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„Proben fürs Alter“Zwei Kölner Theaterschaffende über ihren neuen Corona-Alltag

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An der frischen Luft: Bruno Cathomas (l.) und Moritz Sostmann auf der Brücke vor dem Schokoladenmuseum.

  1. Moritz Sostmann ist einer der Hausregisseure am Schauspiel Köln, Bruno Cathomas gehört zum Schauspielensemble.
  2. Privat sind die beiden seit vielen Jahren ein Paar – und sprachen mit Axel Hill über ihren „neuen“ Alltag.

KölnEin Schauspieler und ein Regisseur sind häufig getrennt unterwegs: tagsüber Proben, abends auf der Bühne – dazu Regiearbeiten und Dreharbeiten und Auftritten an anderen Häusern. Die Regelmäßigkeit des Unregelmäßigen – und jetzt erleben Sie das komplette Gegenteil...

Sostmann: Absolut. Wir beide haben ja bei der Arbeit eher weniger miteinander zu tun – jetzt öfter als sonst. (lacht)

Cathomas: Wir haben eher so ein Feriengefühl. Denn dann sind wir auch wie jetzt den ganzen Tag zusammen. Der Unterschied ist, dass wir jetzt zu Hause sind – und endlich mal all die Arbeiten machen, die wir machen wollten, seit wir hier angekommen sind.

Zum Beispiel?

Cathomas: Den Balkon kärchern.

Sostmann: Ein Regal anbringen – wie 50 Prozent der anderen Leute auch.

Cathomas: Wir leben genauso kleinbürgerlich, wie wir es nie haben wollten! (lacht)

Gibt es mittlerweile gemeinsame Routinen, respektive nähert man sich wieder an?

Cathomas: Ja, wir stehen praktisch gleichzeitig auf, frühstücken zusammen – das ist anders, wenn wir arbeiten. Und wir machen auch viel mehr zusammen. Gehen sogar spazieren.

Sostmann: Wir proben quasi fürs fortgeschrittene Alter. (lacht). Es ist auch so, dass man sich mehr erzählt, von dem, was man gerade gelesen hat oder gerade anguckt. Und wir schauen gemeinsam alte Filme – etwa Louis de Funès. Man ist überrascht, wie einfach es sich doch ändert.

Cathomas: Und wir haben uns bis jetzt nicht einmal gestritten.

In Köln haben Sie nur zwei Produktionen zusammen gemacht: „Amerika“ und „Gott“.

Cathomas: Eine bewusste Entscheidung!

Sostmann: Uns haben immer alle abgeraten. Und wir haben jedes Mal gemerkt, es ist was dran, dass man das nicht machen sollte. Wir schafften es in beiden Produktionen nur bis zu einem bestimmten Punkt, dass das Theater an der Wohnungstür aufhört – und irgendwann ging es nicht mehr. Und wir haben beschlossen, wir machen es nie wieder.

Cathomas: Da haben wir uns wirklich gestritten – nach der Produktion. Das war schon fast fundamental. Wir sind ja seit genau 25 Jahren zusammen, und man kennt sich so gut, dass schon ein Einatmen oder eine Zehenbewegung Unsicherheiten auslöst.

Wir halten Sie es in Sachen Informationen zu Corona?

Sostmann: Mittlerweile versucht man es auf bestimmte Zeiten zu reduzieren – morgens und abends. Dazwischen versucht man, es zu ignorieren. Und ich habe das Gefühl, dass es nötiger ist als je, dass Informationen eingeordnet und interpretiert werden.

Cathomas: Und man bekommt natürlich auch schlechte Nachrichten von Freunden, die als Freie arbeiten. Und ich habe persönlich das Gefühl, dass ich mich in einem Katastrophenfilm befinde, der unglaublich langsam abläuft: Während im Film die Exposition 20 Minuten dauert, geht das hier über Monate.

Es gibt viele Online-Angebote, Theater wird gestreamt, Konzerte und Lesungen aus Wohnzimmern übertragen...

Cathomas: Ich verweigere mich dem total. Wenn Theater jetzt mit einer Handkamera abgefilmt wird, ist jeder Film, ist jedes Hörspiel besser. Nur ganz, ganz selten gibt es etwas, was gut gemacht ist und was einen interessiert. Und: Das ist nicht in dem Sinn, warum ich Theater mache. Theater findet im gleichen Raum, zur gleichen Zeit statt.

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Ich gucke mir zur Zeit unheimlich gerne Handwerkersendungen an. Wie gedrechselt wird, wie ein Mühlstein gemacht, eine Gitarre gebaut wird. Das finde ich inspirierender für mich.

Sostmann: Zu Anfang hatte ich ein Interview mit der Konzertagentin Sonia Simmenauer gehört, die darin sagte, sie habe das Gefühl, diese Pause tue diesem hyperventilierenden Kulturbetrieb mal ganz gut. Das fand ich bemerkenswert und grandios. Es wird ja in großer Schlagzahl produziert, am Schauspiel haben wir in diesem Jahr mehr als 20 Premieren. In der ersten Woche hatte ich das Gefühl, alle finden es ganz schön, innezuhalten. Dann gab es diesen selbstverstärkenden Druck: Wir müssen etwas produzieren. Ich habe das Gefühl, das bringt alles nichts. Man sollte sich eher auf das vorbereiten, was danach kommt.

Beginnen Sie schon mit einer künstlerischen Auseinandersetzung mit der Krise?

Sostmann: Viele Dramaturgien lesen ja jetzt mit Eifer Bocaccios „Decamerone“ oder Camus’ „Die Pest“. Oder diverse Corona-Tagebücher, wo es um Einsamkeit, Schuld und um Dystopien geht Ich bin ja eher der Meinung, dass man Stücke danach vielleicht anders liest, aber nicht, dass es spezielle Stücke geben sollte.

Cathomas: Die beste Idee, die ich bis jetzt mit einem Kollegen besprochen habe, ist, dass wir Komödien machen sollten. Und nicht 60 Stücke mit Gesichtsmasken. Wir sollten uns im Theater wieder den lustigen, den schönen Dingen widmen, und nicht noch einmal dramatisieren, was wir eh hatten. Und ich würde gerne im Sommer arbeiten, es darf ja sowieso keiner weg. Freilichtspiele im Carlsgarten und solche Sachen!

Sostmann: Es geht ja eher darum, die Verbindung zu feiern, als es noch einmal auseinanderzuklamüsern, wie fragmentiert die Gesellschaft werden kann. Und man muss zeigen, was macht uns Menschen als Gemeinschaft eigentlich aus. Und das ist das gemeinsame Lachen.

Wie pflegen Sie derzeit soziale Kontakte?

Sostmann: Es wird mehr telefoniert. Es wird aber auch mehr rumexperimentiert. Letztens haben wir für Raphael Sanchez über Facetime eine Geburtstagsparty gemacht. Was ich vorher nicht für möglich gehalten hätte: Es ging vier Stunden – und wir waren alle ziemlich betrunken. Seitdem machen wir das regelmäßig. Es kommen alle nach und nach dazu, wie in einer Kneipe.

Das Schöne für Sie, Herr Sostmann: Sie müssen also zum Rauchen nicht mal das Lokal verlassen.

Sostmann: (lacht) Das stimmt.

Zwei feste Säulen

Seit Stefan Bachmann Kölner Intendant ist, gehören Moritz Sostmann und Bruno Cathomas fest zu seinem Team. Sostmann (Jg. 1969) arbeitet als Regisseur mit Schauspielern und Puppen, zu seinen Inszenierungen gehören „Das Leben des Vernon Subutex“, „Eine Frau bei 1000˚“ oder „Bewohner“, das ab Freitag auf schauspiel.koeln als Stream zu sehen ist.

Zu Cathomas’ (Jg. 1965) aktuellen Produktionen gehören „Die Räuber“, „Endspiel“, „Tyll“, „Vögel“, oder „Wilhelm Tell“ . Im „Tatort“ des HR tauchte er mehrfach als Kommissariatsleiter Fosco Cariddi auf. (EB)