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Netflix-Hit um J.D. VanceWas „Hillbilly-Elegie“ über Trumps Wunsch-Vize erzählt

Lesezeit 4 Minuten
HILLBILLY ELEGY: (L to R) Amy Adams ("Bev"), Gabriel Basso ("J.D. Vance"). Photo Cr. Lacey Terrell/NETFLIX 2020

Gabriel Basso spielt J.D. Vance, Amy Adams seine Mutter Beverly.

Seit J.D. Vance Vize-Präsident der USA werden möchte, stehen seine Memoiren und deren Verfilmung erneut im Fokus.

„Und wenn du ein Problem damit hast, diskutier das mit meiner Flinte aus!“ Klare Ansage von „Mamaw“, da weiß der Rest der Sippe fix, wo der Hammer hängt.

Denn bei Familie Vance wird nicht lange gefackelt: Ohrfeigen gehören familienintern großzügig ausgeteilt, aber wenn einer der ihren angegriffen wird, steht man zusammen.

Regeln in den Appalachen

So gleich in der ersten Szene der Netflix-Verfilmung von „Hillbilly-Elegie“, der Autobiografie von Donald Trumps Möchte-Gern-Vize, J. D. Vance, aus dem Jahr 2020.

Nachdem der pummelige, leicht verträumte Teenie-J.D. (Owen Asztalos) von anderen Jungs arg vermöbelt worden ist, knöpft sich ein Rudel Erwachsener den Hauptübeltäter vor und boxt diesem so sehr in den Magen, dass der Junge zusammenbricht.

Willkommen in den Appalachen, dieser unwirtlichen, in weiten Teilen wirtschaftlich unterbelichteten Bergregion, die sich über mehrere Staaten der USA streckt.

Passend für jede RTL2-Realityshow

J.D. und sein Clan wären exzellentes Personal für jede RTL2-Doku-Soap – reale Figuren, die jegliches Klischee bedienen, ohne dass sich Drehbuchschreiber großartig das Gehirn verrenken müssen.

Große Klappe, der Herz am rechten Fleck. Und auch die Einstellung zu allen, die anders sind, kann man ohne große Probleme rechts des Spektrums verorten. Es ist diese fatale Mischung aus „du kannst alles schaffen, wenn du nur willst“ und falls das nicht klappt, sind „die anderen“ schuld.

Schattenseiten des amerikanischen Traums

2016 veröffentlichte J.D. Vance seine Memoiren und deutete mit dem Titel an, dass hier Gewichtiges verhandelt wird. Seinerzeit wurde das Buch nicht nur ein Erfolg, sondern auch dafür gefeiert, dass es die Schattenseiten des amerikanischen Traums gnadenlos darstellt.

Und Schatten gibt es reichlich: Zwar macht sich die Großmutter als junges Mädchen mit ihrem Freund und späteren Ehemann vom problembelasteten Hinterland auf nach Ohio. Doch dort landen die beiden in den Arme-Leute-Vierteln, und weder sie noch ihre Tochter schaffen es über deren Grenzen hinaus.

Problem: Medikamentensucht

J.D.s alleinerziehende Mutter rutscht von der Medikamenten- in die Drogenabhängigkeit und ist mit ihren zwei Kindern heillos überfordert.

Erst J.D. macht nicht nur einen vernünftigen Schulabschluss, sondern studiert sogar erfolgreich Jura an der Elite-Uni Yale. Während er sich zunächst als Politiker und mit seinem Buch als Trump-Gegner positionierte, fungiert er mittlerweile als dessen „Running Mate“.

Top Ten bei Netflix

Und seitdem verkaufen sich nicht nur seine Memoiren wieder ordentlich, sondern stiegen die Klickzahlen von Ron Howards Verfilmung bei Netflix wieder mächtig an. „Entertainment Weekly“ vermeldete vor zwei Wochen, dass der vier Jahre alte Streifen in den USA wieder unter der Top Ten des Streaminganbieters gelandet sei.

Neuer deutscher Verlag

In Deutschland entschloss sich hingegen der Ullstein Verlag aus politischen Gründen, keine weitere Auflage des seit Mai vergriffenen Buches herauszubringen. Die Rechte kaufte Yes Publishing. „Wir haben 20 000 Exemplare gedruckt und gehen davon aus, dass wir sie alle sofort verkaufen werden“, sagte ein Sprecher des Münchner Verlages der Deutschen Presse-Agentur.

Um der Nachfrage gerecht zu werden erscheine am 31. Juli schon das E-Book. J. D. Vances Wahlkampfkasse wird es freuen.

Schwülstige Sprüche

Die Verfilmung verzichtet größtenteils auf große politische Analysen und setzt in bisweilen unerträglich salbungsvollem Ton auf die Werte des „amerikanischen Traums“: „Uns macht aus, wo wir herkommen. Wir entscheiden aber jeden Tag selbst, was wir werden wollen“, darf J.D. gen Ende des Films aus dem Off salbadern.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der angehende Jurist (gespielt von Gabriel Basso) nach einem weiteren Versuch, seine Mutter (Amy Adams) aus der Abhängigkeit heraus zu lotsen, die Segel streichen müssen.

Gib nicht auf, Mum!
J.D. zu seiner drogenabhängigen Mutter

Wir schauen dem wortgewandten Studenten dabei zu, wie er mit Engelszungen die Leiterin einer Einrichtung überredet, die Mutter spontan aufzunehmen, um im nächsten Moment mit dem Limit seiner diversen Kreditkarten jonglieren zu müssen, um die benötigte Summe hinterlegen zu können.

Zum Dank setzt sie sich den nächsten Schuss, woraufhin er sich umdreht und geht — mit dem fast lapidaren Spruch: „Gib nicht auf, Mum!“

Dass sie nicht aufgegeben hat, wurde zuletzt auch auf dem Parteitag der Republikaner demonstriert, wo Beverly Vance, frisch onduliert und seit Jahren clean, in die Kameras strahlte. Auch zur Zeit der Verfilmung war sie der Abhängigkeit entkommen, das „Wie“ wäre sicher die interessantere Geschichte gewesen als das Erfolgsgefasel ihres Filius.

Soziale Probleme der USA

Dabei erzählt der Film so viel vom heutigen Stand der USA – von den schlechten Lebensbedingungen der verarmten Landbevölkerung, von der miserablen Ausbildung, nicht vorhandenen Krankenversicherungen oder der Medikamentensucht in der Unterschicht.

Dies zu thematisieren, war sicherlich eine Pionierleistung von Vance. Dass er allen Ernstes glaubt, eine Trump-Regierung würde Abhilfe schaffen, zeigt, aus welchem Holz er geschnitzt ist.

Glanzleistung von Glenn Close

Der einzige Grund, warum man sich diesem 115-minütigen Gesülze aussetzen könnte, ist Glenn Close. Sie wirft sich mit voller Wucht in ihre Darstellung von J.D.s Oma „Mamaw“, der Satz mit der Flinte kommt ihr lässig über die Lippen, und was sie alles bewältigt, während sie eine Fluppe in Fingern hält (in praktisch jeder Szene), ist eine Schau für sich. Aber das ist Glenn Close auch in vielen besseren Filmen.