibt eine Fußnote

So organisch klingt das Werk denn auch, von dem einige eine musikalische Anti-Trump-Mobilmachung erwartet hatten. Die bleibt indessen auf Fußnoten beschränkt. Gewiss, im zornigen Stadion-Kracher „Rainmaker“ wird ein demagogischer Scharlatan beschworen, und ein anderer Song erzählt vom „kriminellen Clown, der den Thron gestohlen hat“.

Doch „Letter to You“ will eben kein Konzeptalbum wie „The Rising“ oder „Wrecking Ball“ sein, sondern eher eine persönliche Standortbestimmung, die den 71-jährigen Bandleader zu den eigenen Wurzeln führt. So hat Springsteen drei unveröffentlichte Songs aus den frühen 70ern unter die insgesamt zwölf Titel geschmuggelt – irrwitzig schillernde Rätsel wie den unfrommen Bibel-Western „If I was the Priest“, in dem Jesus zum Sheriff und Maria zur Saloonwirtin in Dodge City mutiert. Ein Blick in die kurze Bob-Dylan-Phase des hochbegabten Anfängers.

Die Band

Schon 1973, beim ersten Album von Springsteen („Greetings from Asbury Park, N.J.“, 1973), war die E Street Band beteiligt, obwohl sie erst 1974 unter diesem Namen firmierte. Von der ersten Besetzung ist nur noch Bassist Gary Tallent dabei. Das letzte gemeinsame Studio-Live-Album war „Born in the U.S.A.“ 1984. (EB)

Doch der Musiker schaut noch weiter zurück, auf seine Zeit bei den Castiles, deren Sänger George Theiss 2018 gestorben ist. So wurde Springsteen zum letzten Überlebenden seiner ersten Band. Im zentralen Stück „Last Man standing“ streift er durch das New Jersey der frühen Rockerjahre, „when you were hard and young and proud“ – Zeiten, als man bei Feuerwehrbällen und in Billardkneipen spielte. „Faded pictures“, verblasste Fotos, gewiss, aber die E Street Band gibt ihnen die alte Farbe, die pulsierende Vitalität zurück.

Das Album ist zwar ein Tribut an gestorbene Weggefährten wie Danny Federici und Clarence Clemons, doch Glockenspiel, Gospel-Orgel, Mundharmonika, Max Weinbergs Schlagzeug und satter Gitarrenstrahl setzen der Melancholie eine trutzig-trotzige „Wall of Sound“ entgegen.

Letztlich sind hier die Helden von gestern und heute Teil einer tröstlichen Großfamilie, die im „House of a thousand Guitars“ logiert, wo die Musik nie endet und die Sorgen rhythmisch hinweggefegt werden. Ein heiliger Gral, der offenbar auch Bruce Springsteens immer wieder aufbrechenden Depressionen lindert.

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Obwohl schmerzliche Verluste betrauert werden, hört man weder die Düsternis von „Nebraska“ noch die Selbstzweifel von „Tunnel of Love“. Der Mann aus New Jersey scheint im Einklang mit sich und der Welt zu sein, was der wohl stärkste Song des Albums beglaubigt: „Ghosts“. Auch die Gitarre, die den Erzähler hier fasziniert, gehört einem Toten. Doch diese morbide Erinnerung wird zum Lebenselixier, denn noch einmal spielt man im magischen Reich zwischen Diesseits und Jenseits zusammen und rockt den Saal: „By the end oft the set we leave no one alive.“

Man muss „Letter to You“ nun bei allem Zeitreise-Zauber nicht zum großen Resümee einer gloriosen Karriere erklären. Doch es ist ein bemerkenswertes Album, das Springsteen und die Band in Bestform zeigt: quicklebendig unter Geistern.

Am Freitag, 23.10., erscheint „Letter to You“ bei Sony Music.