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Opern-Premiere in Bonn„Eugen Onegin“ und die Folgen eines Unfalls

Lesezeit 4 Minuten
Eugen Onegin, Oper Bonn - Anna Princeva (Tatjana), Giorgos Kanaris (Onegin)

„Eugen Onegin“ in Bonn - mit Anna Princeva (Tatjana) und Giorgos Kanaris (Onegin).

Vasily Barkhatovs großartige Inszenierung von Tschaikowskys „Eugen Onegin“ in der Oper Bonn.

Einen Festsaal, wie ihn Pjotr I. Tschaikowsky in seiner Oper „Eugen Onegin“ für die Namenstagsfeier seiner Heldin Tatjana vorsieht, bietet Vasily Barkhatov in seiner Bonner Inszenierung dem Publikum nicht. Da findet die Party unter freiem Nachthimmel statt. Statt zu tanzen, amüsieren sich die Gäste aus dem Dorf beim Rodeln, sausen auf ihren Schlitten die Schräge im Bühnenhintergrund herunter.

Auch der Titelheld, in den Tatjana unsterblich verliebt ist, erfreut sich an dieser willkommenen Abwechslung vom langweiligen Leben auf dem Lande. Allerdings nicht mit ihr, sondern mit ihrer Schwester Olga, was Olgas Verlobten Lenski rasend eifersüchtig macht. So sehr, dass er seinen Freund Onegin schließlich zum Duell herausfordert.

Dass die Sache für den Herausforderer tödlich endet, ist in der Bonner Inszenierung jedoch eher die Folge eines Unfalls: Im außer Kontrolle geratenen Handgemenge der aufgeheizten Dorfgemeinschaft stößt Onegin seinen Freund versehentlich von der Schräge.

Vasily Barkhatov hält sich zwar nicht sklavisch an das Libretto, das Tschaikowsky in Zusammenarbeit mit Konstantin Schilowsky nach Alexander Puschkins Versroman schrieb. Aber der russische Regisseur erzählt die Geschichte sehr stringent, spannungsvoll und mit psychologischem Feingefühl.

Die Schwestern Tatjana und Olga wohnen mit ihrer Mutter auf dem Land, nachdem die Familie sich das Leben in der Stadt nicht mehr leisten kann. Zinovy Margolins flexible Bühne zeigt in den ersten beiden Akten ein mit großen Fensterwänden versehenes Zimmer, das sich bei Bedarf bis fast in die Bühnenmitte schieben lässt, daneben ein Raum, der mal wie eine Scheune wirkt oder, wenn die Rückwand verschwindet, den Blick auf die multifunktionale Schräge freigibt. Ein Flügel, auf dem die Schwestern gerne mal musizieren, kündet noch vom Salonleben besserer Zeiten.

Während Olga in tütühaft leichtem Kleid (Kostüme: Olga Shaishmelashvili) gerne mal mit dem Fahrrad über die Bühne radelt und ihre unbändige Lebenslust offensiv – manchmal sogar trotzig bis zur Verzweiflung – zur Schau stellt, ist Tatjana verträumt und introvertiert, liest Romane und sieht in Onegin die Erfüllung ihrer Sehnsüchte.

„Längst liebt' ich Dich, eh' ich Dich sah“, schreibt sie ihm in einem langen Brief. Die mit dem Bonner Haus vertraute Sopranistin Anna Princeva singt und spielt diese intime Briefszene überaus bewegend, macht durch ihre klangschön geführte Stimme jede Seelenregung hörbar. Wer da nicht mitfühlt, besitzt kein Herz.

Doch Onegin, den der verlässlich großartige Giorgos Kanaris mit kraftvollem Bariton singt und mit viriler Attitüde spielt, bleibt für solche Gefühle taub. Als er sie mit einem gönnerhaften Knietätscheln kalt zurückweist, verrät diese scheinbar beiläufige Geste viel über seinen Charakter.

Im letzten Akt wird die durch Heirat mit dem wohlhabenden Gremin in Sankt Petersburg zu gesellschaftlichem Ansehen gekommene Tatjana ihm, der sein zurückweisendes Verhalten nun bitter bereut, zum Abschied ebenfalls das Knie tätscheln.

Dieser finale Akt spielt in der eindrucksvoll gestalteten Jugendstil-Wartehalle eines Sankt Petersburger Bahnhofs. Der große Ball des Hauses Gremin, mit dem Tschaikowskys Oper eigentlich aufwartet, wird an diesem Ort zu einem opulenten Empfang, inklusive musizierender Blaskapelle auf der Bühne. Für den Anblick des bühnenarchitektonischen Meisterwerks gab es am Premierenabend einen Sonderapplaus.

Den erhielt im Schlussakt auch der Sänger Pavel Gudinov, der die große Arie des Gremin mit volltönendem Bassorgan vortrug. Wie überhaupt die Produktion mit ausgezeichneten Solistinnen und Solisten aufwartete. Dazu zählte Mezzosopranistin Eva Vogel als Mutter Larina ebenso wie die mit beeindruckender Altstimme aufwartende Rena Kleinfeld als Filipjewna.

Die aus Beuel stammende Mezzosopranistin Charlotte Quadt verlieh der Partie der Olga zugleich Leichtigkeit und Tiefe, Santiano Sanchez stattete die tragische Figur des jungen Dichters Lenski mit schönen Tenorfarben aus. Aus dem Ständchen des Franzosen Triquet auf Tatjanas Namenstag macht Johannes Mertes in rosafarbenen Kleid ein Kabinettstückchen ganz eigener Qualität.

In den toll geführten Massenszenen überzeugt der von Marco Medved fabelhaft einstudierte Chor. Und das Beethoven Orchester zeigte sich unter der Leitung von Hermes Helfricht ebenfalls in Bestform. Da gab es ergreifende Blechbläsermomente, melancholische Holzbläser und einen wunderbar warmen Streicherklang. Die Sänger durften sich auf Händen getragen fühlen. Und das Publikum feierte alle Beteiligten mit Ovationen.

Aufführungsdauer ca. 3 ¼ Std inkl. Pause. Termine: 10., 14., 17., 22. März, 21., 25. April, 9., 30. Mai, 1. Juni, Tickets und Infos: theater-bonn.de